
Giuseppe Verdi am Aalto Theater Essen
„Don Carlo“ in düsterer Zeit
Kronprinz Don Carlo (zurück am Aalto: der südamerikanische Tenor Gaston Rivero) liebt seine Stiefmutter Elizabetta von Valois (Heimspiel für die großartige niederländische Sopranistin Gabrielle Mouhlen) immer noch, mit der er verlobt war, bevor sie sein verwitweter Vater Filippo II. (gefeierter Gast von der Deutschen Oper Berlin: der kroatische Bass Ante Jerkunica) aus Gründen der Staatsräson ehelichte: Nach langem, blutigem Krieg besiegelt diese Verbindung den Frieden zwischen den katholischen Ländern Spanien und Frankreich.
Vom Prinzen verschmäht, der vor ihr seine Gefühle für Elizabetta preisgibt, verführt die Hofdame Prinzessin Eboli (überzeugt auf den großen Bühnen der Welt und nun auch in Essen: die franko-kanadische Mezzosopranistin Nora Sourouzian) den König und verrät ihm, dass die Liebe des Infanten zur Königin weiterhin besteht.

Rodrigo, der Marquis von Posa (muss leider ersetzt werden: Jordan Shanahan), Don Carlos bester Freund und durch seine Offenheit inzwischen der engste Vertraute des Königs, will seine herausragende Stellung am Hof zur Verfolgung politischer Interessen nutzen: Zur Befriedung der vom katholischen Spanien unterdrückten protestantischen Niederlanden will er Carlo zum Oberbefehlshaber in Brüssel machen.
Als dieser zusammen mit Deputierten aus Flandern Freiheit für die spanische Kolonie fordert, ist das Schicksal des Kronprinzen besiegelt: der König erwirkt beim Großinquisitor (Publikumsliebling Karl-Heinz Lehner) die Absolution für die Tötung des eigenen Sohnes. Die auch der sich als Verräter und Intrigant outende Marquis von Posa nicht verhindern kann...
Giuseppe Verdis „Don Carlos“, wie die Oper in der ursprünglichen französischen Fassung heißt, basiert auf Friedrich Schillers vorromantischem Drama „Don Karlos, Infant von Spanien“. Uraufgeführt am 11. März 1867 im nun Théâtre Impérial de l’Opéra genannten Pariser Salle Le Peletier als fünfaktige Grand Opéra im Stil Giacomo Meyerbeers zwar als groß angelegtes, opulent ausgestattetes Epos, aber nicht als historische Kostümoper, um im Paris Charles-Louis-Napoléon Bonapartes alias Kaiser Napoléon III. keinen politischen Anstoß zu erregen.
Ein um den ersten (Fontainebleau-) Akt gekürzter, sich in besonderer Weise auf die Psychologie der Figuren konzentrierender und in die Muttersprache Verdis übersetzter „Don Carlo“ gehört seit seiner Erstaufführung am 10. Januar 1884 am Mailänder Teatro alla Scala zu den großen italienischen Opern des 19. Jahrhunderts. Der international gefragte kanadische Regisseur Robert Carsen hat die Mailänder Fassung, als Kooperationsprojekt mit dem Aalto-Musiktheater, am 17. Juni 2016 an der Opéra national du Rhin Strasbourg herausgebracht. Seine dreieinhalbstündige Inszenierung sollte bereits vor Jahren in Essen gezeigt werden, hatte coronabedingt aber erst jetzt Premiere.
Eine aussichtslose Liebe in düsterer Zeit, weshalb Giuseppe Verdis „Don Carlo“ gerade recht auf den Spielplan des Essener Aalto-Musiktheaters kommt in der klaustrophobisch-klösterlichen, sich an barocke Memento-Mori-Gemälden orientierenden Ausstattung von Radu Boruzescu (Bühne) und Petra Reinhardt (Kostüme): Der Prolog im Foyer mit „Va, pensiero, sull’ali dorate“, dem Gefangenchor aus Verdis „Nabucco“, leitet über in den fensterlosen Bunker des Klosters San Juste zum Begräbnis Kaiser Karl Karl V. und zum immer wiederkehrenden Vanitas-Motiv des Totenschädels an der Seite des Infanten.
Carsen setzt auf einen finalen, hier nicht verratenen Knalleffekt in der Sargkammer der Klosterkirche, der so weder bei Schiller noch bei Verdis Librettisten steht. Und auf plakative Bildmetaphern, übertreibt es mit den für Schönheit und Reinheit, aber auch für die französische Monarchie stehenden weißen Lilien im Klostergarten, nicht weniger mit der Analogie zur Bücherverbrennung in der Nazi-Zeit. Nicht aber mit dem Globus auf dem einem Altar gleichenden Arbeitstisch des Monarchen: Dieser symbolisiert die Macht des Habsburger-Weltreiches unter Karl V., in dem die Sonne nie unterging.
Und schon gar nicht mit der Opulenz der Autodafé-Szene am Ende des 2. Aktes in optischer Entsprechung zum einmal mehr über sich hinauswachsenden Aalto-Chor. Die musikalische Leitung hat am Ende eines langen, aber nie langweiligen und schon gar nicht ermüdenden Abends der mit Ovationen überschüttete junge Italiener Andrea Sanguineti, welcher am Aalto-Theater bereits u.a. „Carmen“, „La Bohème“ sowie „Dido and Aeneas“ dirigiert hat.
Die weiteren Vorstellungen: Am 10., 22. und 30. April; am 21. Mai sowie am 9. und 19. Juni 2022, Einführungsvortrag 30 Minuten vor jeder Vorstellung im Foyer. Karten sind auf der Theater-Homepage erhältlich, im Essener TicketCenter, II. Hagen 2 (Mo-Fr 10 -16 Uhr), an der Kasse des Aalto-Theaters, Opernplatz 10 (Di-Sa 13 -18 Uhr) sowie unter Tel. 02 01 81 22-200 (Mo und Sa 10 -16 Uhr; Di-Fr 10 -18 Uhr).
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- Sonntag, 10. April 2022, um 18 Uhr
- Freitag, 22. April 2022, um 19:30 Uhr
- Samstag, 30. April 2022, um 19 Uhr