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Kuno Gonschior in seinem Bochumer Atelier.

Grandiose Retrospektive in Recklinghausen

Farben sehen mit Kuno Gonschior

„Kuno Gonschior – Farben sehen“ ist der Titel einer unsere düstere Herbststimmung aufhellenden Ausstellung, die noch bis zum 15. November 2020 in der Kunsthalle Recklinghausen gezeigt wird – zwölf Jahre nach der letzten Museumsausstellung des 1935 in Wanne-Eickel geborenen und 2010 in Bochum verstorbenen Künstlers (halloherne berichtete). Dessen Werke nicht nur im Kunstmuseum Bochum, im Essener Folkwang- und Hagener Osthaus-Museum hängen, sondern auch in der Daimler Contemporary im Haus Huth am Potsdamer Platz in Berlin und demnächst wieder in Mies van der Rohes Neuer Nationalgalerie am benachbarten Kulturforum.

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„Von Beginn an war mir klar, dass ich gleichsam wissenschaftlich vorzugehen hatte wie ein Chemiker, Physiker, Psychologe, Soziologe“ bekundete Kuno Gonschior 1976. Seither „beschäftige ich mich mit Phänomenen der Wahrnehmung im Bereich der Farbe und Farbtheorie. Im Gegensatz zum Wissenschaftler hantiere ich mit diesem Material, ich greife, begreife, fühle und rieche es. Ich experimentiere damit und stelle meine Mittel in Frage, ebenso überkommene Ansichten, Sehgewohnheiten und Anwendungsweisen.“ Mehr als 60 Gemälde und Objekte des zeitweiligen Unser-Fritz-Atelieristen aus allen Schaffensperioden geben einen umfassenden Einblick in das Werk eines der wichtigsten deutschen Farbmaler der Moderne.

Kuno Gonschior mit Helmut Bettenhausen.

Der von 1957 bis 1961 zusammen mit Gotthard Graubner (dessen Kissen finden sich auch bei Gonschior in seinen „Vibration“-Arbeiten) an der Kunstakademie Düsseldorf bei Karl Otto Götz studierte. Frühe Aufmerksamkeit erlangte er in den 1960er-Jahren mit seinen Leuchtfarbenbildern, deren Farbpunkte und komplementäre Nachbilder das Auge bis an die Schmerzgrenze reizen. In Auseinandersetzung mit den Konzepten der „Interaction of color“ und der Konkreten Kunst untersuchte er seither mit seiner Malerei aus Farbpunkten, später dann pastosen Farbzügen und Farbflecken das Wesen und die Qualität von Farbe. Dabei ging er genauso konzeptionell durchdacht wie sinnlich und emotional vor. Nachdem der Wanne-Eickeler 1977 zur Kasseler documenta 6 eingeladen war und schlagartig bundesweit bekannt wurde, lehrte er von 1982 bis 2000 als Professor für freie Malerei an der Hochschule der Künste Berlin (heute UdK) und erhielt 1999 den Deutschen Kritikerpreis.

„Farbe wird erkannt als in Raum und Zeit sich ständig verändernd. Farbe wird erlebbar in ihrer physischen Anwesenheit, ihrem körperhaften Volumen. In ihrer Sinnlichkeit und ihren kalkulierten Erscheinungen und Wirkungen“ schrieb der durch seinen experimentellen und teils analytischen Umgang mit Farbe immer wieder als „Farbforscher“ bezeichnete Maler 1979: „Keine Monochromie, sondern Augenblicke eines fortlaufenden Sichveränderns. In der Fläche bildet sich eine farbräumliche Bewegung. Tiefe entsteht nur aus dem Wechsel von Farbpartikeln. Ein Farbraum, der sich durch Farbverschiebungen, Angleichung, Überlagerung, Auslöschung realisiert.“ Wer etwa vor dem Anfang der 1970er-Jahre entstandenen Bild „Rote Punkte“ steht, wird diese erst nach längerer Betrachtung zwischen den gelben und grünen Punkten entdecken.

Kuno Gonschiors Bilder, die im Laufe der Jahre immer großformatiger wurden, erschaffen virtuelle Farbräume und besitzen eine mitreißende Vitalität. Sie durchbrechen Sehgewohnheiten und lassen die Freiheit der Farbe erlebbar werden. Von Anfang an ist Farbe, Objekt und Thema seiner Bilder – ohne jeden literarischen oder philosophischen Bezug. Sie stellt nur sich selbst aus, bringt nur sich selbst zur Erscheinung. Zunächst ist die Farbe in seinen Werken nur optisch, später dann immer stärker auch haptisch relevant (ohne, dass es in der Ausstellung erlaubt wäre, seinen Tastsinn einzusetzen). Durch pastosen Farbauftrag, nachvollziehbar auch durch schwarz-weiße Atelierbilder des Bochumer WAZ-Fotografen Hartmut Beifuß, entsteht das Paradox einer stofflich anmutenden Farbmasse, die trotzdem eine räumliche Tiefe suggeriert, in der sich der Blick des Betrachters verlieren kann.

Kuno Gonschior: Vibration Rot-Grün-Blau, 1969.

In seinen letzten Jahren, in der chronologisch gestalteten Retrospektive im 2. Obergeschoss des Kunstbunkers am Recklinghäuser Hauptbahnhof nachvollziehbar, hat sich Kuno Gonschior, auch posthum vertreten durch die Galerien Frank Schlag in Essen und „m“ in Bochum mit seinen mittelgroßen, „Landscape“ genannten Farb-Landschaften freier geäußert, meine erklärten Favoriten neben den Kugel-Objekten im Erdgeschoss: „Ich habe früher sehr theoretisch überlegt, wie ein Bild sein müsste und entsprechend streng ging ich das auch an. Von einem gewissen Zeitpunkt an, vielleicht war das vor 15 Jahren“, so der Wanne-Eickeler 2008, „habe ich gesagt, jetzt pfeife ich auf die Theorie, jetzt male ich so, wie ich es gerne tue. So richtig aus dem Bauch, vital und ganz kräftig. Ich vergaß die ganze Theorie und habe drauflosgemalt und gelangte so auch in diesen rauschhaften Zustand. Das gab es vorher nicht.“

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„Kuno Gonschior – Farben sehen“: dienstags bis sonntags, feiertags 11-18 Uhr, Große-Perdekamp-Str. 25-27 in Recklinghausen. Zum Rahmenprogramm gehören Workshops für Kinder, Spaziergänge zu Kunst im öffentlichen Raum sowie öffentliche Führungen sonntags um 11 Uhr (11./18./25. Oktober sowie 1./8./15. November 2020) und „Kunsthäppchen“-Gespräche mittwochs um 16:30 Uhr (14. und 28. Oktober sowie 11. November 2020). Zur Finissage am 15. November 2020 wird der Katalog präsentiert sowie zu einer zweiten Führung um 16:30 Uhr eingeladen. Corona bedingt ist die Teilnehmerzahl begrenzt. Eine Anmeldung ist erforderlich unter info@kunst-re.de oder Tel 02361 501935.

| Autor: Pitt Herrmann
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