halloherne.de lokal, aktuell, online.
Oskar Kokoschka (Valentin Postlmayr) und Alma Mahler (Emily Cox), die mehr sein will als seine Muse.

Amour Fou mit viel nackter Haut

Kinofilm: Alma und Oskar

New York, 1911. Gustav Mahler (Marcello de Nardo) probt mit der Philharmonic Society seine neunte Sinfonie. Im Auditorium ganz selbstverständlich seine erheblich jüngere Gattin Alma (Emily Cox), die das rastlose Genie stets begleitet. Als dem Komponisten ein flammender Liebesbrief des Berliner Architekten Walter Gropius an Alma in die Hände fällt, reagiert diese kühl: „Ich bin 31 und ich will leben.“

Anzeige: Elisabeth Firmenlauf 2025

Wien, vier Monate später. Gustav Mahler ist kurz vor dem 51. Geburtstag an einer bakteriellen Entzündung seines von Geburt an schwachen Herzens gestorben. Sein Leichnam ist in der Villa von Almas Stiefvater Carl Moll (Roland Koch) aufgebahrt. Als der junge Künstler Oskar Kokoschka (Valentin Postlmayr) die Totenmaske anfertigt und sich dabei an der Hand verletzt, wird er von der Witwe versorgt – und schon ist es um beide geschehen. Was als erster Walter Gropius (Anton von Lucke) zu spüren bekommt, dessen Heiratsantrag Alma ablehnt.

Als Alma den Thronfolger Franz Ferdinand (Cornelius Obonya) zur Eröffnung einer Wiener Ausstellung mit moderner Kunst begleitet, widerspricht sie den missbilligenden Äußerungen seiner Kaiserlichen Hoheit zum Werk des jungen Wilden: „Guter Geschmack ist das Ende der Kunst.“ Alma gibt bekannt, sich von Kokoschka porträtieren zu lassen und besucht demonstrativ zusammen mit ihrer Freundin Lilly Lieser (Tatiana „Táňa“ Pauhofová) eine Aufführung des skandalträchtig-animalischen Spektakels „Mörder, Hoffnung der Frauen“.

Oskar Kokoschka (Valentin Postlmayr) malt seine „Windsbraut“ Alma.

Kokoschka prahlt gegenüber seinem Förderer Adolf Loos (Wilfried Hochholdinger) in der heute nach ihm benannten Bar am Wiener Stephansdom, bald die „lustige Witwe Wiens“ zu heiraten. Doch Alma denkt gar nicht daran, hat kaum Zeit für ihre Tochter „Gucki“ (Lilo Grün), da die ein letztes Versprechen einlösen und Mahlers „Neunte“ zur Uraufführung bringen will. Dafür reist sie nach Prag, um im Hotel Paříž, einem einzigartigen Jugendstilpalast, Bruno Walter (Mehmet Ateşçi) zu gewinnen. Kokoschka ist eifersüchtig auf das intensive Arbeitsverhältnis Almas mit dem begnadeten Dirigenten – und provoziert, bekleidet mit einem roten Seiden-Kimono, einem Geschenk Almas, beim Konzert im Musikvereins-Saal am Karlsplatz einen Skandal.

Alma reist scheinbar zur Kur, fährt aber nach Berlin zu Gropius. Sie ist verzweifelt, weil sie mit ihren eigenen musikalischen Ambitionen nicht vorankommt. Gropius und seine Mutter sind ihr keine Hilfe: Die Kreativität einer Frau, so Manon Gropius (Johanna Orsini), bestehe allein darin, Kinder zu bekommen und Mutter zu sein. Der eifersüchtige Kokoschka reist an die Spree, um Alma vor die Wahl zu stellen. Sie entscheidet sich für Oskar und kehrt mit ihm nach Wien zurück, wo sie allein von ihrer mäzenatischen Freundin Lilly, dem „Schutzengel der Avantgarde“, moralische Unterstützung erhält: Um glücklich zu sein, brauche frau keine Männer.

Alma verspricht, Oskar zu heiraten, wenn er mit seiner Kunst so erfolgreich ist, dass er von ihr leben kann – und nicht wie bisher auf ihre Unterstützung angewiesen ist. Ihm gelingt mit dem Gemälde, das später „Die Windsbraut“ benannt wird, tatsächlich ein Meisterwerk. Aber der Ausbruch des Ersten Weltkriegs verhindert den Verkauf an eine renommierte Londoner Galerie. In der Folge bricht erneut eine nun auch gewalttätig ausgetragene Beziehungskrise aus, nachdem Alma „sein“ Kind abtreiben ließ. Oskar meldet sich als Kriegsfreiwilliger – und landet zwei Jahre später, schwer verletzt an der russischen Front, in einer Dresdener Nervenheilanstalt. Seine Obsession Alma lässt er sich als lebensgroße Puppe nachbauen…

In starken Bildern – und opulenten Jahrhundertwende-Interieurs – erzählt der österreichische Filmemacher Dieter Berner von der jegliche Grenzen sprengenden leidenschaftlichen Affäre Alma Mahlers mit Oskar Kokoschka, deren schon pathologische Intensität existenzbedrohend ist. Zu unterschiedliche Lebensentwürfe prallen aufeinander: Oskar betrachtet Alma als seine Muse, ist eifersüchtig und besitzergreifend. Doch Alma hat selbst Ambitionen als Künstlerin und Komponistin in einer Zeit, in der das für eine Frau nicht üblich ist.

'Alma und Oskar', annonciert als Künstler-Biographie, ist eine von der Schweizer Szenenbildnerin Su Erdt aufwendig ausgestattete Amour-Fou-Geschichte mit sehr viel nackter Haut – ins rechte Licht gerückt von der Wiener Choreografin Doris Uhlich. Notgedrungen werden Almas Affären mit dem Maler Gustav Klimt, der bereits der 17-Jährigen den Hof machte, und ihrem Kompositionslehrer Alexander von Zemlinsky ausgeblendet. Wie auch die zeitlich anschließende Hochzeit mit dem Dichter Franz Werfel, dem sie in die amerikanische Emigration folgte. Leider wird Almas bedeutende Rolle in den Salons der Wiener Gesellschaft ebensowenig gewürdigt wie ihre Musik: ihr kompositorischer Neuanfang 1914 am Semmering nach 10-jähriger Zwangspause wird nur kurz gestreift.

Christoph Brunner sorgt durch den ständigen Wechsel von chronologischer Abfolge und Rückblicken für abwechslungsreiche, bisweilen spannende neunzig Minuten. In denen originalsprachliche Dialoge untertitelt sind. Uraufgeführt am 20. November 2022 im indischen Goa und am 27. Juni 2023 in Deutscher Erstaufführung beim Filmfest München gezeigt, startet „Alma und Oskar“ am 6. Juli 2023 in unseren Kinos, zu sehen u.a. im Casablanca Bochum sowie im Luna im Astra Essen.

Dienstag, 4. Juli 2023 | Autor: Pitt Herrmann