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Kolumne von Dr. Gerd Dunkhase

Brief an Bettina Böttinger

Sehr geehrte Frau Böttinger,
Ihre Sendung vom Dienstag (29.11.2016) mit dem Titel Macht uns das Gesundheitswesen krank? schaue ich mir jetzt zum 5. Mal an und ich muss sagen, ich fühle mich immer noch bestens unterhalten. Wie Sie da zwischen den (Stamm-) Tischen herum hüpfen, um die Klischees des Volkes oder der Experten zu Gehör zu bringen, das hat schon etwas slapstickhaftes. Ihre Sendung soll ja sicher auch erstrangig der Belustigung der Massen dienen.

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Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey.

Falls Sie jedoch zur Aufklärung beitragen wollten (wie gesagt, ich halte das für unwahrscheinlich), dann wäre es gut, wenn Sie wüssten, dass es in Deutschland kein Gesundheitssystem gibt. Wichtigste Eigenschaft eines Systems ist nämlich die Systematik. Daher der Name. Wir haben aber einen Markt mit gesundheitsorientierten Dienstleistungen. Mit seinen Krankenkassenbeiträgen kauft der Kunde eine Flatrate für den Zugang zu diesem Markt. Das ist die Mutter aller Flatrates, erfunden vom alten Bismarck. Sie verhindert jegliche Systematik, schafft aber ein enormes wirtschaftliches Potential. Allein über die Krankenversicherungen werden fast 350 Milliarden Euro in diesen Markt gepumpt. Hinzu kommt noch ein Markt von ca.150 Milliarden Euro (es könnten auch mehr sein, so genau ist das nicht bekannt) mit allerlei Schnickschnack, der nicht über die gesetzlichen Krankenversicherungen läuft. Der weltweite Neid ihrer Kollegen ist den Finanz- und Wirtschaftsministern in Deutschland sicher.

Mit dieser Flatrate kann man fast alles im Gesundheitsmarkt erklären. Das, was gut läuft (auch Arme bekommen eine medizinische Versorgung auf dem Stand des aktuellen Wissens) und das, was weniger Begeisterung hervorruft (z.B. die Überschwemmung der Krankenhausambulanzen mit Patienten, die dort nichts zu suchen haben). Selbstverständlich profitieren alle, die ihre Produkte in diesem Markt anbieten, von dieser Flatrate.

Um alle Klischees und Vorurteile, die in Ihrer Sendung zum Besten gegeben wurden, zurecht zu rücken, reicht der Raum dieses Briefes nicht. Vielleicht nehme ich das mal als Gliederung für ein noch zu schreibendes Buch. Deshalb beschränke ich mich auf zwei Punkte: das Abrechnungsverhalten und die Behandlungsfehler der Ärzte.

Kassenärzte haben auch eine (Mini-) Flatrate, sie nennt sich Regelleistungsvolumen. Das ist eine Leistungspauschale pro Patient und ein begrenztes Kontingent an Patienten pro Quartal. Mehr Fälle werden nicht bezahlt. Für teure Patienten brauchen die Ärzte ausreichend „Verdünner“, sonst machen sie Miese. Die Logik dieses Systems ist für die meisten Ärzte nur eingeschränkt, für Journalisten kaum und für den Otto-Normal-Kunden gar nicht durchschaubar, erst recht nicht für die privat versicherte Dame, deren Rechnungen angeblich zu 80 Prozent falsch seien. Falls ihre Behandler wirklich derartige Schlawiner sein sollten, wäre es ratsam, das auch einem interessierten Staatsanwalt zu erzählen. Augenscheinlich meinte sie jedoch, alle Ärzte betrügen und die Probleme des Gesundheitsmarktes wären zu lösen, wenn die Patienten das Abrechnungs-Verhalten ihrer Ärzte kontrollieren würden. Das allerdings reicht nicht. Erfolg verspreche nur, wenn jeder Patient auch für die Begleichung seiner Rechnung verantwortlich wäre und augenscheinlicher Blödsinn nicht von der Flatrate abgedeckt würde. Die Gefahr einer bewaffneten Patienten-Revolution sollte bei Einführung eines derartigen Verfahrens nicht unterschätzt werden.

