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Kolumne von Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey

Bloß keine Corona-Impfpflicht

Die Nachricht ist einfach großartig: Der Impfstoff ist da! Und wenn zutrifft, was gemeldet wird, bietet er einen über 90-prozentigen Schutz. Das ist ein sensationeller Wert, der bei diesem Virus nicht zu erwarten war. Diese Nachricht hat mich geradezu elektrisiert. Denn jetzt haben wir eine Perspektive!

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Aber, wie retten wir uns über die Zeit bis zur vollständigen Verfügbarkeit des Impfstoffes? Wer soll sich impfen lassen? Kann durch die Impfung das rettende Ufer der Herdenimmunität erreicht werden, muss das überhaupt so sein?

Dieses Virus hat eine außerordentlich perfide Eigenschaft: Es trennt in bislang nie gekannter Form eine vulnerable, also hochgradig gefährdete Bevölkerung von jenen Menschen, die sich so gut wie keine Sorgen machen müssen. Es trennt die Alten von den Jungen, die chronisch Kranken von den Gesunden, die Dicken von den Dünnen, die Raucher von den Abstinenzlern – auch die Klugen von den Dummen.

Aus den diversen Talk-Shows hallte es in letzter Zeit immer häufiger, man müsse mit dem Virus leben lernen. Klar, bis zum Erreichen einer ausreichenden Herdenimmunität wird uns auch nichts anderes übrig bleiben. Leider sagten diese Experten, allen voran Professor Streeck, nicht, wie dieses Leben aussehen soll. Wenn kein effektiver Impfstoff gekommen wäre, hätte man auf lange Zeit tolerieren müssen, dass weiter Infektionen stattfinden, asymptomatische und leichte, aber auch schwere Verläufe mit langem Siechtum und Tod. Und der Tod an Covid-19 gehört nicht zu den Sanftesten.

Impfen - Plicht oder nicht?

Grob kalkulatorisch haben wir in Deutschland noch knapp 80.000.000 infektiologisch naive Menschen, in NRW circa17.000.000. All diese Menschen müssten trainiert werden, sich in der jeweiligen Situation des Infektionsgeschehens richtig zu verhalten, denn das Virus verzeiht keine Nachlässigkeit. Bei einer derart großen Zahl von infizierbaren Menschen kann die Lage jederzeit aus dem Ruder laufen. Wenn man hypothetisch annimmt, man könne pro Jahr eine Infektionsquote von real circa 3.000.000 (Verifizierte plus Dunkelziffer) stemmen unter möglichst perfektem Schutz der vulnerablen Bevölkerung, müsste man immer noch etwa 15.000 Tote und eine ungezählte Menge an Langzeitkranken akzeptieren. Ein solches Szenario bräuchte fast 20 Jahre bis zu einer ausreichenden Herdenimmunität von 60 Prozent der Bevölkerung. Ich habe beträchtliche Zweifel, ob das realisierbar wäre. Es wird schon schwierig genug sein, das bis zu einer ausreichenden Impfquote, die – vielleicht – Mitte 2023 erreicht werden kann, durchzuhalten.

„Damit leben“, das suggeriert, es gäbe eine Möglichkeit, das Ausmaß der Katastrophe zu beherrschen. Grundvoraussetzung dafür wäre, dass man das Infektions-Geschehen jederzeit in allen Details einschätzen kann. So muss man die tatsächliche Infektionshäufigkeit (Inzidenz) pro 100.000 Personen mit ausreichender Präzision jederzeit feststellen können. Derzeit ist, was kaum kommuniziert wird, die Dunkelziffer noch riesig. Man muss zum Beispiel auch wissen, welche Altersgruppen vorzugsweise betroffen sind und wie sie das Infektions-Geschehen forcieren. Man muss wissen, an welchen Orten, in welchen Institutionen und Betrieben Infektionen stattfinden, man muss eruieren, wie das jeweils passiert. Man muss über die technischen und rechtlichen Instrumente verfügen, Infektionscluster einzugrenzen und zu isolieren. Das sind nur einige Voraussetzungen und sie sind bislang nirgendwo auf der Welt erfüllt. Und, man muss am Ende die damit verbundenen zwangsläufigen Folgen kommunizieren (stark verkürzt): Die einen müssen sich massiv einschränken und ein höheres Risiko auf Siechtum und Tod akzeptieren, damit die anderen leben, arbeiten und konsumieren können.

