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Eine ruhige Kugel konnte Wolfgang Welt in der Pförtnerloge des Schauspielhauses Bochum besonders in der aufregenden Intendanz Leander Haußmanns nicht schieben.

Lesung über Wolfgangs kleine große Welt

Posthume Würdigung zum 70. Geburtstag

Er war ein Leben lang ein Außenseiter, doch mit seinem Leben zufrieden: Stellvertretend für die Stadt Bochum, dessen Stadtväter es offenbar immer noch nicht nötig haben, verneigt sich das Schauspielhaus Bochum vor Revierautor Wolfgang Welt. Anlässlich des 70. Geburtstags am Samstag (31.12.2022) des 2016 verstorbenen Ausnahmeschriftstellers lesen am Freitag, 3. Februar 2023, ab 20 Uhr im Oval Office, der intimen kleinen Keller-Spielstätte des Theaters an der Königsallee, die Ensemblemitglieder Veronika Nickl und Konstantin Bühler sowie der Autor Frank Goosen Texte des ehemaligen Theaterpförtners.

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Der Verlag Andreas Reiffer legte 2021 in zwei je rund 400 Seiten starken Paperbacks quasi das Gesamtwerk vor. Bislang verstreut, teils auch unveröffentlicht, befindet sich darin das Oeuvre, bis auf die größeren Romane, in kompakter Form. Dieser Ruhrpott-Schriftsteller, von manchen geringschätzend lediglich als Chronist des eigenen Lebens betrachtet, schrieb natürlich auch über sich, aber eben im Kontext seiner Zeit und seiner Umgebung.

Autor für die 'Süddeutsche Zeitung'

So beobachtete er ganz genau das Alltagsleben seiner Umwelt, fixierte es schriftlich, macht sich zum Zeitzeugen. Ist so auch begehrter Autor u.a. für die „Süddeutsche Zeitung“, wenn es darum für die Nachbarstädter geht, Abschied vom das Stadtleben prägenden Opelwerk zu nehmen. Wer kann schon zwei so prominente und renommierte Fürsprecher wie Willy Winkler und Peter Handke vorweisen?

Welts „oral history“ aus seinem Kiez im Bochumer Osten macht ihn für Zeitkritiker und Schriftsteller Winkler zum größten Erzähler des Ruhrgebiets; der spätere Literaturnobelpreisträger Handke ermunterte den Langendreerer Literaten stetig. „Buddy Holly auf der Wilhelmshöhe“, sein bekanntestes Buch ist, welcher Autor des Ruhrgebiets kann das für sich in Anspruch nehmen, im Suhrkamp-Verlag erschienen. Seine Musikkritiken u.a. auch über die Wanne-Eickeler Formation „Vorgruppe“ sind in „Kein Schlaf bis Hammersmith“ nun nachzulesen.

Er nimmt die Leser mit

„Indem Welt zunehmend gelebtes Leben in seine Texte über Musik und Literatur einfließen lässt - ein außergewöhnliches und auch mutiges Vorgehen -, nimmt er die Leser im wahrsten Sinne des Wortes mit. Welt tritt ungeheuer meinungsstark auf, nach der Lektüre weiß man immer genau, wie er die Platte, das Buch, den Film, das Theaterstück fand, eine Konsequenz, die heutige Kritiken nur selten aufweisen. Seine Erzählungen sind lakonisch-lässig, immer unverstellt, hoch-assoziativ. Sie haben einen unverwechselbaren Sound, zwischen den Zeilen schimmert staubtrockener Humor.“ So beschreibt Herausgeber Martin Willems vom Düsseldorfer Heinrich-Heine-Institut, das den Nachlass des Schriftstellers betreut, das Wirken Welts als einmalig.

In Eugene O’Neills „Hughie“, der letzten Produktion der Ära des Intendanten Matthias Hartmann am Schauspielhaus Bochum, verkörperte Wolfgang Welt die Titelfigur, Premiere war am 21. Mai 2005 im Theater unter Tage.