Bereits zu Beginn Ihrer Sendung geben Sie einer Anwältin Raum für das Marketing ihrer rechtlichen Dienstleistung. Angeblich gäbe es 600 000 Behandlungsfehler pro Jahr und darüber hinaus noch eine beträchtliche Dunkelziffer. Da eine Diagnose dem Patienten selten an der Nasenspitze anzusehen sondern ein Weg von Versuch und Irrtum ist, kann man diese Zahl mühelos nach oben manipulieren. Das sind für die Anwälte grandiose Geschäftsaussichten und es lohnt sich, die diesbezüglichen Begehrlichkeiten ihrer Klienten zu befeuern. Nett, dass Sie den Anwälten ein Podium für deren Werbung bieten. Leider musste der Kollege dieser Dame zum Ende seiner Ausführungen einräumen, dass nur etwa 25 – 50 Prozent der Prozesse zugunsten der Kläger entschieden werden. Das liegt sicher nicht daran, dass Richter zu der Spezies der Krähen gehören, die ihren ärztlichen Artgenossen nicht die Augen aushacken. Die Erfolgsquote der Prozesse, die von privaten Gutachtern bedient werden, unterscheidet sich übrigens nicht wesentlich von denen, die von Gutachtern der Ärztekammern oder des medizinischen Dienstes der Krankenkassen beurteilt werden. Warum sind diese Quoten so erbärmlich? Pfuschen die Anwälte etwa oder hetzen sie gar ihre Kunden mit Ihrer Hilfe auch in Prozesse, die sie nicht gewinnen können? Eines ist nämlich bei erfolgreichen wie verlorenen Prozessen gleich: Die Anwälte bekommen immer ihr Honorar. Das dürfte bei den meist hohen Streitwerten beträchtlich sein, selbst dann, wenn sie ihre Klienten zu einem aussichtslosen Verfahren verleitet haben. Um Missverständnissen vorzubeugen: Selbstverständlich ist es unverzichtbar, ärztliche Dienstleistungen rechtlich überprüfbar zu machen. Es stört mich auch nicht, wenn bei vermeintlichem „Pfusch“ ein strengerer Maßstab angelegt wird als bei Anwälten und Journalisten. Wenn aber fast zwei Drittel aller Prozesse gegen Ärzte wegen vermeintlicher Behandlungsfehler verloren werden, liegt dass vor allem daran, dass, unter anderem auch mit Ihrer Hilfe, unerfüllbare Erwartungen an eine ärztliche Dienstleistung geweckt werden.

Es entbehrt nicht einer makabren Attitüde, dass Sie eine Dame mit Brustkrebs, die wegen einer Metastase in der Augenhöhle ihren Gynäkologen verklagt, zu Wort kommen lassen. Eine derartige Streuung des Tumors gehört zu den absoluten Raritäten beim Brustkrebs. Für das Auftreten dieser Metastase ist der behandelnde Gynäkologen nicht verantwortlich. Wenn ihm kein Versäumnis bei der Diagnostik nachgewiesen werden kann (was ich nach der Schilderung des Sachverhaltes für relativ wahrscheinlich halte), wird diese Dame auch mit der Hilfe eines privaten Gutachters wahrscheinlich in ihrem Prozess nicht obsiegen. Da aufgrund der Lokalisation der Metastase aber angenommen werden kann, dass der Tumor in das Zentralnervensystem gestreut hat, dürfte ihr noch ein schlimmer Weg bevorstehen. Es ist nicht zu erwarten, dass ein frustraner Prozess das Leben der Patientin verlängert oder ihr und ihrer Familie hilft, ihr Schicksal anzunehmen. Geradezu zynisch finde ich es, mit derartigen Schicksalen ein unseriöses Geschäft zu machen. Das gilt für alle Akteure im Gesundheits-Business, Ärzte, Anwälte, Heilpraktiker und auch für die Medien.

Aber das Anliegen Ihrer Sendung war ja Unterhaltung und nicht Aufklärung. Oder habe ich da etwas missverstanden?

Mit freundlichen Grüßen

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Gerd Dunkhase von Hinckeldey

| Autor: Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey