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Susanna (Markéta Klaudová) wird von Graf Almaviva (Tobias Greenhalgh) bedrängt zur Freude des Satyr (James Michael Atkins).

'Jede Nummer ist ein Hit'

Mozarts 'Figaro' in Essen

In Wolfgang Amadeus Mozarts 1786 am Wiener Hoftheater uraufgeführten Buffo-Oper „Die Hochzeit des Figaro“ nach Beaumarchais' gleichnamigem bissigem Angriff auf das vom Adel reklamierte „Recht der ersten Nacht“ wie auf die feudale Willkürherrschaft überhaupt am Vorabend der Französischen Revolution wollen Figaro (Baurzhan Anderzhanov) und Susanna (Markéta Klaudová alternierend mit Lisa Wittig) heiraten.

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Wogegen spricht, das der Kammerdiener des Grafen Almaviva (Tobias Greenhalgh) seine Schulden bei der Haushälterin Marcellina (Bettina Ranch) noch nicht bezahlt hat und diese nun verabredungsgemäß darauf pocht, selbst seine Braut zu werden. Und das Kammermädchen der Gräfin Almaviva (mit Ovationen gefeiert: Jessica Muirhead) nach wie vor das Objekt der Begierde ihres Herrn ist, der seinen Entschluss, auf das Recht der ersten Nacht zu verzichten, längst bereut hat. Weshalb er den Liebenden zwar ein eigenes Zimmer zugewiesen hat, das aber nur seinen eigenen Interessen, ganz schnell bei Susanna unterschlüpfen zu können, entspricht.

Diese „commedia per musica“ mit einst revolutionärer Sprengkraft ist heute einer der größten Klassiker des Opernrepertoires: gesungen wird inzwischen in der italienischen Originalsprache des Librettisten Lorenzo da Ponte, auch wenn wie jetzt in Essen „Die Hochzeit des Figaro“ annonciert wird wie einst in goldenen Felsenstein-Zeiten. Dafür dürfen die Regisseure alle Register ziehen wie sonst nur bei Shakespeare.

Debüt wurde zugleich zur Abschiedsproduktion

Flotter Dreier mit Susanna (Markéta Klaudová), Gräfin Almaviva (Jessica Muirhead) und Cherubino (Miriam Albano).

Immo Karamann etwa verlegte in Gelsenkirchen das Geschehen in einen schlichten, von Umzugskartons zugemüllten Hartz-IV-Wohncontainer, Barrie Kosky stellte unter dem Motto „Cosi fan tutti“ lauter Verliebte und Verrückte auf die Bretter der Komischen Oper Berlin, die sich am Ende zu einer jüdischen Doppelhochzeit zusammenrauften. Jürgen Flimms Motto an der benachbarten Staatsoper lautete „Unser Figaro macht Ferien“ – und das, angesiedelt in den 1930er Jahren, im alten Seebad Cadiz unweit Sevillas. Mariame Clément schließlich ließ in Dortmund in einem abstrakten, nur mit Kreidestrichen markierten Raum spielen, in dem sich Figaro vom Grafen schmieren lässt und die gehörnte Gräfin am Ende ihren Ehering ins Versöhnungs-Champagnerglas wirft.

Nun also die bereits für 2020 geplante und dann pandemiebedingt verschobene Neuinszenierung des niederländischen Regisseurs Floris Visser, der in jüngster Vergangenheit etwa mit Inszenierungen von „Manon“ an der Oper Zürich oder „La Bohème“ beim renommierten Glyndebourne Festival 2022 auf sich aufmerksam machen konnte. Sein am Premierenabend am Samstag (13.5.2023) im Aalto-Theater einhellig gefeiertes Essener Debüt wurde zugleich zur Abschiedsproduktion des ebenfalls heftig umjubelten Generalmusikdirektors Tomáš Netopil, der sich noch einmal dem Komponisten widmete, mit dessen Werk er sich in besonderer Weise identifiziert. Er hat den großen Erfolg von Mozarts „Komödie durch Musik“ mit der Popularität eines Musicals verglichen: „Jede Nummer ist ein Hit“. Was man in dieser Essener Klasse-Besetzung über gut drei Stunden (plus Pause) nur unterstreichen kann.

'Turbulente Verwechslungskomödie'

Floris Visser verlegt die turbulente Verwechslungskomödie, die Susanna und die Gräfin organisieren, um die Absichten des Grafen bloßzustellen, in die 1920er Jahre – und damit in eine Zeit, in der noch Zeitung gelesen wurde. Die ersten drei Akte spielen in einem englischen Herrenhaus, während sich im vierten das Durchgangszimmer von Figaro und Susanna in den Garten verwandelt. Damit setzt der Ausstatter Gideon Davey ein Konzept um, das der allmählich ins Haus übergreifenden Natur metaphorischen Charakter zumisst: die strenge gesellschaftliche Konvention des Hausstandes wird überwuchert durch das freie Spiel der Triebe. Diesen Konflikt visualisieren auch zwei hinzuerfundene, stumme Gegenspieler mit dem die ungezügelte Lust personifizierenden Dionysos-Spross Satyr (James Michael Atkins) und dem die hehren Ideale der treuen Liebe verkörpernden Cupido (Mick Morris Mehnert), die sich bereits während der Ouvertüre gegenseitig belauern.

Kaum ist die Gräfin im 2. Akt mit einem Bild ihrer Hochzeit ins Bett gegangen, um besseren Zeiten nachzutrauern, vereinigt sie sich mit Cherubino (Miriam Albano) und Susanna zu einem flotten Dreier: lustvolle Frauen-Solidarität besiegt männlichen Machtanspruch. Das ist bis zum scheinbar überzuckerten Ende ganz aus heutiger Perspektive inszeniert: Graf und Gräfin liegen versöhnt zusammen im Bett – aber Cupido hängt mit einem Pfeil im Rücken in den Seilen…

Floris Vissers Beitrag zur MeToo-Problematik wie zur geschlechterdefinierten Rollenzuordnung, der androgyne Cherubino wird um seine Lockenpracht gebracht und vom Grafen in der britischen Uniform des Ersten Weltkriegs samt Gasmaske in den Krieg geschickt, steht wieder am Sonntag und Samstag, 21. und 27. Mai 2023, sowie am Sonntag, 4. Juni 2023, am Mittwoch, 7. Juni 2023, am Freitag, 9. Juni 2023, sowie am Donnerstag und Sonntag, 15. und 25. Juni 2023, auf dem Spielplan des Aalto-Theaters, Einführungsvortrag 30 Minuten vor jeder Vorstellung im Foyer, Nachgespräch am Samstag und Sonntag, 27. Mai und 4. Juni 2023, in der Aalto-Cafeteria.

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Karten sind erhältlich im TicketCenter der TUP, II. Hagen 2 in der Essener City, an der Kasse des Aalto-Theaters, Opernplatz 10, online unter theater-essen.de und unter Tel. 0201 81 22-200.

Vergangene Termine (5) anzeigen...
  • Sonntag, 21. Mai 2023, von 18 bis 21:30 Uhr
  • Samstag, 27. Mai 2023, von 19:30 bis 22:30 Uhr
  • Sonntag, 4. Juni 2023, von 18 bis 21:30 Uhr
  • Mittwoch, 7. Juni 2023, von 19:30 bis 22:30 Uhr
  • Freitag, 9. Juni 2023, von 19:30 bis 22:30 Uhr

Weitere Termine

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  • Donnerstag, 15. Juni 2023, von 19:30 bis 22:30 Uhr
  • Sonntag, 25. Juni 2023, von 16:30 bis 20 Uhr
| Autor: Pitt Herrmann