
Abiturientinnen auf Italien-Trip
Dead Girls Dancing
„Jetzt fängt das Leben an“: Die frisch gebackenen Abiturienten, die sich gerade noch einzeln dem Fotografen in der Schulaula vor einer Fotowand mit Wolkenmotiv gestellt haben, nehmen die Gratulationen ihrer Familienangehörigen entgegen. Alle machen glückliche Gesichter, nur Ira (Luna Jordan) kann sich noch nicht einmal ein Lächeln abringen. Sie ist die Fragen nach ihrer Zukunft, nach der Wahl ihres Studienfachs leid.
Statt mit den anderen gemeinsam auf Abschlussfahrt zu gehen, begibt sich Ira mit ihren Freundinnen Malin (Katharina Stark) und Ka (Noemi Nicolaisen) auf einen spontanen Roadtrip durch Italien. Nichts ist vorab geplant, keine Unterkunft gebucht. Sie landen auf einem Campingplatz, wo sie auf die von daheim geflohene italienische Backpackerin Zoe (Sara Giannelli) treffen, die Ira zuvor schon auf einem Rastplatz bei Lkw-Fahrern aufgefallen war. Weil sie auf Zoes Zimmer Gras rauchen, fliegen sie achtkantig ‘raus.
Reifenpanne in der Pampa
Und landen kurze Zeit später mit Reifenpanne irgendwo in der Pampa. Während Malin und Ka versuchen, telefonisch Hilfe über einen deutschen Automobilclub zu organisieren, machen sich die eher verschlossene, irgendwie unter Druck stehende Ira und die, was ihre Herkunft betrifft, schon etwas mysteriöse Zoe auf den Weg, um die Kirche zu finden, deren Glockenklang sie vernommen haben.
Was sie vorfinden, ist ein verlassenes Bergdorf. Als habe eine Neutronenbombe alles menschliche Leben zerstört. Weil das mit der Auto-Hilfe Tage dauern kann, nistet sich das Quartett im Geisterort ein: Lebensmittel und Wein gibt’s im Überfluss, in einer noblen Villa sogar Schmuck und ein Gewehr. Die jungen Frauen hinterlassen eine Spur der Verwüstung, bis sie durch zwei Männer entdeckt werden, die Möbel aus der Villa auf einen Pickup laden.

Wenig später ist die Polizei vor Ort. Trotz Iras Versuch, sich mit dem Gewehr einen Vorsprung zu verschaffen, werden alle verhaftet. Der Ort ist, wie sich nun herausstellt, aufgrund eines Waldbrandes evakuiert worden. So erklärt sich auch die Schafherde, die ohne Hüter ins Tal gezogen ist. Die zarte Liaison zwischen Ira und Zoe ist abrupt beendet: Ira, die eigentlich Valentina Moretti heißt, wird von ihren Eltern (Anton Algrang und Antonietta Bonomi) abgeholt, als sei nichts gewesen. Auch Malin und Ka wird eine baldige Entlassung nach Deutschland in Aussicht gestellt.
Unterkunft: Nonnenkloster
Nur Ira muss sich den Fragen einer Psychologin (Wiebke Puls) stellen, die mit einem Gutachten zur psychischen Verfassung der offenbar einzigen Angeklagten beauftragt ist. Sie sorgt dafür, dass Ira in ein Nonnenkloster kommt, wo sich die empathische Schwester Martha (Pirkko Peltonen) um die in sich gekehrte und, da der italienischen Sprache nicht mächtig, stumme Deutsche kümmert. Als ganze Vogelschwärme aus dem brennenden Wald in den Klostergarten fliehen, erscheint erstmals ein Lächeln des Verständnisses auf Iras Gesicht: eine ähnliche Geschichte hatte ihr Zoe von einem Vulkanausbruch in ihrer Heimat erzählt.
In „Dead Girls Dancing“, ihrem Abschlussfilm an der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film (HFF), erzählt Anna Roller in einem Roadtrip das aufgewühlte Seelenleben ihrer jungen Protagonistinnen, die fernab von den Erwartungen ihrer Eltern die Grenzen ihrer neu gefundenen Freiheit austesten. Felix Pfleger, mit dem sie schon zuvor während des Studiums zusammengearbeitet hat, fokussiert in langen Einstellungen mit bewegter, erzählender und immer wieder auch subjektiver Kamera auf die Hauptfigur Ira. Gedreht im klassischen 4:3-Bildformat hat Anna Roller, so die Regisseurin bei ihrer Kinotour in Essen, „Iras emotionale Realität“ einschließlich ihrer imaginierten Hexenfiguren auf die Leinwand bringen wollen. Dass dabei letzte Fragen offen bleiben, halte ich im Gegensatz zu manchen Kritikern für einen Gewinn.
Gedreht in Italien – Erstaufführung in Deutschland Juni 2023
Der 97-minütige Film „Dead Girls Dancing“ ist von August bis Oktober 2021 in Italien gedreht worden, feierte seine Uraufführung am 9. Juni 2023 auf dem Tribeca Festival New York und seine Deutsche Erstaufführung am 28. Juni 2023 auf dem Filmfest München. Zum
Kinostart am 23. November 2023 wird er in der Galerie Cinema Essen und im Metropol Düsseldorf gezeigt.