halloherne.de

lokal, aktuell, online.
Da könnte künftig ‘was laufen: Tanja Doretti (Johanna Kunze) und Simon Westbühl (Merten Schroedter).

MiR-Puppentheater für die ganze Familie

Rico, Oskar und die Tieferschatten

Frederico „Rico“ Doretti (Daniel Jeroma), dessen italienischer Vater allzu früh gestorben ist, wohnt mit seiner als Alleinerziehende reichlich überforderten jungen „Girl Power“-Mutter Tanja (Johanna Kunze) in der Dieffenbachstraße 93 in Berlin-Kreuzberg. Das Eckhaus ist nicht gerade die feinste Adresse der Hauptstadt. Hat aber den Vorteil, dass er jederzeit zur netten, schon recht betagten Nachbarin gehen kann, wenn Mutter Tanja ‘mal wieder eine Spätschicht fährt in einer Rotlicht-Bar und ihm daheim die Decke auf den Kopf fällt. Bei Frau Dahling (mit der tiefen Stimme Katharina Thalbachs: Merten Schroedter) gibt’s leckere Leberwurstbrötchen und spannende Krimis im Fernsehen. Sie ist für Rico eine prima Ersatz-Oma, die ihr „graues Gefühl“ ganz gut im Griff hat.

Anzeige: Spielwahnsinn 2024

Apropos die Nachbarn. Den fiesen Herrn Fitzke (Bianca Drozdik) in seinem bekleckerten Schlafanzug kann Rico überhaupt nicht leiden, weil der immer gemein zu ihm ist. Weshalb er darauf drängt, ihm bei nächster Gelegenheit eins auszuwischen. Den anderen Nachbarn Marrek (ebenfalls Bianca Drozdik) trifft Rico meistens im Hausflur, wenn der seine schon unheimlich dicke Wäschetüte zu sich in den obersten Stock schleppt. Ein Lichtblick ist der neu hinzugezogene junge Mann namens Simon Westbühl (ebenfalls Merten Schroedter) – und das in gleich mehrfacher Hinsicht: Erstens ist er überaus freundlich und zweitens sieht er gut aus, was zumindest seine Mama findet. Was wiederum Rico gut findet: männlicher Beistand ist für Tanja längst überfällig.

Oskar (Seth Tietze, l.) und Rico (Daniel Jeroma, r.) treffen auf den fiesen Nachbarn Fitzke (Bianka Drozdik).

Der Zehnjährige behauptet von sich selbst, dass es bei ihm „mit dem Denken manchmal etwas länger braucht“, weshalb er sich selbst als „tiefbegabt“ einschätzt. Dennoch meistert er die kleinen Abenteuer des Lebens durchaus selbstbewusst, ob er nun Einkäufe für seine liebevolle, aber halt auch sehr chaotische Mutter erledigt oder herausfindet, von welchem Teller die ellenlange Nudel gefallen ist, welche er auf der Straße gefunden hat. Als er eines Tages auf einen ulkig aussehenden, da stets behelmten Gleichaltrigen trifft, hat er endlich einen Freund gefunden, dazu noch einen „hochbegabten“: Der kluge Oskar (Seth Tietze) lebt unter der ständigen Angst, es könnte etwas vom Himmel auf seinen Kopf fallen.

Hauptthema in den Nachrichten ist ein „Mister 2000“. Der berüchtigte Kindesentführer wird auch Aldi-Kidnapper genannt, weil er stets nur 2.000 Euro als Lösegeld verlangt. Für seine Mutter Tanja aber wäre diese Summe schon viel zu viel. Rico hat aus dem Kinderzimmerfenster „Tieferschatten“ bemerkt im nach einem Wohnungsbrand einsturzgefährdeten Hinterhaus. Hält der Entführer dort seine Geiseln verstreckt? Nachdem ein Foto von Oskar als neues Opfer in den Fernseh-Nachrichten erscheint, nimmt Rico seinen ganzen Mut zusammen, um auf eigene Faust seinen besten Freund aus den Fängen von „Mister 2000“ zu befreien…

Der international erfolgreiche hessische (Drehbuch-) Autor Andreas Steinhöfel schuf 2008 mit „Rico, Oskar und die Tieferschatten“ das wohl erfolgreichste Kinder- und Jugendbuch der letzten Jahre, dem inzwischen vier weitere Geschichten um die beiden Freunde gefolgt sind. Nach Neele Leana Vollmars vielfach preisgekrönter 2014er Verfilmung des Auftakt-Kinderbuchs in grandioser Besetzung zeigt das Gelsenkirchener Musiktheater im Revier nun eine Theaterfassung von Felicitas Loewe für alle ab acht Jahren.

In Anke Niehammers vielfach nutzbaren, immer neue Räume öffnenden Kubus auf der ständig rotierenden Drehscheiben-Bühne agiert ein um den musikalischen Leiter Martin Sotelo auf Gitarre und Klavier verstärktes, herrlich berlinerndes, hochmotiviertes fünfköpfiges Puppenspieler-Ensemble, das noch jeden Umbau der wenigen Requisiten (roter Hydrant, gelber Briefkasten, Straßenschild) zu einem choreographischen Ereignis werden lässt. Die Regisseurin Kai Anne Schuhmacher, auch für die ihre Figuren augenzwinkernd-ironisch charakterisierenden Kostüme und die herrlich „schrägen“ Puppen verantwortlich, inszeniert binnen gut einer Stunde in geradezu atemloser Geschwindigkeit multimedial. Dass der Kölner MiR-Debütantin bei diesem rastellihaften Wechselspiel von Schauspiel mit Puppen, Schattenspiel und Live-Cam-Projektionen auch einmal ein unbedeutender Regiefehler unterläuft (in einem Film-Einspieler hat Oscar bemalte Fingernägel), macht diese höchst ungewöhnliche, für ein Opernhaus musikalisch freilich eher unterbelichtete Produktion nur noch sympathischer.

Anzeige: Glasfaser in Crange

Die nächsten Familienvorstellungen: Am Samstag, 6. November, und Sonntag, 7. November 2021 sowie am Sonntag, 12. Dezember 2021 und am Sonntag, 26. Dezember 2021, jeweils um 16 Uhr. Karten unter musiktheater-im-revier-de oder unter Tel 0209 – 40 97 200.

Vergangene Termine (4) anzeigen...
  • Samstag, 6. November 2021, um 16 Uhr
  • Sonntag, 7. November 2021, um 16 Uhr
  • Sonntag, 12. Dezember 2021, um 16 Uhr
  • Sonntag, 26. Dezember 2021, um 16 Uhr
| Autor: Pitt Herrmann