
Zynischer Professor und junge Studentin
„Contra“ neu im Kino
Die erste Vorlesung bei Professor Richard Pohl (Christoph Maria Herbst) soll ein besonderer Tag für Naima Hamid (Nilam Farooq) werden: Die Jurastudentin mit marokkanischen Wurzeln träumt seit Jahren davon, Anwältin zu werden und so auch ihrer Mutter (Meriam Abbas) und den jüngeren Brüdern zu einer besseren Zukunft in Deutschland zu verhelfen, wo sie allesamt nur Bleiberecht genießen.
Doch ihr Bruder Junis (Mohamed Issa) lässt die große Schwester direkt am ersten Tag ihres ersten Studiensemesters im Stich. Weil er nicht auf den jüngsten Bruder Abu (Cristiano Papasimos) aufpassen will, muss Naima einen Umweg zur Großmutter (Fatima Naji) einplanen und kommt zu spät in den vollbesetzten Hörsaal der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Professor Richard Pohl lässt die Störung seiner Vorlesung nicht ungesühnt: Er stellt Naima im übervollen Hörsaal bloß und spart auch nicht an Vorwürfen gegen den Kulturkreis der Studentin mit Migrationshintergrund. Mitgefilmte Videos dieser Eskapaden füllen noch am selben Tag das Internet.
Nun kann auch der Präsident der Universität, Professor Alexander Lambrecht (Erich Stötzner), kaum noch etwas für seinen alten Weggefährten tun. Bei einem Disziplinarausschuss in wenigen Wochen wird aller Voraussicht nach eine Suspendierung ausgesprochen. Es sei denn, Professor Pohl bereitet Naima auf einen bundesweiten Debattierwettbewerb vor, und rettet durch diesen vermeintlich selbstlosen Einsatz seinen Ruf und seine Karriere. Professor Pohl ist entsetzt und hofft, dass Naima sich für den hochkarätigen Wettbewerb erst gar nicht anmelden wird. Doch das hat sie bereits getan, weil sie glaubt, eine bessere Anwältin zu werden, wenn sie gut debattieren kann. Einen solchen Dozenten will sie aber keinesfalls als Lehrmeister haben.

Naima willigt erst ein, als Professor Pohl ihr deutlich macht, dass eine Migrantin in Deutschland niemals den Anwaltsberuf ergreifen kann, wenn sie nicht aus ihrer Opferrolle ausbricht und sich weiterhin weigert, von den Besten zu lernen. Der harte und nicht immer freundliche Unterricht, gepaart mit anderen Vorlesungen, simplen Aushilfsjob und familiären Problemen, führen Naima rasch an ihre physischen und psychischen Grenzen. Doch als sich in den Vorrunden des Wettbewerbs erste Erfolge einstellen, erkennt Naima, dass sie und ihr Coach auf dem richtigen Weg sind.
Auch ihr Freund Mo (Hassan Akkouch) bestärkt Naima, diesen Traum zu leben, obwohl der ebenso einfache wie charmante Taxifahrer Angst hat, dass der soziale Aufstieg seiner Freundin der jungen Beziehung in die Quere kommt. Bei einer weiteren Vorrunde in Heidelberg beeindruckt Naima die Jury mit einer großartigen Rede zur Frage: „Ist der Islam eine gefährliche Religion?“ Nach weiteren Siegen in Leipzig, Berlin und Köln schafft sie es bis ins Finale. Die Stimmung könnte nicht besser sein, zumal sich auch Professor Pohl ihr gegenüber langsam öffnet und sie erkennt, dass auch der schlimmste Zyniker ein Herz zu haben scheint.
Doch am Vortag des Finales in der Mainmetropole wendet sich plötzlich das Blatt: Naimas Kommilitone Benjamin (Stefan Gorski) erzählt ihr von der perfiden Absprache zwischen dem Universitätspräsidenten und dessen Spezi: Naima diente nur als Blendgranate, um Professor Pohl vor dem Disziplinarausschuss zu schützen und den Ruf der Universität zu bewahren. Enttäuscht zieht Naima die Konsequenzen – mit weitreichenden Folgen für alle Beteiligten…
Sönke Wortmann gilt seit seiner Leinwandadaption des Comics „Der bewegte Mann“ von Ralf König nicht nur als einer der erfolgreichsten deutschen Filmregisseure mit Schwerpunkt auf Roman-Verfilmungen, siehe „Das Superweib“, „Schoßgebete“, „Die Päpstin“ und „Sommerfest“. Sondern nach dem Kammerspiel „Der Vorname“ auch als souveräner, wenn auch wenig eigenen Ehrgeiz entwickelnder Bearbeiter französischer Gesellschaftskomödien ins Deutsche. Nun ist mit „Contra“ eine weitere hinzugekommen, dessen Original „Le Brio“ von Yva Attal bei uns im Sommer 2018 unter dem Titel „Die brillante Mademoiselle Neïla“ in den Kinos lief. Die Relevanz des Themas ist beiderseits des Rheins hoch, der Drehort, die Frankfurter Universität in Hans Poelzigs denkmalgeschütztem IG-Farben-Haus aus den 1920er Jahren, mehr als nur eine großartige Location – und die beiden Protagonisten Nilam Farooq und Christoph Maria Herbst eine Klasse für sich.
Dennoch stellte sich zunächst die Frage nach der Notwendigkeit eines Remakes. Doch nach der Uraufführung am 14. September 2020 zur Eröffnung der 20. Filmkunstmesse Leipzig nicht mehr: „Contra“ erhielt den Publikumspreis der Gilde-Filmkunstkinos und für Nilam Farooq gabs den Bayerischen Filmpreis 2021 als beste Darstellerin. Nachdem „Contra“ am 1. Oktober 2020 beim Zürich Film Festival gelaufen war, musste coronabedingt der Kinostart verschoben werden – auf den 28. Oktober 2021. Bei uns zu sehen u.a. in der Filmwelt Herne, im Union und im Casablanca Bochum sowie in der Schauburg Gelsenkirchen.