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Unter effektheischender Las-Vegas-Werbetafel: Deirdre Angenent (Judith) und Karl-Heinz Lehner (Herzog Blaubart).

Zuschauer wirken auf der Bühne mit

Effektvoller „Blaubart“ in Essen

„Die Burg ist alt, alt ist auch die Sage, die von ihr geht. Hört zu nun, hört“ heißt es im Prolog aus dem Off. Und: „Mein Wimpernvorhang ist offen – das Spiel kann beginnen.“ Als der „Eiserne“ in den Bühnenorkus rattert, ist Sebastian Hannaks Bühne mit einem Ring aus Neonröhren bekränzt. Darunter dreht ein Gaze-Videovorhang seine Kreise mit surreal wirkenden, sich nicht sofort erklärenden Schwarz-Weiß-Bildern von Kai Wido Meyer, die vom Geschehen ablenken statt es optisch zu ergänzen.

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Was auch für die Projektionen auf die Brüstung des 2. und 3. Rangs des Aalto Theaters gilt: Luis Buñuels Augen, glücklicherweise ohne die Rasierklinge aus dem „Andalusischen Hund“, folgen kryptische Sätze wie „Du lässt sie verwelken“, „Du lässt sie schön erblühen“ oder „Das ist das Werk deiner gesegneten Hand“, deren Bezug zur Handlung sich nicht sofort erschließt, vom so erzeugten kontraproduktiven Drang, sich ständig umzudrehen, einmal ganz abgesehen.

Nach „La barbe bleue“, einem Märchen von Charles Perrault, das erstmals 1697 in seiner Sammlung „Histoires ou contes du temps passé, avec des moralités“ („Geschichten oder Märchen aus vergangener Zeit einschließlich Moral“) erschien, hat Béla Balázs sein symbolistischen Drama „Das Schloss des Prinzen Blaubart“ geschrieben, das er selbst „Bühnenballade“ genannt hat: „Die Bühne spricht mit. Die Bühne spielt mit. Denn diese Ballade ist eine Ballade des inneren Lebens. Blaubarts Burg ist kein realer steinerner Bau. Sie ist seine Seele.“

Der Eindruck täuscht: Judith (Deirdre Angenent) und Herzog Blaubart (Karl-Heinz Lehner) begegnen sich auf Augenhöhe.

Die Ballade bildete die Grundlage für Béla Bartóks 1911 für einen Wettbewerb komponierte Oper „A kékszakállú herceg vára“, die erst 1918 im Königlichen Opernhaus Budapest uraufgeführt und 1922 in Frankfurt/Main erstmals in Deutschland gespielt worden ist. Seine einzige Oper wird, da nur einstündig, zumeist in Kombination mit einem weiteren Einakter aufgeführt, so wie jetzt in Hagen mit der Bartókschen Tanzpantomime „Der wunderbare Mandarin“. Oder zuletzt am Essener Aalto Theater Ende Januar 1994 mit Alexander von Zemlinskys „Der Zwerg“. Dort feierte „Herzog Blaubarts Burg“ nun, am 19. Februar 2022, in einer über siebzig Minütigen höchst effektvollen Inszenierung von Paul Georg Dittrich Premiere.

Judith (die niederländische Sopranistin Deirdre Angenent als umjubelter Gast) weigert sich, von Herzog Blaubart (Ovationen für Aalto-Bass Karl-Heinz Lehner) in ein historisches Kostüm gezwängt zu werden. Als moderne Frau, die sich zwischendurch selbstbewusst auf eine der Schaukeln setzt, welche halbkreisförmig die nur mit einigen toten Baumästen bevölkerte Bühne begrenzen, trägt sie eine leuchtend gelbe Hose und ein ihre Weiblichkeit betonendes Bustier. Das Nobilität ausstrahlende, mit Pelzkragen besetzte rote Kleid wird sie bald wieder ablegen.

Sie erhält zum Öffnen der sieben Türen, die für die Geheimnisse der Seele des Geliebten stehen und hier als filigrane Jugendstil-Käfige vom Schnürboden herabgelassen werden, nach und nach die Schlüssel. Die ihr Einblicke in die Folter-, Waffen- und Schatzkammer ermöglichen und schließlich einen Überblick auf die Latifundien Blaubarts verschaffen. Dem sie nach Öffnung der fünften Tür sogar gewalttätig gegenübertritt. Doch längst empfindet sie ihr aus Neugierde und Anteilnahme gleichermaßen gespeistes Handeln als Last, als sie des Tränensees gewahr wird. Judith hat Angst, dass die Gerüchte über die Ermordung seiner Verflossenen wahr sein könnten – und öffnet dennoch die siebte Tür…

In „Herzog Blaubarts Burg“ gibt der junge Dirigent Gábor Káli sein Essener Debüt: Der gebürtige Ungar konnte in den vergangenen Jahren etwa mit Mozarts „Zauberflöte“ an der Semperoper Dresden oder Verdis „Rigoletto“ an der Deutschen Oper am Rhein auf sich aufmerksam machen. 2018 mit dem Young Conductors Award der Salzburger Festspiele ausgezeichnet wurde er im Aalto vom Premierenpublikum zu Recht gefeiert, auch wenn das manche Kritiker anders sehen.

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Béla Bartók steht im Spielplan zwischen Puccinis „Il Trittico“ und Verdis „Don Carlo“, einer Koproduktion mit der Straßburger Oper, die am 12. März 2022 im Aalto herauskommt. Weitere Vorstellungen sind am 27. Februar, 3. und 27. März, am 2. und 23. April sowie am 13. Mai 2022. Mittendrin statt nur dabei: Gut ein Dutzend Zuschauer können auf der Bühne Platz nehmen und so selbst Teil der Aufführung werden. Karten unter theater-essen.de oder im Ticket-Center unter Tel 02 01 - 81 22-200.

| Autor: Pitt Herrmann