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Colin Danderski, Daniel Jeroma und Johanna Kunze.

Zeitaktuelles Schauspiel mit Puppen

Amphitryon am MiR

„Heda! Wer schleicht da? Holla! – Wenn der Tag / Anbräche, wär mirs lieb…“: Sosias (Merten Schroedter) ist von seinem Herrn, dem Feldherrn Amphitryon (Daniel Jeroma), voraus geschickt worden, um dessen Gattin Alkmene (Johanna Kunze) in Theben die Rückkehr des siegreichen Helden anzukündigen. Doch dem Diener wird der Einlass verwehrt von einem, der ihm zum Verwechseln ähnlich sieht: Merkur (Sebastian Schiller) hält Wache für Alkmenes schier nicht enden wollende Nacht der Nächte mit einem göttlichen Liebhaber, seinem Chef Jupiter (Karoline Hoffmann) – in Gestalt Amphitryons.

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Weil auch Sosias‘ so ehrgeizige wie zänkische – und hier auch kokette - Frau Charis (Gloria Iberl-Thieme) Bekanntschaft mit dem spottlustigen Doppelgänger ihres Gatten macht, herrscht anderntags Chaos auf der Herren- wie auf der Dienerebene. Die allgemeine Verwirrung droht in ernsthafte Konflikte auszuarten, als Jupiter die Reißleine zieht und sich als göttlicher Verwandlungskünstler zu erkennen gibt: „Ich wars. Seis wer es wolle.“ Alkmene, die schon die Trennung von ihrem Mann erwogen hat, fügt sich in der fünften Szene des zweiten Aktes in ihr Schicksal: „Wie gern will ich den Schmerz empfunden haben, / Den Jupiter mir zugeführt, / Bleibt mir nur alles freundlich wie es war.“ Und um Amphitryon zu versöhnen, verspricht der Donnerer am Ende des dritten Aktes die Geburt eines Kindes mit heldischer Zukunft: Herkules (Colin Danderske). Der kriecht ganz neudeutsch-gendergerecht aus des Feldherrn Schoß…

Johanna Kunze als umschwärmte Alkmene.

Von Plautus über Moliere und Giraudoux bis hin zu Georg Kaiser und Peter Hacks reicht die Liste der Bearbeiter der griechischen Sage von der Zeugung des Herakles. Heinrich von Kleist gestaltete 1806 in Königsberg aus Molieres frivoler, 1668 uraufgeführter Doppelgänger-Komödie „Amphitryon“, verfasst zur Erheiterung des barocken Sonnenkönigs von Versailles, sein sehr poetisches, erst 88 Jahre nach dem Selbstmord des Dramatikers am Kleinen Wannsee uraufgeführtes „Lustspiel nach Moliere“. Kleist nimmt den Mythos ernst und macht Alkmenes Gefühle zu seinem Hauptthema, während er die derbe Lustspielhandlung vollständig auf die Dienerebene Sosias/Charis verlagert.

Mit einem vieldeutigen „Ach“ der betrogenen, sich freilich erst am Ende auch wirklich betrogen fühlenden Alkmene endet bei Heinrich von Kleist der antike Mythos. Das ist nun, auf den Tag genau 123 Jahre nach der Uraufführung am 8. April 1899 am Neuen Theater Berlin, am Gelsenkirchener Musiktheater im Revier ganz anders. Der dänische Ernst-Busch-Absolvent Nis Søgaard, 2019 für den deutschen Theater-Oscar „Der Faust“ nominiert, fragt in seiner einhundertminütigen Fassung nach der Bedeutung von Krieg und zeichnet den Kampf des Einzelnen für eine erfolgreiche Selbstinszenierung nach. Er hält in seiner comichaft-plakativen Inszenierung den hochmütig-narzisstischen Menschen den eigenen Spiegel vor.

Unterstützt wird der gelernte Puppenspieler und genreübergreifend im Schau- und Puppenspiel international tätige Regisseur von den glänzenden Lack-Kostümen des Westwood-Schülers Amit Epstein, welcher das Protagonisten-Quartett Amphitryon/Alkmene und Sosias/Charis in Haute-Couture-Fummeln auf den Catwalk zwischen den beiden Elektro-Pop-Musikern Lukas Streich und Jasmina de Boer schickt. Das Duo „We Will Kaleid“ begleitet das teilweise ausufernd-laute Geschehen mit minimalistischen Beats und Samples sowie de Boers zartem Gesang.

Die Dresdener Diplom-Theaterplastikerin Lili Laube hat für die beiden Puppenspielerinnen Gloria Iberl-Thieme und Karoline Hoffmann sowie die beiden Mitglieder des Gelsenkirchener Puppentheater-Studios, Johanna Kunze und Colin Danderski, die Götterfiguren samt Herkules aus Aluminium, Holz und Schaumstoff gebaut: In Nis Søgaards Lesart und der seiner Dramaturgin Anna-Maria Polke stehen nicht die Götter, die sich einen verwerflichen Spaß mit den Erdenbewohnern erlauben, auf der Anklagebank, sondern die Menschen, welche mit ihrem Selbstoptimierungswahn nach göttlicher Vollkommenheit streben. Dass bei dieser bewusst übertriebenen Stilisierung „die schönste deutsche Komödie“ (Georg Hensel) auf der Strecke bleibt, sei hier wenigstens angemerkt.

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Die weiteren Aufführungstermine im Kleinen Haus: Am Montag, 18. April 2022, um 18 Uhr, am Sonntag, 24. April 2022, um 18 Uhr, am Samstag, 14. Mai 2022, um 19:30 Uhr, am Sonntag, 15. Mai 2022, um 18 Uhr sowie am Samstag, 28. Mai 2022, um 19:30 Uhr. Karten unter musiktheater-im-revier-de oder unter Tel. 0209 – 40 97 200.

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  • Montag, 18. April 2022, um 18 Uhr
  • Sonntag, 24. April 2022, um 18 Uhr
  • Samstag, 14. Mai 2022, um 19:30 Uhr
  • Sonntag, 15. Mai 2022, um 18 Uhr
  • Samstag, 28. Mai 2022, um 19:30 Uhr
| Autor: Pitt Herrmann