
Gedanken zur Weihnacht von Hans-Jürgen Jaworski
Auch ein Weihnachtsbaum
Dieser Baum ist natürlich in keiner Weise mit unseren schön und einfallsreich geschmückten Weihnachtsbäumen in unseren Wohnzimmern zu vergleichen.
Er ist ein Überbleibsel der Ausstellung „Stichwort: Hoffnung“ des Kunstprojektes „Glaube, Liebe, Hoffnung…“ in der Johanneskirche in Eickel und ist jetzt so im Atrium des LWL-Museums in Herne zu besichtigen. Sein Titel: „Martins Baum“. Er soll an Martin Luthers Wort über die Hoffnung erinnern: „Auch wenn ich wüsste, dass morgen die Welt untergeht, würde ich heute noch einen Apfelbaum pflanzen“.
Das wäre natürlich völlig verrückt. Aber so ist das mit der Hoffnung: sie ist verrückt! Auch deshalb, weil sie den Hoffenden über die Gegenwart hinaus in eine neue Zukunft verrückt.
Also, das Gebilde im Atrium des LWL-Museums ist ein Hoffnungsbaum.

Allerdings muss der Betrachter schon auf den ersten Blick feststellen, dass mit diesem Baum einiges nicht stimmt. Da liegen Früchte auf der Erde. Aber ist unsere Hoffnung nicht immer wieder so etwas wie Fallobst? Wir werden doch immer wieder als Hoffende enttäuscht. Der Baum ist welk. Er kann keine Früchte tragen. Ist das nicht unsere Situation, dass wir eben nicht prächtigen Bäumen voller Saft gleichen, die viele Früchte hervorbringen, sondern eher einem „dürren Stamm“. Die Hoffnung an unserem Lebensbaum gleicht fast immer eher diesen fremden angehängten Früchten.
Und dann dieses Flechtwerk aus Stoffresten, langsam gewachsen! Die Hoffnung erwächst meistens langsam aus den Resten, die übrig geblieben sind. Sie erwächst kaum aus prächtigen Machwerken.
Die Hoffnung ist wohl ein eigenartiges Gebilde. Aber sie ist lebensnotwendig.
Wenn ich nun das alles so bedenke, erkenne ich, dass „Martins Baum“ doch ein Weihnachtsbaum sein muss, ein besonderer; denn Weihnachten handelt von nichts anderem als von einer verrückten Hoffnung in hoffnungsloser Zeit.
Das erste Weihnachten vor langer Zeit, das Kind in der Krippe in Bethlehems Stall, kann man nun wirklich nicht in Verbindung bringen mit unseren von Weihnachtsmusik durchlärmten und von Glühwein durchtränkten Weihnachtsmärkten, mit den kassenklingenden Einkaufsstraßen und Shoppingzentren. Das Kind in der Krippe damals hat nichts zu tun mit weißer Weihnacht, putzigen Rentieren, mit deutscher Romantik, auch passt es nicht in eine fromme Idylle.
Damals war ja nichts romantisch und idyllisch. Es waren schreckliche und hoffnungslose Zeiten, in denen Besatzungsmächte, Eroberer herrschten und das Volk unterdrückten und auspressten. Über Jahrhunderte hatte das kleine Israel unter fremden Mächten zu leiden, unter den Babyloniern, Persern, Assyrern, Griechen und Römern. Es gab immer wieder Aufstände, die blutig niedergeschlagen wurden. Also, keine stille Nacht, dennoch eine heilige.
Also, Weihnachten hat zunächst mit unseren Nöten, schrecklichen Erfahrungen, Mißerfolgen und mit unseren kaputten Zielen, kurzum: mit unserer Hoffnungslosigkeit zu tun. Dabei wird überaus deutlich, worauf wir auf keinen Fall zu hoffen brauchen: auf Kapital und Kriegskunst, auf die Führer und Fürsten dieser Welt, auf die Macht der Mächtigen. Das war so beim ersten Weihnachten und es gilt besonders auch heute.
Noch nie gab es so viel Reichtum, verteilt auf eine Handvoll Leute, wie heute, noch nie gab es so viele Waffen auf diesem Globus wie zur Zeit. Und die Zahl der Dispoten und Diktatoren nimmt beständig zu. Doch all das führte immer und führt auch jetzt dazu, dass die Probleme dieser Erde mit all seinen Geschöpfen immer größer werden, die Zukunft immer ungewisser, die Prognosen der Fachleute immer hoffnungsloser.
Fazit: Wenn Macht und Gewalt und Geld am Ende nichts ausrichten, dann müsste das Gegenteil doch helfen und Hoffnung machen.
Weihnachten ist dieses Gegenteil, das Kind in der Krippe ist das Gegenprogramm Gottes.
Das Krippenkind ist machtlos, mittellos. Von ihm geht keine Gefahr aus. Keine Ausbeutung und Unterdrückung. Und so ist es geblieben beim Mann von Nazareth - bis zum Kreuz. Seine Botschaft ist nur eine Friedensbotschaft. Das Krippenkind, der spätere Kreuzesmann, hatte nur einen „Zweck“: Glaube, Liebe und Hoffnung in Wort und Tat zu kommunizieren.
Das funktioniert nicht mit Macht und Gewalt, sondern nur mit den Möglichkeiten der Ohnmacht. Deshalb hat Gott sich gewissermaßen klein gemacht, ist er ein heruntergekommener Gott geworden. Und deshalb ist er auch in der größten Tiefe und Dunkelheit zuhause. Und eigenartigerweise (wer kann das wirklich verstehen) sind Glaube, Liebe, Hoffnung in ihrer „kindlichen“ Ohnmacht mächtig in unserer Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung, in unserem Scheitern, in unserer Angst und Schuld, in unserer unvermeintlichen Schwachheit und unserer letzten Stunden, wo die Fürsten, Führer und Finanzmogule dieser Welt schon längst das Weite gesucht haben.
Ich hatte es angekündigt in einer Kolumne vor einigen Monate, im Sommer hatte ich es dann gemacht, ich habe das Schild „Tron, Hoppet, Kärleken“ (Der Glaube, die Hoffnung, die Liebe) in Nordschweden an der E 4 vor dem Werk „Ark“ (Arche) von dem schwedischen Bildhauer Claes Hake aufgestellt. Die Botschaft des Künstlers ist klar: unsere heutige Situation ist derartig, dass jeder Kontinent eine Rettungsarche braucht.
Ich denke, „Glaube, Liebe, Hoffnung“ ist diese Arche. Ich kenne keine andere.
Glaube, Liebe, Hoffnung kann man nicht befehlen, mit Gewalt erzwingen. Aber man kann sie suchen, entdecken, sie sich schenken, anhängen lassen wie die Keramik-Äpfel an dem welken Baum.
Das alte Weihnachtslied „Ich steh an deiner Krippe hier“ macht deutlich, wo die Entdeckungsreise zu dem beginnt, was wirklich hilft in hoffnungsloser Zeit: beim Kind in der Krippe.
Gute Reise und Frohe Weihnachten.
