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Dostojewski-Erzählung in Bochum: Michael Lippold als Erlöser in seinem am Schauspielhaus Bochum entstandenen Dostojewski-Solo „Traum eines lächerlichen Menschen“ am Rottstr5Theater.

Traum eines lächerlichen Menschen

Dostojewski-Erzählung in Bochum

Es ist Nacht. Ein Mann (Michael Lippold) in Mantel und Strickmütze, aber mit bloßen Füßen, zündet eine Kerze an und rückt einen Schrankkoffer auf die ansonsten nackte Bühne. „Ich bin ein lächerlicher Mensch“: Der Namenlose hat beschlossen, sich mit der Pistole, die er sich schon vor geraumer Zeit gekauft hat, umzubringen. „Jetzt nennen sie mich sogar verrückt“: Er hat, seit Monaten müde und demoralisiert von der Ablehnung seiner Umgebung, nur auf ein Zeichen gewartet. Das ist ihm in dieser Nacht in Form eines kleinen Sternes erschienen.

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Bücherkiste als Sarg

Er ärgert sich nicht mehr über die, die über ihn lachen, hat diese sogar lieb, wie er behauptet, aber ihr Anblick macht ihn traurig: „Es ist schwer, allein die Wahrheit zu wissen.“ Der Mann holt einen Globus und Bücher aus der Kiste, in die er sich später wie in einen Sarg legen wird, verteilt die Sachen im Raum und bedeckt sie mit einem Teppich. Auf dem er dann steht wie Goethes Faust im Wissen um seine Gelehrsamkeit, die ihm in diesem Augenblick jedoch nichts nützt.

Er erzählt von der Begegnung mit einem achtjährigen Mädchen, das zitternd vor Kälte um Hilfe ruft. Er hat ihr nicht geholfen, dennoch hat sie ihn von seinem Selbstmord-Plan abgehalten. Weshalb er zur Erkenntnis gelangt ist, dass die Welt nur für ihn geschaffen ist, ja das er und die Welt eins sind. Solchermaßen beruhigt schläft er ein. Im Traum begibt er sich auf eine Reise durch das All zu einem Planeten, der unserer Erde gleicht.

Fröhliche Kinder der Sonne

Dostojewski-Erzählung in Bochum: Michael Lippolds grandioses Dostojewski-Solo steht seit 14 Jahren auf dem Spielplan des Rottstr5Theaters in Bochum.

Aber nur auf den ersten Blick, denn hier sind alle Menschen fröhliche Kinder der Sonne, glücklich und von natürlicher Schönheit. Weil sie vom Sündenfall nichts wissen und im Paradies leben: „Sie wünschten nichts, und ihre Seelen waren ruhig; sie rangen nicht nach Erkenntnis des Lebens, wie wir es tun, denn ihr Leben war voll ausgefüllt. Aber ihr Wissen war tiefer und höher als bei unserer Wissenschaft.“

Aus dem potentiellen Selbstmörder aus Gram über die ihm gegenüber grausame Menschheit wird ein unerschütterlicher Verkünder eines naiven Kinderglaubens, der den Traum für Wirklichkeit hält – und sich selbst für den Erlöser, welcher das Leid der Welt auf sich nimmt. Michael Lippold steht nun mit erhobenen, scheinbar gefesselten Händen zwischen den von der Decke herabhängenden Elementen Wasser und Erde: links löst sich tropfend ein Eisblock auf, rechts rieselt Sand aus einem Sack.

Das surreale Traum-Bild des Gekreuzigten ist Höhe- und Schlusspunkt einer höchst konzentrierten knapp sechzigminütigen Aufführung, an deren Ende der Protagonist erkannt hat, dass das Leben höher steht als die (wissenschaftliche) Erkenntnis: „Liebe die Menschheit wie dich selbst.“

Vom Saulus zum Paulus

Als der gerade nach Sankt Petersburg zurückgekehrte Fjodor M. Dostojewski im Jahre 1876 seine im Untertitel „phantastisch“ genannte Erzählung „Traum eines lächerlichen Menschen“ schrieb, hatte er nicht nur bereits ein bewegtes Leben, sondern, zumindest aus Sicht des Zarenregimes, eine Wandlung vom Saulus zum Paulus hinter sich: Im Zuchthaus von Omsk schwor Dostojewski seinen bisherigen liberalen und utopisch-sozialistischen Ansichten ab – und mutierte zu einem überzeugten Christen und glühenden Jesus-Jünger. Das sollte man wissen, um für die christliche, von naturmystischen Einflüssen durchzogene philosophische Erweckungsprosa dieser 23-seitigen monologischen Novelle Verständnis aufbringen zu können. Die der Regisseur Hans Dreher in seiner ersten Inszenierung am Schauspielhaus Bochum, Premiere war am 2. März 2006 im Rahmen der Nachwuchs-Reihe „Playstation“, zusammen mit dem jungen Ensemblemitglied Michael Lippold, geerdet, aber keineswegs eliminiert hat.

Die Neueinrichtung für das Rottstr5Theater hatte am 12. November 2009 Premiere und gehört seither zum Repertoire als nunmehr älteste Produktion der nach wie vor angesagtesten Off-Bühne des Reviers. Sie nimmt nichts von Dostojewskis messianischer Wucht, weiß diese aber in eine heute mehr denn je notwendige Bahn zu kanalisieren: Die Skepsis gegen diejenigen, die von sich behaupten, im Besitz der alleinigen Wahrheit zu sein, kann gar nicht groß genug sein.

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Wieder auf dem Spielplan am Sonntag, 18. Februar 2024 sowie am Sonntag, 16. März 2024 jeweils um 19:30 Uhr an der Rottstraße 5 am Rande des Bochumer Bermuda-Dreiecks. Karten unter rottstr.de oder Tel 0163 – 761 50 71.

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  • Sonntag, 18. Februar 2024, um 19:30 Uhr
  • Samstag, 16. März 2024, um 19:30 Uhr
Freitag, 16. Februar 2024 | Autor: Pitt Herrmann