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André M. Hennicke und Sabin Tambrea.

Hesse-Verfilmung macht Lust auf den Roman

Narziss und Goldmund

Zwei konträre Charakter mit entsprechend unterschiedlichen Lebensentwürfen bilden den Kern des 1930 erschienenen mittelalterlichen Romans „Narziss und Goldmund“ von Hermann Hesse. Auf der einen Seite der hochintelligente, selbstreflektierende, asketische und tiefreligiöse Narziss (eine ideale Besetzung, die der Leser der in der Suhrkamp-Werkausgabe 300 Seiten umfassenden Vorlage sofort vor Augen hat: Sabin Tambrea). „Er kommt ganz nach ihr, nach dieser dreckigen, davongelaufenen Hure“: Auf der anderen Seite der um vier Jahre jüngere, naiv-ungestüme Goldmund (Jannis Niewöhner), der von seinem Vater (Johannes Krisch) ins Kloster Mariabronn gebracht worden ist, weil er für die Schande seiner Mutter büßen soll.

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Der hellsichtige Abt Daniel (Branko Samarovski) erkennt sogleich, dass der zehnjährige Goldmund (Jeremy Miliker) einen Kameraden an der Seite benötigt, um sich den strengen Klosterregeln unterwerfen zu können. Und dass Narziss (als 14-jähriger: Oskar von Schönfels), der sich dem entsagungsvollen Leben hinter den Klostermauern sogleich mit jeder Faser seines Herzens verschrieben hat, genau der Richtige für diese Aufgabe ist. Rasch entwickelt sich eine tiefe Freundschaft zwischen den beiden so unterschiedlichen Jungen. Und Narziss erkennt bald, dass Goldmund, der sich vor den mysteriösen Figuren im Chorgestühl nicht weniger fürchtet als vor der überzogenen Strenge des beiden geradezu feindlich gegenübertretenden Bruders Lothar (André M. Hennicke), der auch vor harter körperlicher Züchtigung nicht zurückschreckt, einen anderen Weg als er selbst gehen muss – draußen in der Welt.

Jannis Niewöhner und Henriette Confurius.

Sieben Jahre später ist es soweit: Während Narziss sich endgültig für das Kloster entscheidet und sich in einer der zahlreichen spektakulären Szenen, die so nicht in Hesses Buch stehen, mit Selbstgeißelung züchtigt, verlässt der - in Parallelmontage gezeigt - von einer Zigeunerin (Elisabeth Kanettis) im Wald verführte Goldmund die Abtei. Weitere 15 Jahre später trägt Goldmund blutige Striemen auf dem Rücken: Er war inflagranti mit der Gattin (Sunnyi Melles) des Fürsten (agiert wie ein Wiener Strizzi: Georg Friedrich) erwischt und eingekerkert worden. Narziss, inzwischen Abt von Mariabronn, kann ihn durch einen Kleidertausch aus dem Verließ befreien. Der bei Hesse nur angedachte und durch Abmachungen zwischen dem Kloster und dem Fürsten kompensierte Fluchtplan wird in Stefan Ruzowitzkys Film breit ausgewalzte Realität. Ein paradigmatisches Detail: „Narziss und Goldmund“ entpuppt sich als zweistündiges rein spekulatives Epos und wer wie zahlreiche Kritiker von Werktreue schreibt, hat den Roman nicht gelesen.

Nun wird von dem ungemein vielseitigen und international erfolgreichen Wiener Filmemacher, der 2008 für „Die Fälscher“ mit dem „Oscar“ ausgezeichnet wurde und Träger weiterer renommierter Preise von Max Ophüls („Tempo“ und „Die Siebtelbauern“) über Goldener Spatz („Hexe Lilli“) bis zum österreichischen Romy („Die Hölle – Inferno“) ist, keine 1:1-Adaption der literarischen Vorlage erwartet. Sein Zugriff auf den Roman ist durchaus nachvollziehbar: Während die allerdings arg verkürzte Geschichte von Narziss, dem mit dem reaktionär-orthodoxen Bruder Lothar ein erfundener Gegenspieler an die Seite gesetzt wird, zur Rahmenhandlung verkommt, werden Goldmunds immer wieder in Rückblenden geschilderten und zumeist melodramatisch aufgeblasenen Erlebnisse zum Roadmovie in mittelalterlichem Gewand.

In der opulenten Szenerie Sebastian Soukops, gedreht wurde im Herbst 2018 u.a. in Österreich auf der Burg Hardegg im Thayatal, im Stift Zwettl und im Kloster Mariabronn sowie in Südtirol und Tschechien, rückt Kameramann Benedict Neuenfels das Star-Ensemble auf der großen Leinwand ins rechte Licht, vorzugsweise die Frauen: Jessica Schwarz, Emilia Schüle, Elisa Schlott und vor allem Henriette Confurius als Lene, die Goldmund beim Handwerksmeister Niklaus (Uwe Ochsenknecht) kennen und lieben lernt – zum Verdruss von dessen Tochter Lisbeth (Roxane Duran), bei Hesse eine behinderte, so verzweifelt wie stumm Liebende, im Film eine elfenbeinfarbene Schönheit nackt unter der Gartendusche.

Themen wie Homosexualität und ewiger Suche nach der Mutter, bei Hesse mit äußerster Behutsamkeit und Delikatesse angesprochen, werden von Ruzowitzky und seinem Co-Autor Robert Gold im Stil Hollywoods dramatisiert, die gewaltige Feuerwalze des Finales ist reinste Erfindung wie der überdimensionierte Kitschaltar Goldmunds, welcher ihr zum Opfer fällt. Stefan Ruzowitzki: „Ich wollte so richtig schönes Gefühlskino machen, mit großen Kinobildern, tollen Kostümen und wunderbaren Schauspielern. Geld zurück, wenn man nicht ein paar Mal einen Kloß im Hals hat, weil alles so berührend, so traurig oder einfach so schön ist!“

Man kann „Narziss und Goldmund“ mit nur einem Satz abtun, wie es die FAZ am 12. März 2020 tat: „Hermann Hesse ist tot und kann gegen Verfilmungen seiner Werke nichts tun.“ Man kann den am 2. März 2020 im Berliner Zoo-Palast uraufgeführten und vor dem coronabedingten Stillstand nur kurz in den Kinos gezeigten Action-Streifen aber auch zum Anlass nehmen, ‘mal wieder Hermann Hesse zur Hand zu nehmen. Das entschleunigt ungemein und fördert die Konzentration auf das Wesentliche.

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P.S. Als „4 Blocks“-Star Kida Khodr Ramadan, 1978 in Beirut geboren und in Berlin-Kreuzberg aufgewachsen, gleich in einer der ersten Szenen als medizinisch versierter Bruder Anselm ins Bild kommt, bricht Gelächter aus bei der Pressevorführung in der Astor Film Lounge am Berliner Kudamm. Ich bin sicher, dass dieselben Kollegen jedes Blackfacing etwa bei einer Theateraufführung von William Shakespeares „Othello“ aus moralischen Gründen mit Vehemenz verdammen würden.

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  • Montag, 15. Juni 2020, um 19:30 Uhr
| Quelle: Pitt Herrmann