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Franz Rogowski und Paula Beer in „Undine“.

Berlinale-Erfolg auch in Herne

Paula Beer ist Undine

„Du kannst nicht gehen. Wenn du mich verlässt, muss ich dich töten“: Undine (Paula Beer) hat es eilig, ihr kleines Appartement am Alexanderplatz zu verlassen, auch wenn ihr Freund Johannes (Jacob Matschenz) gerade verkündet hat, sie verlassen zu wollen. Die junge rothaarige Frau mit den großen grün-blauen Augen, für die gerade eine Welt zusammenbricht, muss zur Köllnischen Straße: Am Märkischen Museum in Berlin-Mitte wartet bereits eine Busladung Touristen auf die als Fremdenführerin tätige promovierte Stadthistorikerin.

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Später kommt es im benachbarten Hofcafe noch zu einer kurzen, stummen Begegnung: Undine fürchtet den Fluch der zerstörten Liebe aus dem mit ihrem Namen verbundenen Mythos. In dem die Wassernymphe als Elementargeist des Wassers in Menschengestalt nur durch die Heirat mit einem Menschen die unsterbliche Seele erlangen kann. Nach der französischen Melusinen-Sage aus dem 12. Jahrhundert und der deutschen Version Egolf von Stauffenbergs aus dem 14. Jahrhundert muss Undine, kommt sie nach der Hochzeit wieder mit ihrem Elementarreich in Berührung, auf ewig dorthin zurückkehren. Und verheiratet sich ihr Gatte neu, bedeutet das seinen sicheren Tod.

Moderne Version der romantischen Nixe: Silberner Bär für Paula Beer.

Soweit ist es noch zum Glück noch nicht, als sich Undine nach Feierabend eine Ruhepause im Cafe gönnt. Im dortigen Aquarium scheint das Miniaturmodell eines Tauchers ihren Namen zu flüstern, als ein Gast den Raum betritt, der gerade noch mit großer Aufmerksamkeit ihre Erläuterungen am Berliner Stadtmodell verfolgt hat: Christoph (Franz Rogowski) ist als Industrietaucher sehr interessiert an der Geschichte der in sumpfigem Gelände weitgehend auf Pfählen errichteten Hauptstadt. Kaum haben sich beide entdeckt, funkt es zwischen ihnen – und das Wasser des mit lautem Knall berstenden Aquariums überflutet sie.

Christoph gehört zusammen mit seiner grazilen Kollegin Monika (Maryam Zaree) einem Spezialtrupp an, der die Staumauer eines Sees unweit von Lüdenscheid saniert – unter Wasser. In dem es einen von ihm Gunter genannten zwei Meter langen Wels geben soll. Was Undine sogleich reizt, am Wochenende nach Westdeutschland zu reisen. Als sie der Volmetalbahn in Brügge entsteigt, ist es nur ein kurzer Weg ins nasse Element, in dem sie sich gleich ganz daheim fühlt – auch ohne Taucheranzug. Oder ist das mit dem Wels nur ein Traum gewesen? Christoph hat jedenfalls einige Mühe, Undine an Land und wieder ins Leben zurück zu holen. Für sie ist diese zarte, neugierige und vertrauensvolle Beziehung ein geradezu erlösendes Liebesglück. Der sensible Christoph dagegen ahnt, dass noch ein anderer Mann im Spiel ist.

In der Tat taucht Johannes bei einem gemeinsamen Berlin-Wochenende wieder auf – zu spät aus Undines Sicht. Als sie zum Gegenbesuch im Sauerland weilt, verunglückt Christoph. Zwölf Minuten ohne Sauerstoff: Im Städt. Krankenhaus Solingen wird sein Hirntod festgestellt. Undine kehrt nach Berlin zurück, wo sich Johannes gerade mit Gattin im Pool seiner Luxusvilla vergnügt. In dem Moment, als Undine in das Schwimmbecken steigt, wacht Christoph entgegen aller medizinischer Weisheit auf und ruft nach Undine...

Regisseur Christian Petzold, der bereits in seiner Anna Seghers-Romanadaption „Transit“ mit Paula Beer und Franz Rogowski als Protagonisten zusammenarbeitete, kannte den Mythos von der geheimnisvollen Wasserfrau, die nur durch die Liebe eines Menschen ein irdisches Leben führen kann, seit seiner Kindheit. Doch erst Peter von Matts Sachbuch „Liebesverrat“ und Ingeborg Bachmanns Erzählung „Undine geht“ haben ihn für den Stoff interessiert, den die deutsche Romantik im 19. Jahrhundert in unzähligen Variationen verbreitete. Die erste Drehbuch-Skizze entstand bereits am Rande des „Transit“-Drehs im Hotelzimmer in Marseille: „Der Fluch bei Ingeborg Bachmann ist der, dass die Männer niemals treu sind, weil sie sich im Grunde nur selber lieben. Und diesen Fluch zu brechen, aus einer weiblichen Perspektive, kam mir als richtige Erzählhaltung vor. Dass die Undine bei uns nicht wieder zum Waldsee will. Dass sie nicht töten will. Da ist ein Mann, Christoph, der sie zum ersten Mal um ihrer selbst willen liebt, und das ist eine Liebe, für die sie kämpft.“

„Undine“ ist Petzolds erster Film mit digitaler Technik. In den traditionsreichen Babelsberger Studios wurde eine ganze Unterwasserwelt errichtet und natürlich ist auch der Wels Resultat der VFX-Spezialisten, aber Kameramann Hans Fromm hatte mit Sascha Mieke auch einen Experten für die ganz realen Tauchaufnahmen in der Lingesetalsperre bei Gummersbach gleich zu Beginn der Dreharbeiten an seiner Seite. Eine Gegend, die den in Haan aufgewachsenen Regisseur schon als Kind fasziniert hat – wie die im Stil mittelalterlicher Burganlagen errichteten Talsperren und Industriegebäude im Bergischen Land. Und es ist sicherlich kein Zufall, dass Undine an der Seite der ungleich resoluteren Anna (Anne Ratte-Polle) im Märkischen Museum arbeitet, einem historisierend-romantischen Gebäude von 1908, das historische Baustile des Mittelalters und der Renaissance nachahmt. Christian Petzolds farbsatter Film ist zugleich eine gar nicht so unterschwellige Kritik an den glatten Neubau-Fassaden der Friedrichstraße und am Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses, weil der mit der Zerstörung des DDR-Palastes der Republik einherging. Undines hugenottischer Nachname Wibeau verweist zudem auf Ulrich Plenzdorfs Filmszenarium „Die neuen Leiden des jungen W.“, das nach Ablehnung durch die Defa 1972 als Roman und Bühnenstück herauskam.

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„Undine“, am 23. Februar 2020 im Wettbewerb der 70. Berlinale uraufgeführt, heimste an der Spree den Fipresci-Preis der internationlen Filmkritik ein. Zudem gabs den Silbernen Bär für Paula Beer als „Beste Darstellerin“. Coronabedingt kommt der Neunzigminüter erst am 2. Juli 2020 bundesweit in die Kinos – auch in der Filmwelt Herne.

| Quelle: Pitt Herrmann