„Flesh & Shadow“ in Ingolstadt
Von der Emscher an die Donau
Alles begann im Sommer 2023, als Pottporus Herne mit einer – inzwischen verlängerten – Landesförderung das Urban Arts Ensemble Ruhr gründen konnte und mit „Cracks“ die erste Produktion im PACT Zollverein Essen präsentierte, ein Stück über Flucht und Migration, choreographiert von Rauf „RubberLegz“ Yasit. Der in Celle geborene, in Deutschland aufgewachsene und inzwischen in Los Angeles lebende international renommierte Tänzer und Choreograph sorgte mit „Cracks“ für ein deutliches Ausrufezeichen der in Wanne-Eickel beheimateten internationalen Truppe, das zu zahlreichen Festival-Einladungen beiderseits des Großen Teichs führte.
Start mit MC Messer
Von der Emscher an die Donau: Rauf Yasit hatte Zekai Fenerci, den künstlerischen Leiter von Pottporus, vor zwanzig Jahren kennengelernt anlässlich der Choreographie „Cage“ von Lorca Renoux und anschließend die Renegade-Truppe mit ihren Produktionen am Schauspielhaus Bochum verfolgt. Nach einem Design-Studium, das sein Interesse für den visuellen Bereich, für Räume und Licht noch verstärkte, wurde Yasit zum Ausstatter der eigenen Choreographien. Nach der Hip-Hop-Operette „MC Messer“, die im November 2024 die Zusammenarbeit mit dem Stadttheater Ingolstadt begründete, und „Cracks“, Ende November 2025 dreimal im Kleinen Haus am Turm Baur, einer Festungsanlage aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, gezeigt, ging nun am 12. Dezember 2025 die umjubelte Uraufführung von „Flesh & Shadow“ in der Audi-Stadt über die Bühne.
Funken Licht im Schatten
Die einstündige Choreographie von Rauf Yasit unter Mitarbeit der aus Taiwan stammenden Folkwang-Absolventin Ying Yun Chen setzt das im fünfköpfigen Ensemble durchaus auch autobiographisch empfundene Gefühl der Unsicherheit und, was das Bekenntnis zum Hip Hop schon in jungen Jahren betrifft, der Verunsicherung etwa durch die eigene Familie und ihren kulturellen Hintergrund um in eine Performance aus Nähe und Distanz, Sehnsucht und Widerstand, Schönheit und der Hoffnung auf einen Funken Licht im Schatten der Gegenwart.
Ein Felsbrocken hängt bedrohlich über der schwarz ausgekleideten Tanzfläche, die im Verlauf des abwechslungsreichen Abends immer stärker mit weißem Mehl bedeckt wird, das aus einem großen Sieb stammt. Ein Requisit, das wie ein dickes abgerissenes Tau, eine historische Kohlenschaufel oder ein Reisigbündel, aus dem immer wieder Äste herausfallen und sisyphosartig vom Boden wieder aufgehoben werden, Bezug nimmt etwa auf georgische oder kurdische Traditionen der Mitwirkenden. Zu denen mit dem Russen Maksim Kuznetsov und dem Saarbrücker Jonas Krämer zwei Pottporus-Ensemblemitglieder gehören, die schon in „Cracks“ dabei waren.
Visum in letzter Minute
Zu ihnen gesellen sich mit der in den Niederlanden lebenden Ukrainerin Polina Skarha die einzige Frau, der Choreograph Rauf Yasit selbst sowie der Moskauer Vakhtang Khurtsilava, der sein Visum erst sehr kurzfristig erhielt zur großen Freude auch von Zekai Fenerci, der sich lange vergeblich darum bemüht und schon für Ersatz gesorgt hatte. In „Flesh & Shadow“ trifft abstrakter Street Dance auf experimentellen Hip-Hop und akademischen zeitgenössischen Tanz: Die Körper geraten aus dem Gleichgewicht, finden neue Achsen, falten sich in sich selbst, scheinen förmlich mit dem Partner zu verwachsen – und das alles in atemberaubendem Tempo.
Pas de deux mit einem Stuhl
„Flesh & Shadow“ ist Aggression und Kampf, aber auch stumme Selbstbefragung. Das Tau etwa ist einerseits ein Rettungsanker, an dem man sich festhalten kann, und andererseits ein schwieriges Objekt, um darauf zu jonglieren. Ein Stuhl dient als Partner für einen rasanten Pas de deux zu einem Song-Klassiker von Reinhard Mey. Ansonsten dominieren englische Texte zu einer dröhnenden Weltmusik-Collage aus dem Off. Die Kohlenschaufel weckt ebenso Assoziationen zum Ruhrgebiet wie der staubige Sand auf einem Tisch: nun tragen Tänzer mit nacktem Oberkörper dunkle Strumpfmasken über den Gesichtern, als seien sie vom Ruß unter Tage geschwärzt.
Die Schaufel dient andererseits wie das Tau, der Stuhl oder kleine Taschenlampen als Tanz-Objekt, hier als Hebel für Kopf und Beine für artifiziell ineinander verschlungene und sich dennoch rasch fortbewegende Körper. Und das alles unter dem Felsblock, der wie ein Damoklesschwert über der Szene schwebt. Am Ende sind Polina Skarhas Lippen verlockend rot und die auch durch den Sound hervorgerufene bedrohliche Atmosphäre auf der Bühne beruhigt sich merklich: Offenbar kommt nicht nur mit dem Licht die Erlösung.
Exhibit your Style-Battle
Verbunden mit der bereits fünften Uraufführung einer Produktion des Urban Arts Ensemble Ruhr wurde am 14. Dezember 2025 unter dem Motto „Exhibit your Style“ das erste Hip-Hop-Tanz-Battle überhaupt in einem bayerischen Stadttheater ausgetragen – mit zwölf Teilnehmern aus Ingolstadt und Umgebung in den Kategorien Breaking, Popping und Krump. Den Gewinnern stellte sich im Finale das Herner Dreier-Team aus Dope Dog, Polina und Vakho.
Zwei gegen Sacre
Auch die sechste Neuproduktion der Wanne-Eickeler steht bereits fest: „Zwei gegen Sacre“ wird am 28. April 2026 ebenfalls an der Donau uraufgeführt, allerdings in der oberösterreichischen Landeshauptstadt Linz, der Kulturhauptstadt Europas im Jahr 2009. Eingeladen von der Kuratorin Silke Grabinger wird zur Eröffnung des internationalen Festivals „postdancingdays“ noch einmal „Sacre“ von Rauf Yasit aufgeführt, der auch einen Tanz-Workshop leiten wird. Danach gibt’s im Linzer Posthof als Uraufführung die Neubearbeitung von Igor Strawinskys „Sacre“ in der Choreographie von Kalli Tarasidou und Christian „Robozee“ Zacharas.