
Neu im Kino: Aşk Mark ve Ölüm“
Liebe, D-Mark und Tod
Mitte der 1950er und Anfang der 1960er-Jahre wurden türkische Arbeiter in Sonderzügen, teilweise aber auch mit Taxis aus Anatolien und anderen Gegenden des Landes ins wirtschaftlich prosperierende Deutschland verfrachtet. Angeworben mit Versprechungen, die sich im fernen Norden nicht erfüllten und schon bald Protestsänger wie Aşık Metin Türköz („Mayestero“) zu harscher Kritik an unmenschlichen Zuständen veranlasste: harte Arbeit ohne Pausen, miserable Gemeinschaftsunterkünfte, keine Anbindung an die Sprache und Kultur eines Landes, deren Bewohner sie als notwendiges Übel betrachteten.
So spielte die Musik als ein Stück Heimat in der Fremde von Beginn an eine große Rolle, in der ersten Einwanderer-Generation vor allem bei Hochzeiten und anderen großen Familienfeiern. Waren es zunächst vor allem melancholische Musikstile wie die Gurbetçi-Lieder (Lieder aus der Fremde), die Künstler wie Yüksel Özkasap, der mit zahllosen Goldenen Schallplatten ausgezeichneten „Nachtigall von Köln“, zu ungemeiner Popularität in der türkischen Community ganz Europas verhalfen, so entwickelten sich über die Jahre – und Generationen - eigenständige musikalische Richtungen, die es in dieser Form im Mutterland nicht gab.

Jüngere Musiker wie das Duo Derdiyoklar („Liebe Gabi“), Ozan Ata Canani („Deutsche Freunde“) oder Cem Karaca und die Kanaken („Mein Freund, der Deutsche“) folgten, die in ihren gesellschaftskritischen Liedern zum ersten Mal auch auf Deutsch sangen und damit sowohl die migrantische als auch die deutsche Popkultur prägten. HipHop wurde zum Sprachrohr der zweiten und dritten Generation von Menschen, die in Deutschland aufgewachsen waren. So wurden Pioniere wie Fresh Familee, King Size Terror oder Islamic Force zu Wegbereitern der zeitgenössischen Pop-Musik in Deutschland.
Auch die Distributionswege veränderten sich. Der Branchenführer Türkiola aus Köln, der rund 500 Künstler vertrat, vertrieb jährlich 1 Million Musikkassetten direkt über Import-Export-Läden, Gemüsehändler und andere türkische Geschäfte. Deutsche Plattenläden führten dagegen türkische Musik nicht. Die auf die Energiekrise der 1970er Jahre folgende Rezession führte zu einem Einschnitt: Musiker wie Cem Karaca unterstützten „wilde“ Streiks für gleichen Lohn und gleiche Sozialleistungen etwa im Krankheitsfall. Die „Gastarbeiter“ wurden von der deutschen Öffentlichkeit erstmals als Bürger wahrgenommen, Rudi Carrell und Alfred Biolek streichen in ihren populären TV-Shows deren enormen Beitrag zum deutschen Wohlstand heraus und die Theater spielen „Ab in den Orientexpress“ und „Kanaken“.
In den 1980er Jahren wird Deutschland endgültig zum Einwanderungsland. Es gibt nun große Hochzeitshallen und, etwa im Berliner U-Bahnhof Bülowstraße, eigenständige Auftrittsmöglichkeiten für türkische Musiker. Die inzwischen sehr flexibel sein müssen bei steigender Nachfrage auch von arabischer und kurdischer Musik. Heimat oder fremdes Land? Immer mehr Künstler singen auf Deutsch wie Tümay Koyuncuoğlu, Erci Ergün aka Erci E., Kabus Kerim, der Rapper Boe B. und die Rapperin Nellie. Nicht nur in Eventhallen, sondern auch Open Air etwa in der Berliner Hasenheide.
Diese beispiellose Geschichte einer selbständigen Musikkultur der Einwanderer aus der Türkei, ihrer Kinder und Enkelkinder in Deutschland, erzählt der über 96 Minuten unterhaltende und geradezu spannende Dokumentarfilm „Aşk Mark ve Ölüm“ („Liebe, D-Mark und Tod“) von Cem Kaya, der die Gespräche mit Musikern, Veranstaltern, Musik- und Videokassettensammlern mit noch nie gesehenem Archivmaterial bereichert. Der Filmtitel ist inspiriert vom gleichnamigen Gedicht des Autors Aras Ören, welches 1982 von der Band „Ideal“ vertont wurde.
Uraufgeführt am 15. Februar 2022 im Panorama-Wettbewerb der 72. Internationalen Filmfestspiele Berlin und dort mit dem Publikumspreis ausgezeichnet, dem beim DOK.fest München 2022 der Dokumentarfilmpreis des Goethe-Instituts folgte, kommt „Liebe, D-Mark und Tod“ am 29. September 2022 in unsere Kinos, zu sehen u.a. in der Endstation Bochum, im Sweetsixteen Dortmund und im Metropol Düsseldorf. Der NRW-Premiere im Cineplex Filmpalast Köln mit Aftershow-Party am 29. September folgen zwei Sondervorstellungen in Anwesenheit des Filmemachers Cem Kaya: am 30. September 2022 in der Endstation Bochum und am 3. Oktober 2022 im Metropol Düsseldorf.