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Das Kirmesplakat für die Cranger Kirmes im Jahr 2023.

Eine Kolumne von Hans-Jürgen Jaworski

'Es werde……..Crange'

Endlich hat auch mich die große Offenbarung des diesjährigen Plakates für die Cranger Kirmes erwischt. Und dabei ist mir sofort ein Licht aufgegangen – genau das ist ja der Sinn einer Offenbarung: Es sollte nicht mehr „Cranger Kirmes“ heißen, sondern ab jetzt nur noch „Cranger Kirche“; denn auf dem Plakat wird die immer wieder neue Erschaffung dieser Kirmes mit dem göttlichen Schöpfungsakt, genauer der Erschaffung des Menschen, in dem ersten Kapitel der Bibel verglichen (halloherne berichtete). Und dieser Vergleich ist so höchstdimensioniert, wie es „Crange“ immer wieder sein will.

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Dennoch wird es nichts mit dieser „folgerichtigen“, mir eingegebenen Umbenennung, obwohl das vielleicht manchen Crange-Fan enttäuschen könnte, weil bei ihm wahrscheinlich jeder Besuch dieses „Wallfahrtsplatzes“ gesteigerte religiöse Gefühle auslöst.

'15 Minuten für Gott'

Denn es gibt ja schon die kleine Cranger Kirche der evangelischen Kirchengemeinde im Norden unserer Stadt, und an jedem Kirmestag ist sie bisher für „15 Minuten für Gott“ geöffnet und so wird es wohl auch in diesem Jahr sein.

Allerdings folgte meiner plötzlichen (wahrscheinlich nicht sehr seriösen) Erleuchtung mit Blick auf dieses Plakat sowieso bald eine deutliche Ernüchterung.

Erschaffung des Menschen – Fresco in der Sixtinischen Kapelle – von Michelangelo.

Zum einen: Der Gag, also der Werbegag, ein religiöses Motiv zu adaptieren, ist absolut nichts Neues oder Besonderes. Immer wieder ist Kunst aus sakralen Räumen zu Werbezwecken gebraucht oder besser missbraucht worden. Das gilt besonders für dieses Deckenfresko Michelangelos in der Sixtinischen Kapelle in Rom mit der Erschaffung Adams im Mittelpunkt, aber auch für das Letzte Abendmahl von Leonardo Da Vinci im Kloster Santa Maria delle Grazie in Mailand.

Von 1508 bis 1512 füllte Michelangelo die mehr als 1.000 Quadratmeter große Decke der Sixtinischen Kapelle mit knapp 300 Figuren zur biblischen Schöpfungsgeschichte. Eine fast übermenschliche Leistung. Kaum zu überbieten.

Michelangelo Respekt zollen

Eigentlich fühlte er sich nicht dazu befähigt, weil er sich mehr als Bildhauer denn als Maler sah, und in einem seiner Briefe, in dem er das beklagte, schrieb er am Ende: „ Gott möge mir helfen!“. Aber auch die geistige Herausforderung mit dem Thema, das Sich-Vertiefen in die Schöpfungsgeschichte, die Auseinandersetzung mit kirchlicher Tradition und Dogmatik war ein beeindruckender Kraftakt. Und man sollte diese komplette Arbeit immer auch als ein Stück Anbetung verstehen – in einem bestimmten Raum, zu einer bestimmten Zeit, was dann in unserer Zeit zumindest zu einem gewissen Respekt führen sollte, vor der einzigartigen künstlerischen Leistung allemal, aber auch vor dem darin steckenden Glauben.

Ums Geschäft

Aber um all das geht es bei „Es werde…Crange“ nicht einmal ansatzweise. Es geht nur ums Geschäft, schlicht darum, dass möglichst viele Menschen möglichst viel Geld auf Crange lassen und sich dadurch ihrer Geschöpflichkeit in Crange-spezifischerweise widmen.

Wen interessiert das Thema?

Zum andern: Wenn ein Plakat sich so eindeutig durch Bild und Text auf ein grundlegendes biblisches Thema bezieht, dann ist es sicherlich auch gewollt, dass der Betrachter dieses Plakates sofort diesen biblischen Bezug erkennt. Aber natürlich sollte er nicht weiter darüber nachdenken, er sollte es nur als Werbegag verstehen. Im Grunde wird dabei vorausgesetzt, dass das echte Thema dahinter sowieso keinen mehr interessiert. Und dann kann man sich auch nicht mehr vorstellen, dass es vielleicht doch noch Menschen gibt, die sich durch diese Art der Werbung in ihrer Spiritualität und ihrem Glauben zumindest ein wenig missachtet fühlen.

Es soll sie ja noch geben, die nach dem Woher und Wohin ihres Lebens fragen, die sich vorstellen können, dass der Mensch nicht sich selbst verursacht hat und, dass er auch nicht die letzte Instanz in diesem Kosmos ist. Es soll sie noch geben, die, die dieses alte „Es werde…“ aktualisiert sehen in dem Auftrag zur Bewahrung der Schöpfung und nicht zur Ankurbelung des Geschäftes.

Dabei wissen oder ahnen schon Erstklässler, dass das die Erschaffung des kleinsten Spatzenhirnes ein bedeutend größeres Wunder ist als alle Cranger Kirmessen zusammen.

Apropos: Geschäft!

Schauen wir uns an, was zu allen Zeiten und heute wieder in besonderem Maße der Mensch dem Menschen und der Schöpfung überhaupt antut, dann war die Erschaffung Adams, wie immer auch geschehen, sowieso ein äußerst schlechtes Geschäft und der Schöpfer ein ebenso schlechter Geschäftsmann.

Aber zum Glück (oder doch Gott-sei-Dank?) gibt es noch andere Bibeltexte über den Menschen, zum Beispiel: “Kehrt wieder zum Staub, ihr Menschenkinder! Denn tausend Jahre sind vor dir (Gott) wie ein Tag, der gestern vergangen ist und wie eine Stunde der Nacht…Sie sind wie ein Schlaf, gleich wie ein Gras,.. das da frühe blüht und bald welk wird und verdorrt…“ (aus Psalm 90)

Wir leben mittlerweile in einer fast völlig säkularisierten Gesellschaft, in der nur noch wenige etwas mit der Kirche „am Hut haben“ und immer mehr Menschen doch recht wenig vom christlichen Glauben wissen oder gar wissen wollen. Deshalb wundere ich mich auch immer wieder, dass dennoch im weiteren Sinn religiöse und im engeren Sinn christliche Motive in Wort und Bild recht häufig – speziell in der Werbung – auftauchen.

Aber vielleicht könnte das die Erklärung sein: Die Werbung sucht Anknüpfungs-, ja, Sehnsuchtspunkte bei ihren Adressaten, die nicht unbedingt vordergründig sichtbar sein müssen. Das würde bedeuten, auch wenn das ein nicht bewusster, ungewollter Fingerzeig hinter der plakativen Oberfläche wäre: In uns steckt die Sehnsucht nach Sinngebendem, nach dem, was unser Leben trägt und worauf man sich letztlich im Leben und im Sterben verlassen kann. Ein Mensch möchte wissen, dass er kein Zufallsprodukt auf diesem Globus ist. Es sollte nicht egal sein, ob es ihn gibt oder nicht.

Glaube, Liebe und Hoffnung

Es ist die tiefe, uns nicht immer bewusste und oft verschlüsselte Sehnsucht nach Glaube, Liebe und Hoffnung.

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So gesehen könnte ich dem „Es werde…Crange“ doch etwas Positives, inklusive einem Schuss Humor, abgewinnen.

| Quelle: Hans-Jürgen Jaworski