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Iphigenie (Rebecca Wurst) wird von König Thoas (Felix Zimmermann) umgarnt.

Entschlackter Goethe am Prinz Regent Theater

'Iphigenie auf Tauris' in Bochum

„Das Land der Griechen mit der Seele suchend“: In Johann Wolfgang von Goethes 1779 in Weimar geschriebenem und auf der dortigen Liebhaberbühne mit dem Autor als Orest uraufgeführtem Drama „Iphigenie auf Tauris“ nach Euripides, der Prosafassung folgte eine im Jahr darauf am Wiener Burgtheater uraufgeführte Versfassung, der auch die Inszenierung am Bochumer Prinz Regent Theater zugrunde liegt, sehnt sich Iphigenie, Tochter des Feldherrn Agamemnon, nach ihrer Heimat. Sie ist von der Göttin Diana im letzten Augenblick vor dem Opfertod gerettet und ins barbarische Tauris, der heutigen Krim-Halbinsel, gebracht worden, wo sie seither unter dem Schutz des Königs Thoas als Priesterin dient.

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Iphigenie hat den alten Brauch der Barbaren abgeschafft, dass jeder Fremde, der ungebeten Taurien betritt, der Diana geopfert wird. Als Thoas um sie wirbt, offenbart sie ihm das Geheimnis ihrer Herkunft: Iphigenie stammt aus dem fluchbeladenen Geschlecht der Atriden und sollte von ihrem Vater Agamemnon geopfert werden, um günstigen Wind für den Kriegszug gegen Troja zu erhalten.

Zurück in die Heimat

Als Thoas von Iphigenie zurückgewiesen wird, will der König das alte Gesetz erstmals wieder exekutieren lassen – an zwei Fremden, die er der Priesterin überstellt. Es sind Orest, der dem Wahnsinn verfallene und von den Erinnyen verfolgte Bruder Iphigenies, und sein Freund Pylades. Sie erzählen der ihnen zunächst noch unbekannten Priesterin vom Ausgang des Trojanischen Krieges, vom Muttermord des Orest und ihrem Plan, die Statue der Diana aus dem Tempelheiligtum zu stehlen. Dieses Vorhaben folgt einer Weissagung, nach der Orest geheilt werde, wenn er die „Schwester, die an Tauris Ufer im Heiligtum wider Willen“ lebt, zurück in die Heimat führt.

Unter der „Schwester“ verstehen Orest und Pylades, bis sich Iphigenie ihnen als leibliche Schwester Orests zu erkennen gibt, das Götterbild der Diana, Apollos Schwester. Iphigenie kann mit ihrer Offenbarung den Bruder von seinen Gewissensqualen befreien, ja dessen Wahnsinn heilen. Sie fassen zu dritt einen Plan zur Flucht nach Griechenland, doch Iphigenie, hin- und hergerissen zwischen Pflichtgefühl und eigener Sehnsucht, vermag es nicht, Thoas zu hintergehen. Sie weiht den König in den Fluchtplan ein und gibt sich ihm somit in die Hand. Thoas verzeiht ihr schweren Herzens und lässt die Griechen in ihre Heimat zurückkehren – und Dianas Standbild bleibt in Tauris.

Iphigenie (Rebecca Wurst) ist froh, ihren Bruder Orest (Felix Zimmermann) wiedergefunden zu haben.

Sechzig-Minuten-Fassung

Zwanzig Jahre nach Elmar Goerdens letzter Bochumer „Iphigenie“ setzt Anaïs-Manon Mazic, Wienerin des Jahrgangs 1998 und Regie-Studentin an der Essener Folkwang-Universität, auf eine arg abgespeckte, sechzigminütige Fassung mit nur zwei Darstellern: Rebekka Wurst gibt in der Titelrolle ihr Debut am PRT, während der Kölner Felix Zimmermann, aus der gefeierten Kleist-Inszenierung „Amphitryon“ Hans Drehers am PRT sowie aus zahlreichen Gastrollen beim Westfälischen Landestheater bekannt, die beiden männlichen Rollen des Orest und des Thoas spielt. Mazic, die nach ersten Theatererfahrungen in Wien, in New York und Köln Neurowissenschaften studierte, bevor sie als Dramaturgin in Hamburg und Regieassistentin in Köln engagiert war, setzt in ihrer auch sprachlich emanzipatorischen Fassung ganz auf den inneren Konflikt Iphigenies.

Die 1998 in Mölln geborene Rebecca Wurst, Exzellenzstipendiatin der Studienstiftung des deutschen Volkes und Folkwang-Preisträgerin 2023 für ihre Artist Diploma-Abschlussarbeit „Zwischen den Jahren“, stand 2022 im Theaterrevier des Schauspielhauses Bochum in Robert Lehnigers „Verbundensein“ auf der Bühne. „Ich bin so frei geboren wie ein Mann“: Nun ist sie, im hinteren Teil des gleichen Gebäudekomplexes der ehemaligen Zeche Prinz Regent, eine moderne, heutige Iphigenie, die geradezu körperlich erfahrbar mit sich ringt. „Das Leben hier – der zweite Tod“: Zwar leidet sie unter ihrer Gefangenschaft im Tempelhain der Diana und lehnt die Avancen des Königs ab, ist andererseits aber zu keinem Verrat an ihm bereit.

„Ich war nicht darauf vorbereitet, mit einer Frau zu diskutieren“: Felix Zimmermann gibt Thoas als sehr zurückhaltenden Herrscher in mönchischer Kutte und, passend zur vorösterlichen Passionszeit, einer Art Dornenkrone aus kleinen Ästen und Zweigen. Die ihm Iphigenie ganz selbstverständlich auf- und absetzt. Als todessehnsüchtiger Orest ist Zimmermann dagegen gutbürgerlich gekleidet mit Rüschenkragen und Trotteln an den Ärmeln – passend zu Iphigenies Puffärmeln.

Ausstattung der starken Kontraste

Überhaupt ist die auf starke Kontraste setzende Ausstattung ein gewichtiges Pfund dieser am Premierenabend des 28. März 2024 umjubelten Produktion: Elizaweta Veprinskaja, geboren 1990 in Kiew, studierte zunächst Kunstgeschichte und Germanistik an der Ruhr-Universität Bochum, bis sie sich entschloss, eine Ausbildung als Tischlerin zu absolvieren. Von 2019 bis 2022 war sie am Schauspiel Dortmund engagiert, seither arbeitet sie als freischaffende Bühnen- und Kostümbildnerin.

Der Diana-Tempel ist ein von leuchtend blauem Stoff verhülltes Konglomerat unter einem gewaltigen Fallschirmtuch-Baldachin. Lichtwechsel sorgen für Farbwechsel und damit verbundene Stimmungsveränderungen, die patchworkartig komponierten Kostüme unterstreichen die Zeitlosigkeit des ins Zentrum gerückten Grundkonflikts. Dessen Lösung am Ende offen bleibt.

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Karten

Karten gibt es über die Homepage hier unter prinzregenttheater.de oder per Tel 0234 – 77 11 17.

Die weiteren Aufführungen

  • Sonntag, 31. März 2024, 18 Uhr
  • Sonntag, 14. April 2024, 18 Uhr
  • Sonntag, 21. April 2024, 18 Uhr
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  • Sonntag, 31. März 2024, um 18 Uhr
  • Sonntag, 14. April 2024, um 18 Uhr
  • Sonntag, 21. April 2024, um 18 Uhr
| Autor: Pitt Herrmann
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