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Die kulturell genutzte Hülsmann-Brauerei kommt ebenfalls in dem Buch vor.

Bildband zeigt Revier in farbigem Licht

'Ein Traum in bunt'

Ein Hannoveraner Journalist wandelt auf den Spuren Heinrich Bölls: Stefan Thoben erkundet mit dem Rad das Ruhrgebiet und legt in seinem Buch „Ein Traum in bunt. Entdeckung Ruhrgebiet“ mit dem wachen und offenen Blick des Außenstehenden ein höchst facettenreiches Bild unserer Region vor. Seine 29-tägige Tour de Ruhr hat er mit vielen Fotos und launigen Etappentexten auf 240 Seiten verschriftet: Ein Reisetagebuch, eine Entdeckung, eine Eroberung einer Region, die er bislang nur durch einen einmaligen Besuch als Jugendlicher des BVB kannte. Touristische Highlights, versteckte Ecken, uninszenierte Orte und gänzlich unterschiedliche Kulturen säumen seinen Weg. Die zeitgenössischen Autoren Lucas Vogelsang, Joachim Kròl und Hilmar Klute begleiten ihn bei seinem Trip. Rauchten seinerzeit bei Böll 1957 noch tüchtig die Schlote, ist heute durch Strukturwandel eine rußfreie Gegenwart sicht- und spürbar.

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Im Verlag Reiffer aus Meine (Braunschweig) ist der Bildband über das Ruhrgebiet erschienen.

Davon kündet dieses Buch und der Herner Joachim Kròl sowie der Bochumer Hilmar Klute sind dem Autor in ihren jüngsten Büchern beredte Zeitzeugen. Macht Bergmannssohn Kròl sich auf, Spuren der Bergbauvergangenheit zu sichten und in den Kontext einer neuen gesamtdeutschen Realität einzuordnen, so schildert Klute den herben Charme einer neugestalteten Dienstleistungsregion. Was dem 39-jährigen Autor Stefan Thoben gelingt: In dem Popliteraten Wolfgang Welt, der dieses Genre begründete, findet er einen schreibenden Verbündeten, der in seinen Büchern die vielschichtigen und auch zahlreichen Veränderungen dokumentierte, welche die Zeitläufte dem Ruhrgebiet bescherten. Emphatisch und anschaulich fängt der Journalist die Lebenswelt dieses Bochumer Schriftstellers ein. Zwischen Opel und Arbeitsstätte Schauspielhaus, Shopping-Center Ruhrpark und Wohnsitz wie auch Heimat Wilhelmshöhe, wo sich mikrokosmisch Leben des Reviers spiegelt.

Kumpel-Riviera, Emscherbrücher, Hülsmann, die liebe Verwandtschaft: Thobens Lieblingsmotiv, das er rund um den geografischen Mittelpunkt des Reviers in Röhlinghausen fotografiert, zeigt Onkel Kurt und Tante Roswitha. Hier wird serbischer Eintopf gegessen und Kaffee getrunken. „Herzallerliebst“ nennt der Großneffe um drei Ecken diese Leute. Angetan ist der Gast aus Hannover auch vom Hotel Meistertrunk in Eickel. Direkt neben der heute kulturell genutzten Hülsmann-Brauerei gelegen findet der Radler hier Quartier und genießt das Ambiente in und um das denkmalgeschützte Ensemble herum. Jugendstilmalerei macht diesen Ort zu einem Kleinod. Das Herner Meer, die Siedlung Teutoburgia, Wohnsitz des „Urvaters der deutschen Comedians“ Adolf Tegtmeier alias Jürgen von Manger - entlang des Laufs von Emscher und Rhein-Herne-Kanal entdeckt der Journalist von der Leine so manches Staunenswertes.

Der Mond von Wanne-Eickel über der Zeche Pluto.

Reisestation Marl. Wie sich die Zeiten ändern. Folgende Zeilen schrieb der Kulturjournalist Horst Krüger vor fünfzig Jahren über das kurz zuvor eröffnete Rathaus Marl (entworfen von den niederländischen Star-Architekten Jacob Berend Bakema und Johannes Hendrik van den Broek): „Zwischen dieser grauen und tristen Welt aus Hochöfen und Kühltürmen, aus Schuppen und Schächten gibt es Inseln atemloser Modernität. [...] Man muss etwas tun im Ruhrgebiet, sagte die Stimme des schlechten Gewissens zuweilen. Man muss etwas unternehmen, etwas ganz Neues und noch nie Dagewesenes. Hier ist doch ein großes Feld für Experimente. Von Zeit zu Zeit überfiel die Raumordner, die Bürgermeister, die Stadtplaner diese Stimme des schlechten Gewissens. Sie erzeugte jene Inseln verwegener Zukunftsmodelle, die mit zum verwirrenden Bild des Reviers heute gehören. Trostlos, uralt und verrostet und dazwischen gelegentlich hinreißend modern – erst das ergibt die Wahrheit des Reviers. Die Stadt Marl zum Beispiel: Im Niemandsland verkarsteter Felder, umgeben von den fernen Silhouetten der Industriekolosse, wird hier an einer Traumstadt der Zukunft gebaut: Marl ist das deutsche Klein-Brasilia. Ich sah auf freiem Felde das kühnste und verwegenste Rathaus der Deutschen stehen – warum berichtet uns kein ‚Report‘, kein ‚Panorama‘ darüber?“

Stefan Thoben aus Hannover hat mit dem Rad das Ruhrgebiet bereist.

Schillernd, überraschend, bunt, vielfältig – so zeichnet dieses Buch ein Bild vom Ruhrgebiet. Angetreten, diese Landschaft, diesen Ballungsraum und seine Menschen zu verstehen, ist das Produkt aus dem Verlag Reiffer eine Liebeserklärung an unsere Region und seine Bewohner. Und Stefan Thoben kündigt an wieder herzukommen, jeden Stadtteil zwischen Duisburg und Dortmund, Hohe Mark und Hengstey kennenlernen zu wollen und den „Traum in Bunt“ zu bereisen. Und hält sich im Übrigen an den Pförtner und ehemaligen Bergmann von Auguste Viktoria: „Das Ruhrgebiet versteht keiner“.

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Stefan Thoben, Ein Traum in bunt. Entdeckung Ruhrgebiet. 240 Seiten. Hardcover. Verlag Andreas Reiffer. ISBN 978-3-945715-73-4, 28 Euro. Erhältlich im jedem guten Buchhandel, über Zeitfracht, Libri, Umbreit oder den Verlag.

| Quelle: Sabine Herrmann