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Neu im Kino: „Mutter“: Anke Engelke

Anke Engelke in ungewöhnlicher Rolle

Neu im Kino: „Mutter“

„Ich war absolut frigide – mit 23. Dann zog ich mit dem Mann zusammen, wieso weiß ich nicht. Und dann dachte der: Ja, die knackst du – egal, wie lange das dauert“ sagt die Stimme einer Frau zu Beginn, welche nicht der bekannten Schauspielerin Anke Engelke gehört, die in der Badewanne liegt und lippensynchron diesen Satz zu sprechen scheint. Die vielfach preisgekrönte Kölner Dokumentaristin Carolin Schmitz hat für „Mutter“ acht Frauen im Alter zwischen 30 und 75 Jahren zu ihrem Leben und ihrer Mutterschaft befragt.

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Alle diese Frauen, von der Frigiden bis zur Sexsüchtigen, von der Abtreibungswilligen bis zur Gattin eines erheblich jüngeren Mannes mit Mutterkomplex, von der beruflich stark geforderten Karrieristin bis hin zum Helikopter-Kontrollfreak, sind letztlich gerne Mütter geworden und empfinden ihre Kinder als großes Glück. Allerdings stellt die Mutterschaft auch unter positiven, ja sogar privilegierten Voraussetzungen ein höchst ambivalentes Phänomen dar – mit Überforderung aus Sorge um das Wohl der Kinder, um das eigene weitere berufliche Fortkommen und nicht zuletzt die eigene gesellschaftliche Stellung.

In „Mutter“, am 26. Juni 2022 beim Filmfest München uraufgeführt, übernimmt Anke Engelke vor der Kamera Reinhold Vorschneiders als fiktive Figur, der wir durch den Alltag einer Schauspielerin von der Morgentoilette über das Frühstück und die Fahrt zur Probe ins Theater bis hin zum Kantinenplausch, zum Einkaufen und zu den weiteren notwendigen häuslichen Arbeiten daheim folgen, die Aussagen der befragten Frauen.

Gymnastik ist für die Mutter mehr als nur körperliche Regeneration.

„Die Geburt meines Sohnes, ich sage das bis heute, das war der größte Glücksmoment in meinem Leben. Kann ich mir nicht vorstellen, dass ich noch mal was Größeres erlebe“: Eine Frau erfüllt lediglich den Kinderwunsch ihres Mannes aus Liebe zu ihm, eine andere, die schon zwei Abtreibungen hinter sich hat, bekommt mit 34 Jahren Torschlusspanik. Die nächste möchte durch einen Urlaub auf Alicante ihre Beziehung retten, während sich eine andere auf die bevorstehende Geburt des Kindes freut, aber von Ehe und konventioneller Familie nichts wissen will.

„Aber ich hab‘ schon gedacht, boah, ich brauch ein Kinderheim. Ich halt es nicht mehr aus. Man kriegt die Krise. Ich habe schon ausgerechnet, wie oft ich in meinem Leben sagen muss: Putz dir jetzt endlich die Zähne. Ich mein, der ist neun, der wird bald zehn. Das sag ich seit neun Jahren mindestens zwölf Mal am Tag“: Hausgeburt oder Klinikaufenthalt? Babysitter oder Schwiegereltern? Überforderung durch Zwillinge, die bei der Oma geparkt werden. Das Nachzüglerkind aber bleibt später bei der Mutter.

Die Familie, sagt eine der Befragten, sei eine Aufgabe, die der Leitung eines Familienbetriebes gleichkomme. Weshalb frau Träume erst nachgehen könne, wenn die Kinder groß sind – wenn überhaupt. Fazit: An der klaren Rollenzuteilung zwischen Mann und Frau hat sich im 21. Jahrhundert so gut wie nichts geändert. Immerhin: eine Frau verlässt ihre Familie, um mit einem Kollegen ins Ausland zu gehen. Was nichts besser macht.

Freude und Zweifel, Macht und Ohnmacht, Wut und Liebe – entindividualisiert. Carolin Schmitz im Mindjazz-Presseheft: „Ziel ist es, das Publikum in die Lage zu versetzen, sich dem Thema als allgemeinem Phänomen zu öffnen: Es darf der Schauspielerin durch ihren Alltag folgen und das, was sie erzählt, auf ihre jeweiligen Handlungen beziehen – oder aber die fehlende Kongruenz zwischen Bericht und Berichterstatterin nutzen für eigene, abweichende Assoziationen.“

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Nicht immer gibt Anke Engelke die Aussagen lippensynchron wieder, der O-Ton kommt auch schon ‘mal aus dem Autoradio. Mehr solcher Verfremdungseffekte hätten dem knapp neunzigminütigen Zwitter aus Dokumentation und Spielfilm gutgetan. „Mutter“ ist jetzt im Kino gestartet und u.a. im Sweetsixteen Dortmund und in der Galerie Cinema Essen zu sehen.

| Autor: Pitt Herrmann