Schnupperstudent, Schallplattenverkäufer, Musik- und Literaturkritiker für Szene- und Insidermagazine, Romanautor, Nachtportier am Schauspielhaus Bochum: Ausgestattet mit einem großen Faible für London weilte Welt mehrfach in der britischen Hauptstadt und Musikmetropole. Ob er nun als der Vorreiter der Pop-Literatur genannt wird, es wäre ihm vermutlich egal gewesen.

Welt hatte mit einer Erkrankung zu leben

Was Fakt ist: Der Schreiber von der Wilhelmshöhe hatte mit einer Erkrankung zu leben, sich damit einzurichten. Wenn seine Mutter noch zu deren Lebzeiten und das Schauspielhaus Bochum in einem kurzen Nachruf von einem Geheimnis dieser Autorenpersönlichkeit sprachen, dann ist es vielleicht dies: Schriftsteller zu werden war sein erklärtes Ziel, doch um davon leben zu können, hatte er sich mit seinem Handicap abzufinden. Was ihm trotz und alledem mit großer Lakonie, Lässigkeit und auch Würde gelungen ist. In jungen Jahren Fan von Buddy Holly und anderen Rock'n'Rollern bevorzugte der Nachtdienstler bei seiner Arbeit zuletzt den sanften Schlagersound von WDR 4.

In einem Brief an die damalige Bochumer Kulturdezernentin Ute Canaris schrieb Welt seinerzeit, er habe gedacht, während Leander Haußmanns Intendanz eine ruhige Kugel schieben zu können. Aber Pustekuchen: bis vier, fünf Uhr sei jede Nacht Betrieb in der Kantine gewesen und er musste Eindringlinge abwehren, die da auch billiges Bier saufen wollten. „Ich hab jedenfalls die ganze Zeit keine Ruhe, schon gar nicht zum ­Schreiben. In der letzten Stunde muss ich noch einen Rundgang machen, bei dem ich nicht selten in Haußmanns Büro den Flipper und den Sender Viva im Fernsehen ausschalten muss“, beklagte sich Welt bitter.

Wolfgang Welt liest im Juni 1981 seinen Bruce-Cockburn-Artikel.

Mit der letzten Inszenierung der Ära des Intendanten Matthias Hartmann, Eugene O’Neills „Hughie“, die am 21. Mai 2005 Premiere im Theater unter Tage, dem heutigen Oval Office, feierte, bescherte Regisseur Marc Lunghuß dem gestressten Nachtpförtner die erste und einzige Rolle als Schauspieler – als stummer Wiedergänger der Titelfigur.

Andere Zeitgenossen bekamen seine Äußerungen ab

Wolfgang Welts radikal subjektiven und meinungsstarken Äußerungen bekamen auch Zeitgenossen aus unserer Stadt zu „spüren“. So bezeichnete er den Schriftsteller Volker W. Degener als schreibenden Hauptkommissar, den Theatermacher Willi Thomczyk als notorischen Nichtskönner und glücklosen Künstler. Torwartlegende Hans Tilkowski war für ihn lediglich ein Handwerker, wünschte er sich den Herner Vorzeigefußballer doch eher als Zerberus, in Anlehnung an den Höllenhund aus der griechischen Mythologie. Und einen ganz privaten Bezug zu Wanne-Eickel findet sich in dem Umstand, dass sein Bruder seit vielen Jahren dort der Liebe wegen lebt.

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Auch andere Persönlichkeiten stutzte und putzte er runter und zurecht. In kürzester Zeit wurde Welt seinerzeit vom Stadtmagazin-Zeilenschmierer zum Gonzo-Rockkritiker, dessen grob gedrechselte Hasslatten gegen die damals angesagte Neue Deutsche Welle im Allgemeinen und die Deutschrockstars Herbert Grönemeyer, Marius Müller-Westernhagen und Heinz Rudolf Kunze im Besonderen enorme Anziehungskraft besaßen. „Das hättest du auch schreiben können, wenn du schreiben könntest“, bemerkt er in einer ausnahmsweise lobenden Kritik über einen PENcil haltenden Ruhrpott-Lyriker. „WoW“, Wolfgang Welts Kürzel, sagte eigentlich alles.

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  • Freitag, 3. Februar 2023, um 20 Uhr
| Autor: Sabine Herrmann