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Der schöne Schein ist harter Realität gewichen: Piotr Prochera (Sharpless), Norokio Ogawa-Yatake, Ilia Papandreou und Tobias Glagau (Goro).

Gabriele Rechs großer Wurf

'Madama Butterfly'

Was kostet die Welt? Leutnant Pinkerton von der US-Marine, mit der „Abraham Lincoln“ in Nagasaki stationiert, kauft nicht nur ein japanisches Freudenhaus, sondern mit Butterfly eine junge Geisha gleich mit. Nach der durch den amerikanischen Konsul Pinkerton beglaubigten Hochzeit, welche durch die buddhistischen Angehörigen der Braut gestört wird, nachdem diese erfahren haben, dass Butterfly zum Christentum konvertiert ist, verlässt Pinkerton für drei Jahre das Land – und Butterfly, die inzwischen ein Kind zur Welt gebracht hat, wartet sehnsüchtig auf ihren Gatten. Doch der kehrt mit seiner amerikanischen Ehefrau Kate zurück, um den Sohn „heimzuholen“. Die Geisha Cio-Cio-San nimmt sich das Leben...

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Die Hilsdorf-Schülerin Gabriele Rech, die bis dato am Gelsenkirchener Musiktheater im Revier zwei Kinderstücke inszeniert hatte, wagte sich bei ihrem dreistündigen Operndebüt Anfang November 1994 an die Puccini-Tragödie mit der ausdrücklichen Absicht, sie von aller Japanoiserie-Folklore zu befreien: Sie wollte den gescheiterten Versuch einer Frau, sich vom tradierten Rollenklischee zu emanzipieren, inszenieren. In der Titelpartie eine mit ihrer Ausdrucksstärke überragende japanische Sopranistin Noriko Ogawa-Yatake - in provokantem amerikanischen Outfit.

Suzuki (Noriko Ogawa-Yatake) beobachtet argwöhnisch die sich anbahnende Liaison zwischen Cio-Cio-San (Ilia Papandreou) und Pinkerton (Carlos Cardoso).

Das am 17. Februar 1904 am Mailänder Teatro alla Scala uraufgeführte Werk fiel zunächst kräftig durch, sodass bis zum Durchbruch zwei Jahre später weitere drei Fassungen notwendig wurden: „Madama Butterfly“ ist wohl die einzige Oper in der Musikgeschichte, deren musikalische Struktur nach der Uraufführung noch wesentlich umgestaltet worden ist. In Gelsenkirchen hatte die Chefdramaturgin Carin Marquardt vor 28 Jahren eine interessante, spannungsreiche Kompilation der ursprünglichen Mailänder mit der vierten, der Pariser Fassung von 1906/07, vorgenommen und – Tempi passati - im vorzüglichen Programmbuch samt deutschem Libretto der italienisch gesungenen Oper erläutert.

Zum zweiten Mal hat sich nun die in Duisburg geborene, aber in Wanne-Eickel aufgewachsene Regisseurin Gabriele Rech mit Giacomo Puccinis Tragödie am MiR auseinandergesetzt. Zugrunde liegt jetzt die zweite Fassung, die, uraufgeführt am 28. Mai 1904 im Teatro Grande in Brescia, wesentliche Charakteristika der bereits am Tag nach der Uraufführung zurückgezogenen Urfassung verwirft und überdies den überlangen zweiten Akt in zwei selbständige Aufzüge teilt.

Ihre eigene Perspektive auf die Geschichte habe sich nicht stark verändert, offenbarte die Regisseurin im Presse-Vorgespräch, dafür aber der Blick der Gesellschaft auf die Themen, auf die Frauenfiguren und den Exotismus. Ihre Neuinterpretation spiegele die europäische Sichtweise des italienischen Komponisten Puccini auf eine scheinbar idyllisch-exotische Welt. Was sich zuallererst in der Besetzung ausdrückt: Noriko Ogawa-Yatake, jetzt sehr anrührend als Dienerin Suzuki zu erleben, hat knapp drei Jahrzehnte später eine Europäerin als „Nachfolgerin“ erhalten, die in London geborene griechische Sopranistin Ilia Papandreou (MiR-Debüt als Marta in „Die Passagierin“).

Gemeinsam mit Bühnenbildner Dirk Becker und Kostümbildnerin Renée Listerdal thematisiert Gabriele Rech die Brüche auf der Bühne: Im sehr hart akzentuiert gesungenen und im Graben absichtsvoll laut intonierten ersten Akt wird ein bewusst buntes Klischeebild des für westliche Touristen konservierten traditionellen Japan erzeugt, das nach der Pause einer Trümmerlandschaft weicht. In ihr drückt sich die innere Verfassung der sich verzweifelt an die eigene Lebenslüge klammernden „Leichten Wolke“ aus. Die hier freilich kein unschuldig-verführtes 15-jähriges Mädchen wie bei Puccini ist, sondern eine lebenshungrige erwachsene Frau. „Ehrenvoll sterben“ ist heute keine Option mehr, weshalb für die seit geraumer Zeit als Professorin in Köln und Aachen tätige Wanne-Eickelerin die finale rituelle Selbsttötung Cio-Cio-Sans so nicht mehr erzählt werden kann…

Umjubelte Premiere der bereits vor zwei Jahren bis zur Klavier-Hauptprobe gereiften und dann coronabedingt mehrfach verschobenen dreistündigen Produktion im Großen Haus am Kennedyplatz war am 2. April 2022 und auch in der von mir besuchten zweiten Aufführung gab es stehende Ovationen für den musikalischen Leiter, den Ersten Kapellmeister Giuliano Betta, und die beiden herausragenden Protagonisten: Neben der bereits 2014 von der Fachzeitschrift „Opernwelt“ als „Sängerin des Jahres“ nominierten Ilia Papandreou als Butterfly glänzt der international renommierte portugiesische Tenor Carlos Cardoso, Ensemblemitglied am Essener Aalto-Theater, in der Partie des selbstherrlichen, mit Dollar-Noten nur so um sich werfenden B. F. Pinkerton. Aber auch hauseigene Kräfte wie Piotr Prochera als amerikanischer Konsul Sharpless und Tobias Glagau als Heiratsvermittler Goro wurden in den Jubel einbezogen.

Die weiteren Termine im Großen Haus: Am Sonntag, 17. April 2022, um 16 Uhr, am Samstag, 23. April 2022, um 19:30 Uhr, am Freitag, 20. Mai 2022, um 19:30 Uhr, am Sonntag, 22. Mai 2022, um 18 Uhr, am Samstag, 28. Mai 2022, um 19:30 Uhr sowie am Samstag, 18. Juni 2022, um 19:30 Uhr. Karten sind im Vorverkauf erhältlich unter musiktheater-im-revier.de oder unter Tel 0209 – 40 97 200.

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  • Samstag, 16. April 2022, um 16 Uhr
  • Samstag, 23. April 2022, um 19:30 Uhr
  • Freitag, 20. Mai 2022, um 19:30 Uhr
  • Sonntag, 22. Mai 2022, um 18 Uhr
  • Samstag, 28. Mai 2022, um 19:30 Uhr
  • Samstag, 18. Juni 2022, um 19:30 Uhr
Mittwoch, 13. April 2022 | Quelle: Pitt Herrmann