„Damit leben“ verlangt also neben einem enormen Maß an technischer Kompetenz eine exzellente Kommunikation der getroffenen Maßnahmen seitens der Politik und Administration und eine außergewöhnliche Kooperationsbereitschaft der Bevölkerung andrerseits. Selbst wenn alle staatlichen Institutionen einen perfekten Job erledigen, hängt der Erfolg daran, ob die Bevölkerung mitspielt. Je geringer das Vertrauen in die behördliche Kompetenz ist, desto geringer wird die Disziplin der Menschen sein. Was derzeit in Finnland und Norwegen ganz gut, in Dänemark und Schweden so halbwegs, in Deutschland noch „so lala“ auf halbwegs freiwilliger Basis funktioniert, klappt in den Ländern des ehemaligen Ostblocks, in denen das Vertrauen in die staatlichen Institutionen traditionell gering ist, nur noch unter dem Einsatz massiver Zwangsmaßnahmen. Ähnlich sind die Verhältnisse bei einigen unserer westlichen und südlichen Nachbarn.

„Damit leben“ bedeutet in der Realität, man muss innerhalb möglichst erträglicher Grenzen die zwischenmenschliche Kontaktfrequenz hoch- oder runter fahren, gewissermaßen zwischen Lockerung und Lockdown undulieren. Das wird noch ein nationales, europäisches und weltweites Herkules-Projekt.

Aber der Impfstoff ist da. Und es bleibt nicht bei dem einen. Im Abstand von wenigen Wochen bis Monaten werden die nächsten folgen. Ich bin mir sicher, bereits im 2. Quartal des kommenden Jahres wird mehr Impfstoff in Deutschland und wahrscheinlich auch im restlichen Europa verfügbar sein, als verimpft werden kann. Und wir werden ein gewaltiges Gedränge bekommen von denen, die geimpft werden wollen.

Schon der Biontech-Impfstoff scheint so wirksam zu sein, dass er eine echte Herdenimmunität innerhalb eines überschaubaren Zeitraumes ermöglichen kann. Ich bin überhaupt nicht besorgt, dass zu wenige Menschen sich impfen lassen wollen. Im Gegenteil, ich vermute, dass sogar ein riesiger Teil derjenigen, die sich bislang zu Querulanten-Demos getroffen haben, zu denen gehören wird, die am lautesten nach sofortiger Impfung verlangen werden. In einer derart pandemischen Seuche, wie es Covid-19 nun einmal ist, wird jeder halbwegs Vernünftige versuchen, das rettende Ufer schnellstmöglich zu erreichen.

Eine generelle Impfpflicht halte ich da nicht nur für nicht erforderlich, ich hielte sie geradezu für eine Katastrophe. Diejenigen, die wider jede Vernunft eine Impfung ablehnen, müssen dann mit ihrer Ignoranz leben und neben den gesundheitlichen auch die sozialen Risiken ertragen. Spätestens, wenn Arbeitgeber, wenn Hotels und Gaststätten, Freizeiteinrichtungen wie Kinos und Theater, gar Fußballstadien einen Impfnachweis verlangen, wird es kaum noch Impfverweigerer geben. Die Gruppe der notorischen, radikal törichten Impfgegner wird auf einen vernachlässigbaren Rest schrumpfen. Eine Impfpflicht wäre da absolut kontraproduktiv und würde allenfalls Widerstand erzeugen. Was dann aber wirklich gebraucht wird, ist der Impfausweis - fälschungssicher natürlich.

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Gleichwohl, es wird dauern. 60 Impfzentren sind in Deutschland geplant. Könnte jedes Zentrum täglich 1.000 Menschen impfen, müssten sie 350 Tage im kommenden Jahr im Vollbetrieb arbeiten, um 21 Millionen Personen zu impfen. Eine Herdenimmunität von 70 Prozent wäre dann vielleicht Ende 2023 erreicht.

| Autor: Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey