halloherne.de

lokal, aktuell, online.
Karneval im Dreivierteltakt: Beim Nobelitaliener geht die Post ab auf Beata Kornatowskas mehrere Ebenen umspannenden Bühne.

Eine etwas andere Nacht in Venedig

Opererettenfantasie nach Johann Strauß

Affären stehen im Mittelpunkt der turbulenten Verwechslungskomödie „Eine Nacht in Venedig“, deren Uraufführung Johann Strauß aufgrund einer Affäre seiner zweiten Frau Angelika Dittrich mit Franz Steiner, dem Direktor des Theaters an der Wien, nach Preußen vergab: Als einzige Operette des großen Walzerkönigs kam sie am 3. Oktober 1883 am Neuen Friedrich-Wilhelmstädischen Theater in Berlin heraus.

Anzeige: Spielwahnsinn 2024

Mehr als ein Vierteljahrhundert ist es her, als „Eine Nacht in Venedig“ zuletzt in Gelsenkirchen auf dem Spielplan stand. Da firmierte das MiR noch unter „Schillertheater NRW“ und die Walzerklänge von Johann Strauß ertönten auf Nordstern am Rhein-Herne-Kanal: die neuerbaute Freilichtbühne zur Bundesgartenschau wurde unter anderem mit Hans-Hermann Ehrich als Guido, Herzog von Urbino, Anja Harteros als Fischermädchen Annina und dem 70-jährigen gebürtigen Herner Waldemar Mauelshagen als intriganter und nur scheinbar schwerhöriger Senator Testaccio eingeweiht.

Die gepuderten Perücken bleiben im Schrank

Beim aktuellen Intendanten des Musiktheaters im Revier, Michael Schulz, bleiben die gepuderten Perücken im Fundus. Er siedelt die Operette bei einem Edelitaliener unserer Zeit an und hat daher die Dialoge des Librettos von Camillo Walzel (Pseudonym Friedrich Zell) und Richard Genée grundlegend überarbeitet. In seiner „Operettenfantasie nach Johann Strauß“, die am Premierenabend des 25. November 2023 geteilte Aufnahme fand, erklingt die Bearbeitung Erich Wolfgang Korngolds. Der 1923 in Wien für den Startenor Richard Tauber Gesangseinlagen wie „Sei mir gegrüßt, du holdes Venezia“ und „Treu sein, das liegt mir nicht“ schuf, die heute nicht mehr aus dem Stück wegzudenken sind.

Ciboletta (Bele Kumberger) und Pappacoda (Martin Homrich) freuen sich des Lebens wie Caramello (Benjamin Lee) und Annina (Margot Genet).

Freilich bleibt es nicht bei Korngold. Das beginnt gleich mit Sebastian Schiller, der den Barden an der Gitarre mimt mit Tom Jones‘ „Sex Bomb“, Supermodes „Tell Me Why“ und Adriano Celentanos „Azzurro“. Eigentlich gibt er Enrico Piselli, den jungen Liebhaber der hier berlinernden Senatoren-Gattin Barbara Delaqua (Lina Hoffmann), die sich wenig später mit „Warum soll eine Frau kein Verhältnis haben?“ rechtfertigt aus der Operette „Eine Frau, die weiß, was sie will“ von Oscar Straus. Der mit der Walzerdynastie um Johann Strauß Vater und Sohn nichts zu tun hatte und haben wollte, weshalb er aus seinem Namen ein „s“ streichen ließ.

Karneval im Dreivierteltakt: Michael Schulz tanzt darüber hinweg und lässt Caramello (Benjamin Lee), den Leibbarbier des hier ständig in Anführungszeichen genannten Herzogs (Adam Temple-Smith), „La donna è mobile“ aus Giuseppe Verdis Oper „Rigoletto“ schmettern: Mit dem trügerischen Weiberherz ist die Fischhändlerin Annina (Margot Genet) gemeint, die ihren eigenen Kopf hat. Filmmusik von Nino Rota („Der Pate“) erklingt im Übergang vom ersten zum zweiten Akt, dann gibt’s, weil der angeblich aus dem anhaltinischen Bitterfeld stammende, aber breit sächselnde Makkaronikoch Pappacoda (Martin Homrich) heißt, das wundervolle Papagena-Papageno-Duett aus Wolfgang Amadeus Mozarts „Zauberflöte“.

Aktuelle politische Anspielungen

Und Johann Strauß? Klingt bisweilen durch zwischen Vaya Con Dios‘ „Nah Neh Nah“, barocken Klängen beim Requiem auf die Unterdrückung der Frauen zu allen Zeiten und dem finalen „Granada“ Agustin Laras. Wichtiger sind dem MiR-Intendanten mehr oder minder aktuelle politische Anspielungen. So führt Agricola (Anke Sieloff), deren Gatte Senator Barbaruccio in Gelsenkirchen dem Rotstift geopfert wurde, ein Aktionsbündnis für Gendergerechtigkeit an und Günter Schabowskis die Berliner Mauer öffnendes Adjektiv „Unverzüglich“ vom 9. November 1989 findet eine neue Verwendung.

Erwähnung finden muss noch Bele Kumberger als Pappacodas temperamentvolle Freundin Ciboletta, Barbara Delaquas Zofe. Die sich ebenfalls in eine ganz besondere, nach ein, zwei Piccolöchen ganz amüsante dreistündige Gelsenkirchener Nacht stürzt zusammen mit ihrer Herrin und Annina. Für die sich überschlagenden Liebeswirren hat Beata Kornatowska eine Bühne gebaut, die mit mehreren Ebenen, Séparées und den für eine rasante Komödie fast unerlässlichen Türen dem Trubel in jeder Hinsicht Raum gibt. Während Renée Listerdals Kostüme den Wechsel von Identitäten und Geschlechtern befördern.

Unter der musikalischen Leitung Giulano Bettas übernimmt mit der französischen Sopranistin Margot Genet ein neues Ensemblemitglied die Partie der Annina. Als bisherige Angehörige des Opernstudio NRW war sie aber schon dreimal in Gelsenkirchen zu erleben, so als Eurydike in „Orpheus in der Unterwelt“, Norina in „Don Pasquale“ und Amelia in „Bernarda Albas Haus“. Ab 8. Juni 2024 gibt sie die Despina in „Cosi fan tutte“ am Kennedyplatz.

Anzeige: Glasfaser in Crange

Karten

Karten gibt es auf der MiR-Homepage oder per Tel hier 0209 – 40 97 200 (Montag und Samstag von 10 bis 14 Uhr, Dienstag bis Freitag von 10 bis 18:30 Uhr).

Die weiteren Vorstellungen

  • Dienstag, 26. Dezember 2023, 18 Uhr
  • Sonntag, 31. Dezember 2023, 19 Uhr
  • Sonntag, 7. Januar 2024, 18 Uhr
  • Sonntag, 28. Januar 2024, 18 Uhr
  • Sonntag, 18 Februar 2024, 18 Uhr
  • Samstag, 6. April 2024, 19 Uhr
  • Sonntag, 7. April 2024, 18 Uhr
Vergangene Termine (7) anzeigen...
  • Dienstag, 26. Dezember 2023, um 18 Uhr
  • Sonntag, 31. Dezember 2023, um 19 Uhr
  • Sonntag, 7. Januar 2024, um 18 Uhr
  • Sonntag, 28. Januar 2024, um 18 Uhr
  • Sonntag, 18. Februar 2024, um 18 Uhr
  • Samstag, 6. April 2024, um 19 Uhr
  • Sonntag, 7. April 2024, um 18 Uhr
| Autor: Pitt Herrmann