
Impflexikon 2 - von Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey
Viren - man kann sie nicht einfach vergiften
Nachdem unser Doc am 24. November 2020 das Impflexikon startete, ist sein heutiges Thema: Virostatika - Antivirale Medikamente: Typische Szene in einer Hausarztpraxis im Herbst und Winter:
Ein Patient, hustend, schniefend, laufende Nase, rote Augen mit etwas Fieber erscheint. „Herr Doktor, mir geht es schlecht. Ich darf in meiner Firma nicht ausfallen. Ich brauche unbedingt etwas Starkes.“ Bis vor wenigen Jahren stand dann häufig auf dem Rezept: „Doxycyclin, Ambroxol“. Das war billig und fast wirkungslos, aber der Patient glaubte daran. Ambroxol ist ein Schleimlöser und hilft bei Erkältungen – vielleicht – ein bisschen. Doxycyclin ist ein Antibiotikum und hilft bei viralen Erkältungen – nichts! -, also, eine fast ausschließliche Placebotherapie. Deshalb sind die meisten Bakterien heute gegen Doxycyclin resistent.
Aber, warum kann man Viren nicht wie Bakterien mit einem Antibiotikum bekämpfen? Der Grund ist einfach:
Bakterien müssen sich ernähren, also fressen. Die Nahrung wird verdaut, also von der Stoffwechselfabrik in der Bakterienzelle verarbeitet, die Reste werden ausgeschieden. Dadurch werden wir krank. Wenn man jetzt eine Substanz hat, die von Bakterien gefressen wird und deren Stoffwechselfabrik zerstört ohne den Organismus des Wirtes zu beeinträchtigen, kann man die Bakterien vergiften. Sie sterben, den Rest entsorgt der Wirt. Das ist im Groben die Wirkung eines Antibiotikums. Bakterien kapern aber nicht die Wirtszelle, um sich deren Stoffwechselfabrik zunutze zu machen.
Der Unterschied zwischen Viren und Bakterien
Die DNA ist der Datenspeicher, das sog. Genom, für den Bauplan und die Funktionen einer Zelle, sowohl beim Einzeller (z. B. Bakterium) als auch beim Vielzeller (Mensch, Tier, Pflanze). Auch Viren nutzen DNA (in manchen Fällen auch RNA, das ist gewissermaßen die kleine Schwester der DNA) als Datenspeicher. Anders als Bakterien haben Viren keinen eigenen Stoffwechsel. Sie bestehen nur aus einem Bauplan (RNA oder DNA) in einer Schutzhülle (Proteine). Weil sie aber keinen eigenen Stoffwechsel haben, können sie sich nicht selbst vermehren. Dafür benötigen sie die Stoffwechselfabrik von normalen Zellen.
Mit ihrer Schutzhülle biedern sich die Viren bei den Wirtszellen an, um von diesen aufgenommen zu werden. Beim Corona-Virus sind das die Stacheln, die Spike-Proteine. Sind Viren mal ins Zellinnere eingedrungen, wird der Bauplan – das Virusgenom aus DNA - freigesetzt. Die Stoffwechselapparate der Zellen können nicht unterscheiden zwischen „hauseigenem“ regulärem Arbeitsauftrag von der DNA ihres Zellkerns oder eingeschleuster Falschinformation der Viren, ganz wie bei einem Computervirus. In der Folge lesen die Stoffwechselorgane der Wirtszelle den Bauplan des Virus – das Genom – aus und produzieren nach dieser Maßgabe neue Viren.
Eine virusproduzierende Wirtszelle kann nicht mehr die notwendigen Funktionen für das Organ, in dem dem sie angesiedelt ist, wahrnehmen. Das erkennen die Killer-Zellen des Immunsystems, sehen darin eine feindliche Aggression und greifen ihrerseits die virusbefallenen Zellen an. Diesen Angriff nehmen wir dann als das jeweils typische Krankheitssymptom wahr.
Medikamente gegen Viren müssen also Stoffwechselprozesse in der Wirtszelle unterbinden, die für die Virusproduktion erforderlich sind. Und da liegt der Hase Pfeffer. Es ist ein Unterschied: Mit einer Substanz – dem Antibiotikum - vergiftet man die Bakterien, nicht aber den Wirt. Die Vermehrung der Viren findet aber im Inneren von normalen Zellen statt. Der entsprechende Prozess ist dort sehr eng an die normalen biochemischen Zellmechanismen angekoppelt. Antivirale Medikamente müssen also virustypische Prozesse unterbinden, nicht aber wirtszelltypische, denn die sind meist lebenswichtig. Diese Bedingungen sind eine Gratwanderung und sehr schwer zu vereinbaren, weshalb die bisher entwickelten antiviralen Medikamente oft mit schweren Nebenwirkungsrisiken verbunden sind. Und mehr noch als Bakterien neigen Viren zur Resistenzentwicklung gegen einen einmal gefundenen, brauchbaren Wirkstoff, zu der sie auf Grund ihres extrem schnell ablaufenden Vermehrungszyklus besonders gut in der Lage sind.
Die bislang arzneilich eingesetzten Stoffe gegen Viren haben ausschließlich „virostatische“ Wirkung. Das bedeutet, dass sie lediglich die Vermehrung der Viren verhindern. „Viruzide“ Arzneimittel – also Virus abtötende Arzneimittel – gibt es derzeit nicht. Viruzid sind dagegen Desinfektionsmittel, mit denen wir unsere Hände einreiben. Eine Injektion in den Blutkreislauf, wie Donald Trump vorgeschlagen hatte (– hätte er es doch bei sich vorführen lassen) wäre tödlich.
Beispiele für den erfolgreichen Einsatz von Virostatika sind die moderne HIV-Therapie und die Therapie der chronischen Hepatitis C. Bei der Hepatitis C gelingt es heute, einen Großteil der betroffenen Patienten zu heilen. Bei der Behandlung der HIV-Infektion ist es immerhin möglich, durch gezielte Wirkstoffkombinationen und ein strukturiertes Nebenwirkungsmanagement den Patienten über viele Jahre ein nahezu normales Leben zu ermöglichen. Eine Impfung gibt es bisher weder gegen HIV noch gegen Hepatitis C.
Glücklicherweise wird ein gesunder Organismus mit den allermeisten Virusinfektionen gut fertig. Virostatika werden vor allem für solche Infektionen eingesetzt, bei denen das Immunsystem des Patienten alleine nicht zur „Eradikation“, also der Ausrottung des Virus in der Lage ist.
Es hat Jahrzehnte gedauert, verträgliche Virostatika gegen HIV und Hepatitis C zu entwickeln. Es steht zu befürchten, dass ein verträgliches und wirksames Medikament gegen Covid-19 ebenso lange braucht. Bis dahin dürfte die Weltbevölkerung durch Impfung oder Durchseuchung längst die Herdenimmunität erreicht haben. Auch wenn man es nicht glauben mag, Impfstoffe sind leichter zu finden als wirksame Virostatika.