Palästinensisches Melodram
Im Schatten des Orangenbaums
1988 im von Israel besetzten Westjordanland: Die beiden Jungen Malik (Rida Suleiman) und Noor (Muhammad Abed Elrahman) sind Freunde, die gerne herumtollen. Als sie mehr aus Neugier als aus Überzeugung in eine Demonstration geraten und Noor schwer verletzt wird, spricht seine Mutter Hanan (Cherien Dabis) direkt in die Kamera Christopher Aouns, um die die bewegende Geschichte ihrer Familie zu erzählen. Sie beginnt im Jahr 1948 in Jaffa, heute ein Vorort der ehemaligen israelischen Hauptstadt Tel Aviv.
Britische Besatzer
Damals stand Palästina unter britischer Militärherrschaft. Noors Großvater Sharif (Adam Bakri) sollte mit seiner Familie sein Haus und damit seinen Orangenhain verlassen, in dem er gerade seinen kleinen Sohn Salim (Salah Aldeen Mai) herumgeführt hat, der einmal in seine Fußstapfen treten soll. In der Nacht gibt es Bombenalarm, einige Einschläge treffen auch die Plantage: Die „Europäer“, wie die Einwohner die zionistischen Usurpatoren nennen, wollen sich Palästina mit Gewalt einverleiben. Ihre Armee ist den Palästinensern, die zunehmend aus ihrem Land flüchten, überlegen.
Israelische Besatzer
Auch Hanan, die auf regelmäßige Insulin-Spritzen angewiesen ist, schließt sich mit Salim einem langen Flüchtlingstreck an, während ihr Gatte Sharif und die wenigen Zurückgebliebenen mit den Briten verhandeln. Doch als die ihr Palästina-Mandat zugunsten der Neugründung des Staates Israel zurückgeben, machen die neuen Herrscher kurzen Prozess: Sharif kommt in ein Arbeitslager, sein Orangenhain wird vom Staat einkassiert und jüdische Siedler ziehen in die mit Gewalt leergezogenen Häuser und Wohnungen. Erst nach Jahren kommt Sharif frei – ein körperliches und seelisches Wrack.
Demütigungen
1978 in einem palästinensischen Flüchtlingslager im Westjordanland. Tante Layla (Hayat Abu Samra) heiratet einen Mann, der im Ausland arbeitet und sie daher aus ihrer menschenunwürdigen Situation befreit. Beide leben nun im kanadischen Toronto. Noor (Sanal Alkabarete) ist derweil im „Exil“ beim Großvater Sharif (nun Mohammad Bakri) und seinen Eltern aufgewachsen. Als er mit seinem Vater Salim (Saleh Bakrī) zu spät von einem Einkauf in der Apotheke zurückkehrt, sodass die Ausgangssperre bereits greift, geraten beide in eine Militärkontrolle und Noor muss mitansehen, wie sein Vater von jungen israelischen Soldaten gedemütigt wird.
Geste der Menschlichkeit
Zehn Jahre später. Noor, der auf besagter Demonstration angeschossen wird, muss in eine Klinik nach Haifa verlegt werden. Doch die israelische Bürokratie, die sich Zivilverwaltung nennt, zögert den genehmigungspflichtigen Transport so lange hinaus, bis der Gehirntod eintritt. Noor wird künstlich beatmet, weil er sich als Organspender eignet. Werden sich seine Eltern, die sich Rat in der Moschee holen, dafür entscheiden? Vater Salim, ein friedliebender Schullehrer, stimmt letztlich seiner Frau zu: „Menschlichkeit ist eine Form des Widerstands.“ Sechs Menschen überleben aufgrund der Organspenden, darunter auch Ari, Sohn einer jüdischen Familie, in dem nun das Herz eines Palästinensers schlägt.
Tel Aviv/Jaffa 2022. Hanan spricht mit dem inzwischen erwachsenen Ari (Dominik Maringer), das Unverständnis und damit die Unversöhnlichkeit zwischen Israelis und Palästinensern bleiben bestehen. Die beiden Alten können wenigstens noch einmal einen melancholischen Blick auf „ihren“ Orangenhain werfen…
Eigene Familiengeschichte
Inspiriert von der Geschichte ihrer eigenen Familie ist der 1976 in Omaha/Nebraska geborenen palästinensisch-amerikanischen Autorin und Regisseurin Cherien Dabis, die selbst in die Rolle der Erzählerin Hanan schlüpft, mit „Im Schatten des Orangenbaums“ ein melodramatischer Spielfilm gelungen, der berührt, ja, den man stellenweise geradezu ertragen muss. Und das unbedingt sollte – als naturgemäß einseitige Gegendarstellung zu der hierzulande dominierenden israelischen Sichtweise.
Das hochemotionale 145-minütige Familienporträt wurde als jordanischer Beitrag für den „Oscar“ in der Kategorie „Bester internationaler Film“ ausgewählt und am 25. Januar 2025 beim Sundance Film Festival in Salt Lake City/ USA uraufgeführt. „Im Schatten des Orangenbaums“ gewann zahlreiche Festival-Preise und startet nach der Deutschen Erstaufführung am 30. September 2025 beim Filmfest Hamburg am 20. November 2025 in unseren Kinos, zu sehen im Casablanca Bochum, Roxy Dortmund, im Filmstudio Glückauf Essen sowie im Metropol Düsseldorf.