
Lichtgestalt und Spießer
'Ingeborg Bachmann - Reise in die Wüste'
Ein Alptraum? Jedenfalls wie eine Szene aus einem Film Jessica Hausners: Als ein Telefon läutet, durchschreitet eine Frau einen langen, dunklen Flur. Langsam, wie in Trance. Am anderen Ende der Leitung schallendes Gelächter auf ihre Frage, wann er zu ihr zurückkommt. Schnitt. Die Frau liegt in einer Klinik, spricht mit dem sie behandelnden Psychoanalytiker über einen Hund namens Max, von dem sie sich bedroht fühlt.
Schnitt. Die Frau, es ist die österreichische Lyrikerin und Schriftstellerin Ingeborg Bachmann (Vicky Krieps), blickt aus dem Fenster eines Reisebusses, der durch die Wüste fährt. Sie erinnert sich an ihre erste Begegnung mit dem Schweizer Autor Max Frisch (Ronald Zehrfeld) in einem Pariser Hotel im Anschluss an die Premiere seines Schauspiels „Biedermann und die Brandstifter“: die Faszination der so ungleichen Persönlichkeiten ist gegenseitig. Und doch erscheint das Scheitern der dann doch immerhin vierjährigen Beziehung mit den Stationen Zürich und Rom vorprogrammiert.
Auf der einer Seite eine umschwärmte Lichtgestalt, eine junge, attraktive und durchaus promiskuitive Frau, die sich in der männlich dominierten Literaturszene der Nachkriegsjahrzehnte zu behaupten weiß. Auf der anderen Seite ein zwar offener, allem Neuen aufgeschlossener, letztlich aber doch arrivierter, konservativer Mann mit spießigem Rollenbild. Wenn er am aufgeräumten Schreibtisch sitzt, darin etwa Thomas Mann gleich, verbittet er sich jede Störung von seinem „braven Mädchen“.
In Rom wundert sich Ingeborgs vertrauter Freund, der Komponist Hans Werner Henze (Basil Eidenbenz), über ihren Entschluss, Freiheit und Unabhängigkeit aufzugeben und zu Max nach Zürich zu ziehen. Der verspricht bei einer Lesung aus seinem Roman „Stiller“, ihr die Wüste zu zeigen, die sie bisher noch nicht gesehen hat. Nun ist Ingeborg in Ägypten (gedreht wurde im Libanon) – aber ohne Max. Nachdem sich der krankhaft Eifersüchtige von ihr getrennt hat, stürzt Ingeborg in eine tiefe seelische Krise. Obwohl sie sich von Max Frisch ausgebeutet gefühlt und sein Tagebuch verbrannt hat: „Ich war sein Studienobjekt“.

Während Max sich mit Marlene (Luna Wedler), einer jungen deutschen Stipendiatin der Villa Massimo, tröstet, nimmt Ingeborg das Angebot des jungen Landsmannes Adolf Opel (Tobias Resch) zu einer Orientreise an: Der aufgehende Stern am Wiener Theaterhimmel erinnert sie an ihren jüngeren Bruder Heinz. Sie lässt sich von Adolf Opel im Wüstensand eingraben: Ingeborg Bachmann kann in der Einsamkeit der weiten, kargen Landschaft die so leidenschaftliche wie selbstzerstörerische Liebe zweier individualistischer Künstlernaturen allmählich hinter sich lassen und neuen Lebensmut schöpfen: „Meine Wüste, meine einzige, meine sanfte Vorhölle, meine Erlösung.“
Weiterer Film über historische Frauenfigur
Nach Rosa Luxemburg (1986), Hildegard von Bingen (2009) und Hannah Arendt (2012) widmet sich Margarethe von Trotta in „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste“ erneut einer historischen Frauenfigur: Unverändert gilt die über Martin Heidegger promovierte österreichische Lyrikerin, die vor 50 Jahren im Alter von nur 47 Jahren unter tragischen Umständen in ihrer Lieblingsstadt Rom aus dem Leben schied, als eine der bedeutendsten Dichterinnen des 20. Jahrhunderts.
Warum sich ausgerechnet die in Klagenfurt geborene Vorreiterin des Feminismus, die neben den Genannten noch mit dem Dichter-Kollegen Paul Celan, dem Essayisten Hans Weigel und dem jüdischen Philosophen Jacob Taubes Liebesverhältnisse unterhielt, von Max Frisch angezogen fühlte, erklärt der hervorragend besetzte Film freilich nicht. Der binnen nur vierzig Tagen unter enormem Aufwand in sechs Ländern entstand: gedreht wurde von März bis Juni 2022 in Wien, Rom, Zürich, Luxembourg, Jordanien und Köln. Kameramann Martin Gschlacht gehört übrigens – neben Jessica Hausner – zu den Gründern des Wiener Kreativpools coop99.
Der 110-minütige Spielfilm ist am 18. Februar 2023 im Wettbewerb der 73. Berlinale uraufgeführt worden und startet am Donnerstag, 19. Oktober 2023, in unseren Kinos. Er wird bei uns u.a. im Casablanca Bochum, im Bambi Düsseldorf sowie den beiden Essener Lichtspielhäusern Rio und Filmstudio Glückauf gezeigt.