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Hans Hoffmann (Franz Rogowski) trifft im Gefängnis auf den zu lebenslänglich verurteilten Mörder Viktor (Georg Friedrich).

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Große Freiheit

Wackelige Super-8-Aufnahmen, heimlich gefilmt in einer Gefängnis-Toilette, zeigen männliche Gefangene beim schnellen Sex. Hans Hoffmann (Franz Rogowski) liebt Männer. Und ist dafür von den Nationalsozialisten dafür ins Konzentrationslager gesteckt. Als ihn amerikanische Soldaten 1945 daraus befreien, gilt der „Schwulenparagraph 175“ in den drei westlichen Besatzungszonen weiterhin und er wird in den Regelvollzug überstellt, um seine Reststrafe abzusitzen.

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In der Näherei muss Hans die NS-Symbole von Wehrmachtsuniformen, die zu zivilen Mänteln und Jacken umgearbeitet werden, entfernen. Hier hat mit dem zu lebenslanger Haft verurteilten Mörder Viktor Bix (Georg Friedrich) einer das Sagen, der ihn als Zellennachbarn zunächst strikt abgelehnt hat: „Ich will den Perversen nicht bei mir.“ Doch das rebellische Wesen gegen die Willkür der Wärter, auch der Stolz des schon an der Zellentür als Homosexueller stigmatisierten Hans nötigt ihm Respekt ab und Viktor sorgt für einen leichteren Job in der Küche.

Hans erinnert sich an kurze, glückliche Zeiten in Freiheit mit Oskar (Thomas Prenn) Mitte der 1950er Jahre, wie private Super-8-Aufnahmen belegen. Wobei „Freiheit“ lediglich bedeutet, dass beide sich nur unter stetem Zwang, ihre Liebe verstecken zu müssen, treffen können. Weshalb Hans überlegt, in die DDR zu gehen, wo der Paragraph 175 längst abgeschafft worden ist. Doch dieser beide wieder ein, bevor er seinen Entschluss in die Tat umsetzen kann.

Zurück im Gefängnis verliebt er sich in einen jungen Mitgefangenen, Leo Giese (Anton von Lucke), einen feinsinnigen Lehrer für Deutsch und Musik, der wunderbar Geige spielt. Beide können sich, häufig von Viktor u.a. mit einem Bibel-Kassiber eingefädelt, heimlich treffen. Doch Leo ist der Härte des Gefängnisalltags nicht gewachsen, weshalb ihm Hans mit einer Falschaussage vor Gericht zur Freilassung verhilft. Die für ihn eine Heraufsetzung des eigenen Strafmaßes bedeutet.

Ende der 1960er Jahre sind Hans und Viktor inzwischen Freunde geworden, Vertraute gar, die zusammen eine Zelle bewohnen. Hatte Viktor zu Anfang die Hans in den Arm tätowierte KZ-Häftlingsnummer mit einem Tattoo überdeckt, revanchiert sich Letzterer nun, indem er Viktor mit kaltem Entzug von seiner Drogensucht befreit, Voraussetzung für eine Entlassung aus dem Gefängnis. Während im Knast-TV die Mondlandung Neil Armstrongs übertragen wird, titelt das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ mit der Aufhebung des § 175. Hans wird entlassen, nun lockt die „Große Freiheit“ – in Form der Leuchtreklame für eine Jazz- und Schwulenkneipe…

Rogowski für Europäischen Filmpreis nominiert

Franz Rogowski ist für seine Rolle als Hans in „Große Freiheit“ für den Europäischen Filmpreis nominiert worden.

Sebastian Meise und Thomas Reider erzählen binnen knapp zweier Stunden auf den ersten Blick ein Gefängnisdrama in geradezu klaustrophobischen Ganz-Nah-Einstellungen der Kamerafrau Crystel Fournier, entstanden in einem für allumfassende Überwachung stehenden ehemaligen DDR-Gefängnis. Und eine aus heutiger Sicht schier unfassbare politische Geschichte, fiel der „Schwulenparagraph“ der Nazis skandalöserweise doch erst 1969 in der Bundesrepublik. „Große Freiheit“ ist aber, bisweilen verwirrend achronologisch erzählt über zwei Jahrzehnte zwischen 1945 und 1969, ebenso ein Liebesfilm. Mit harter Körperlichkeit und gleichzeitig schier unstillbarer Sehnsucht nach Zärtlichkeit.

Der für den Europäischen Filmpreis nominierte Franz Rogowski brilliert als Hans Hoffmann, der als Homosexueller in den 1940er Jahren vom NS-Regime wie von der noch jungen BRD unterdrückt und geradezu fertig gemacht wird, der im folgenden Jahrzehnt dagegen rebelliert, sich schließlich aber zu seiner gesellschaftlichen Außenseiterstellung bekennt und bereit ist, dafür die Konsequenzen zu tragen, seien diese auch noch so unmenschlich. Gleichgewichtiger Gegenpart ist Georg Friedrich als Viktor, was sich glücklicherweise auch bei den bisherigen Festivalpreisen widerspiegelt.

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Uraufgeführt am 8. Juli 2021 in Cannes gabs den Jurypreis der Sektion „Un Certain Regard“, anschließend beim Sarajevo Film Festival die Preise als Bester Spielfilm und für Georg Friedrich als bester Schauspieler, während in Valenciennes neben dem Preis für den besten Film Franz Rogowski als bester Schauspieler ausgezeichnet wurde. Nach der Deutschen Erstaufführung am 30. September 2021 als Eröffnungsfilm des Filmfestes Hamburg kommt „Große Freiheit“ am 18. November 2021 in die Kinos, bei uns zu sehen u.a. im Casablanca Bochum, im Eulenspiegel Essen und im Bambi Düsseldorf.

| Autor: Pitt Herrmann