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Prinzessin Lena (Gloria Iberl-Thieme) und ihre Gouvernante (Veronika Thieme).

Georg Büchners Lustspiel mit Puppen

Leonce und Lena am MiR

König Peter vom Reiche Popo (Veronika Thieme), vom Regieren ganz konfus geworden, will sich zur Ruhe setzen, um endlich Zeit zum Denken zu haben. Voraussetzung dafür ist die standesgemäße Heirat seines Sohnes, Prinz Leonce (Merten Schroedter). Doch der, gelangweilt von der Welt und ihrem sinnlosen Treiben, ist lieber mit seinem Freund Valerio (mit süddeutschem Einschlag: Daniel Jeroma) zusammen, dessen Dasein nur aus Essen und Faulenzen zu bestehen scheint. An eine Heirat ist nicht zu denken, schon gar nicht mit der ihm völlig unbekannten Prinzessin Lena vom Reiche Pipi (Gloria Iberl-Thieme). Der es daheim auch nicht besser ergeht, weshalb sie zusammen mit ihrer handfesten, heftig berlinernden Gouvernante (ebenfalls Veronika Thieme) die Flucht ergreift. Auf dem Weg in das Land, wo die Zitronen blühen, treffen die beiden Fürstenkinder unerkannt aufeinander...

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Aus Georg Büchners einzigem Lustspiel „Leonce und Lena“, 1836 anlässlich eines Preisausschreibens des Cotta-Verlages entstanden und am 31. Mai 1885 durch die Vereinigung „Intimes Theater“ in München uraufgeführt, scheint für das Regietheater ausgereizt. Was nicht nur mit dem zumindest auf den ersten Blick reichlich überholten Thema der deutschen Kleinstaaterei zu tun hat. Obwohl sich, besieht man sich etwa das Gezänk der Bundesländer über Maßnahmen zur Corona-Bekämpfung, seit dem Vormärz in unserem Land nicht allzu viel gebessert hat.

Prinz Leonce (Merten Schroedter) und Prinzessin Lena (Gloria Iberl-Thieme).

Sondern auch mit Generationen von Germanisten, die der vielleicht besten Komödie deutscher Sprache beizukommen versuchen, indem sie sich um Gattungsbezeichnungen streiten, zentrale Stilelemente wie die marionettenhafte Determiniertheit der Protagonisten sowie ihr Sprechen in Epigrammen und Kalauern interpretieren und sich über Büchners ironische Verweise auf Werke der europäischen Romantik auslassen.

„Das Leben ist eine Zwiebel. Die Tränen kullern, ob wir wollen oder nicht“: Für das Berliner Ensemble hat der New Yorker Theatermagier Robert Wilson mit der eigens dafür komponierten Musik von Herbert Grönemeyer ein Musical mit betörend schönen Bildern gezaubert. Zu freilich allzu konventionellen, seichten, gar biederen Texten aus der Feder des Bochumer Komponisten und der Berliner Journalistin, Dichterin und Lektorin Arezu Weitholz erklingt neben typischem Grönemeyer-Sound auch Kabarett- und Zirkusmusik neben kurzen Ausflügen in klassische Stummfilm-Vertonung.

Ein Gesamtkunstwerk, ganz auf der Höhe unserer Zeit, uraufgeführt am 1. Mai 2003 und danach über mehrere Spielzeiten stets ausverkauft: Wilsons junge Menschen verkörpern mit ihrer Lebensleere, Langeweile und erschreckenden Hoffnungslosigkeit ein sehr modernes Lebensgefühl. Das jedoch am Ende, am Schiffbauerdamm seinerzeit nach gut zwei Stunden, wie ein Märchen aus alter Zeit schließt: Die Kraft der Liebe siegt.

Die Regisseurin Astrid Griesbach von der Berliner Ernst Busch Hochschule, bekannt für groteske Bilder und eine einzigartige Verbindung von Plüsch und Punk, hat am 7. Oktober 2022 ihre Version von Georg Büchners Lustspiel am Gelsenkirchener Musiktheater im Revier herausgebracht: Mit vier Puppenspielern, die mit ihren Glatthaar-Hauben wie Fantasy-Figuren aussehen - neben drei MiR-Ensemblemitgliedern die Berliner Ernst Busch-Dozentin Veronika Thieme - und verblüffend „lebendigen“ Handpuppen von Ursula Linke und Lisette Schürer.

Die neunzigminütige, am Ende vom Publikum einhellig bejubelte Aufführung im Kleinen Haus ist in der Ausstattung von Sarah Wolters (Bühne) und Hedi Mohr (Piet Mondrian-Kostüme) im wahren Wortsinn artifiziell zu nennen: Von der einsamen Weißblechdose als zunächst einzigem Requisit, Andy Warhols Pop-Art-Siebdruck „Campbell’s Tomato Soup“ entsprungen, über Caspar David Friedrichs romantischem Rückenbild „Der Wanderer über dem Nebelmeer“ und die „Tänzerin mit Blumenstrauß“ des französischen Impressionisten Edgar Degas (mit einer szenischen Petitesse der exaltiert-dekadenten Leonce-Freundin Rosetta) bis hin zur südländischen Phantasielandschaft etwa eines Johann Wilhelm Schirmer.

Für Georg Büchners politisches Engagement stehen zu Beginn einige Zitate ziemlich verloren im Raum. Was ziemlich aufgesetzt wirkt in einer unterm Strich recht harmlos-gefälligen Puppenspiel-Adaption. Doch das Finale mit dem turbulent-witzigen Höhepunkt der Abdankung von König Peter macht einiges wett. Es korrespondiert mit einer frechen Kunst-Aneignung: Büchners plakatives Postulat „Friede den Hütten – Krieg den Palästen“ aus dem „Hessischen Landboten“ ist als Graffiti – scheinbar mit Roy Lichtensteins Farbdose - auf die beiden lümmelnden Engel der Sixtinischen Madonna, dem Hauptwerk des italienischen Renaissance-Malers Raffael, gesprüht.

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Karten für die weiteren Vorstellungen an der Theaterkasse am Kennedyplatz in Gelsenkirchen, unter Tel 0209 – 40 97 200 oder im Netz. Ab 30 Minuten vor einer jeden Vorstellung können Last-Minute-Tickets zum Preis von 7,50 Euro im Kleinen Haus an der Abendkasse erworben werden. Dieses Angebot gilt für Schüler und Studenten bis 27 Jahren, Auszubildende und Arbeitslose in allen Preisgruppen nach Verfügbarkeit.

Vergangene Termine (4) anzeigen...
  • Sonntag, 16. Oktober 2022, um 18 Uhr
  • Sonntag, 30. Oktober 2022, um 18 Uhr
  • Freitag, 4. November 2022, um 19:30 Uhr
  • Sonntag, 20. November 2022, um 18 Uhr

Weitere Termine

Vergangene Termine (3) anzeigen...
  • Montag, 30. Dezember 0222, um 19:30 Uhr
  • Samstag, 3. Dezember 2022, um 19:30 Uhr
  • Sonntag, 4. Dezember 2022, um 18 Uhr
Vergangene Termine (4) anzeigen...
  • Sonntag, 5. Februar 2023, um 18 Uhr
  • Sonntag, 5. März 2023, um 18 Uhr
  • Samstag, 11. März 2023, um 19:30 Uhr
  • Samstag, 22. April 2023, um 19:30 Uhr
| Quelle: Pitt Herrmann