Ovationen für "Viele Grüße Ingrid"
Am Ende war es totenstill. Mit der schwarzen Standarte in der Hand hatte Lotti (Merit Schröder) mit brüchiger Stimme eine Moll-Version des HJ-Liedes vorgetragen. "... die Fahne führt uns in die Ewigkeit." Ihre besten Freundinnen Ingrid und Marianne, gerade 13 Jahre alt, sind tot, beerdigt. Opfer eines Blindgängers. Ein vermeidbarer Tod, sinnlos wie der Krieg. Das Publikum war sekundenlang schweigend beeindruckt, bevor der Applaus losbrach. Minutenlange stehende Ovationen für eine herausragende Leistung einer Gruppe 13- bis 16-jähriger Schüler der Erich-Fried-Gesamtschule.
"Viele Grüße Ingrid" heißt das "Stück gegen den Krieg für Menschen ab 13", das die jungen Akteure in monatelanger Arbeit am 22. November 2014 erstmals auf die Bühne gebracht haben. Hintergrund ist eine wahre Geschichte aus einer Bergarbeitersiedlung in Bochum-Gerthe. In aufwändigen Recherchen haben Schüler des Unterrichtsfaches Kohlengräberland die Fakten rund um das Schicksal der Familien zusammengetragen. Lehrer Ulrich Kind schuf daraus eine szenische Collage und verarbeitete zugleich auch einen Teil seiner eigenen Familiengeschichte. Inszeniert wurde die Aufführung von der angehenden Theaterpädagogin Lisa Krischker, die damit auch ihre Examensarbeit vorlegte.
Ingrid, Marianne und Lotti sind ganz normale Jugendliche. Ihre Träume, Hoffnungen und Ängste kreisen um Jungs, die Hitlerjugend, Poesiealben, Kinderland-Verschickung und den letzten Luftangriff auf ihre Heimatstadt. Ihre männlichen Altersgenossen bereiten sich auf den Einsatz an der Front vor. Das Dritte Reich mobilisiert seine letzten Reserven. Kinder bedienen die Flak-Geschütze und räumen Leichen weg.
Die Blickrichtung wechselt: Britische Soldaten schildern ihre Erinnerungen als Mitglieder der Besatzungen eines Bombers und eines Kriegsschiffes. Auch sie sind jung. Sie sehen ihre Kameraden sterben. Beide kommen knapp mit dem Leben davon. "We meet again", einen englischen Schlager aus den 40er Jahren, singt das Zeitgeist-Ensemble Ruhr. Im Krieg sind alle Opfer. Hoffnung dagegen macht die, von Deborah Schwittai gekonnt vorgetragene Geschichte einer Bergarbeiterfamilie, die monatelang einen abgeschossenen, englischen Flieger auf dem Dachboden versteckt hielt. Aus Feinden wurden lebenslange Freunde.
Mit großer Textsicherheit und voll in ihrer Rolle verhaftet, schufen die Jugendlichen eine beklemmende Atmosphäre, der sich das Publikum kaum entziehen konnte. Der Beifall am Ende ermutigt zu einer Wiederholung auf einer größeren Bühne. Ein besonderer Dank ging am Ende an die zahlreichen Zeitzeugen, die ihr Wissen und ihre Geschichten für das Stück beigetragen hatten. Die hochbetagten Frauen und Männer waren Ehrengäste der Aufführung und stellten sich am Ende gemeinsam mit dem Ensemble zu einem Gruppenbild auf der Bühne.