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Alle, die ein Hirn haben, sollten es aus benutzen. Anschalten nicht vergessen.

Kolumne von Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey

#allesdichtmachen

Ein Dokument der moralischen und intellektuellen Armseligkeit: Heute habe ich mir etwas Schlimmes angetan, unter dem ich noch lange zu leiden haben werde. Nein, ich habe nicht an Zyankali geschnuppert, auch keinen Strick geknüpft - ich habe bei „YouTube“ einige Videos der deutschen Medienprominenz unter #allesdichtmachen angeschaut. Seither kann ich einen Dauerbrechreiz kaum unterdrücken.

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Da kann man 53 der offensichtlich „ärmsten Schweine“ aus der Medienprominenz sehen, wie sie schier verrecken unter ihrem Bedeutungsverlust während der Corona-Krise. Seit Monaten hat sie offensichtlich keiner gefragt, wie sie es aushalten, ihre beträchtlichen Einkünfte aus allerlei Film- und Fernsehproduktionen nicht unters Volk bringen zu können. Sie sind es gewohnt, auf dem roten Teppich der Berlinale ihre vermeintlich systemrelevante Vorstellung von schrillem Chic und ihr aufgesetztes Grinsen den Kameras der Medien zu präsentieren. Da ist es das furchtbarste, plötzlich in dem tiefen Loch der Unwichtigkeit zu verschwinden. Plötzlich müssen die Tukurs, Liefers, Möhrings und wie sie alle heißen begreifen, dass sie weniger wichtig sind als die vermeintlich kleine, in Wirklichkeit aber großartige Schwester auf der Intensivstation. Und schlimmer noch, die Medien bilden das sogar ab. Das ist ein tiefer Sturz, das ist hart. Da bleibt dann nur noch die Möglichkeit, all die pathetische Sülze, die man aus seinem schauspielgeschulten Hirn herausquetschen kann, in zynischen und menschenverachtenden Spots auf „YouTube“ zu präsentieren. Ohne Applaus würden diese armseligen Flachpfeifen wohl abkratzen, egal woher die Huldigungen kommen. Schön, ganz so plump wie Gabriele Susanne Kerner aus Hagen (Sie wissen, die mit den 99 Luftballons) wollten sie sich nicht bei den CovIdioten und der AfD anbiedern. Aber das Schlupfloch, das ihnen die Flucht aus dieser Nummer bieten könnte, ist doch extrem eng.

Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey.

Die Videos sind ziemlich professionell gemacht. Sowohl die schauspielerische Darstellung als auch die Formulierung der Texte sind planvoll entwickelt. Das funktioniert nicht über Nacht als spontane, unbedachte Aktion von ein paar Frustrierten. Es muss Wochen, vielleicht sogar Monate der Organisation und Produktion dieser Videos gebraucht haben. Es ist daher nicht glaubhaft, wenn sie behaupten, ihnen sei nicht klar gewesen, dass sie das Lied der AfD und der rechten Querulanten singen. So blöde können sie eigentlich nicht sein, oder doch? Offensichtlich waren sie aber dämlich genug, zu glauben, sie könnten damit eine positive oder zumindest nachdenkliche Resonanz erzeugen. Wenn ein privilegierter Star den Applaus von Spinnern aus der rechten Szene sucht, gibt es dafür eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder, er ist dumm und naiv - oder er denkt genauso wie sie. Was ist schlimmer?

Ironisch bedanken sie sich dafür, dass in dieser Zeit nur noch „einfache Wahrheiten“ gälten und merken nicht, das mehr als simple Renitenz offensichtlich ihren Verstand überfordert. In ihrer Borniertheit verwechseln sie Prominenz mit Kompetenz. Keiner von denen, die sich unter #allesdichtmachen geäußert haben, hat zur Sache auch nur den Ansatz eines produktiven Beitrages geliefert.

Geradezu grotesk ist der Vorwurf, man könne in dieser Republik seine Meinung nicht mehr frei äußern. Ich habe mich bei halloherne beileibe nicht nur im Mainstream der politischen Meinung geäußert. Meine Meinung, dass derjenige, der glaubt, man könne das Infektionsgeschehen ohne Reduzierung von Sozialkontakten in den Griff kriegen, intellektuell unterhalb des kleinen Einmaleins angesiedelt ist, habe ich nie verheimlicht. Auch habe ich wiederholt die föderale Eierei und die unentschlossenen, oft völlig unlogischen und kontraproduktiven Maßnahmen angeprangert, sogar mehrfach die Begriffsstutzigkeit der Medienwelt bei der Interpretation der veröffentlichten Zahlen. Attackiert wurde ich dafür nur von Stalkern aus der rechten Szene.

Wenn Jan Josef Liefers über den Shitstorm, der sich über ihn ergießt, in der aktuellen Stunde des WDR die beleidigte Leberwurst spielt und bei 3nach9 den Weinerlichen macht, der angeblich doch gar nicht den „Rechten“ nach dem Maul reden wollte, ist das einfach nur peinlich.

Ich bestreite es nicht, der Kultur geht es schlecht. Auch ich empfinde geradezu einen trockenen Hals vor Durst nach Kino und Konzerten. Schlecht geht es aber vor allem dem kleinen Jongleur und der Tänzerin von nebenan. Deren Kunst liegt brach, die Hilfen fließen zäh, es gärt der Frust und die Verzweiflung wächst. Mit ihrer großen Masse sind sie wirklich systemrelevant, denn sie sorgen für die fröhliche Inspiration, ohne die wir alle, davon bin ich überzeugt, auf Dauer in der Depression versinken würden.

Um nicht missverstanden und der Intoleranz geziehen zu werden: Wenn der SPD-Politiker und WDR-Rundfunkrat Garrelt Duin fordert, die zuständigen Gremien müssten „die Zusammenarbeit auch aus Solidarität mit denen, die wirklich unter Corona und den Folgen leiden, schnellstens beenden“, hat auch er das Prinzip der Meinungsfreiheit nicht verstanden. Man sollte selbst dann nicht mit Kündigung rechnen müssen, wenn man sich mit Geschmacklosigkeiten zum Affen macht. Aber vielleicht spenden die Großkopferten der Kulturschaffenden einen Teil ihren opulenten Einkünfte, die sie von den Fernsehanstalten erhalten, den wirklich notleidenden Künstlern.

Die erschöpften Pfleger und Ärzte, die seit Monaten auf dem Zahnfleisch kriechen, empfinden die Aktion als verächtlichen Tritt in den Hintern. Mehr als 80.000 Corona-Tote werden von ihren Lieben beklagt. Tausende kämpfen auf den Intensivstationen um ihr Leben, Abertausende werden Monate und Jahre an den Spätfolgen von Covid-19 leiden. Sie zu verhöhnen ist einfach widerwärtig.

In dieser deprimierenden Pandemie-Katastrophe stellt diese Demonstration von Dummheit und zynischer Verantwortungslosigkeit der Creme de la Creme der deutschen Kultur- und Medienschaffenden hoffentlich den absoluten Tiefpunkt dar. Schlimmer kann es mit der Kultur in diesem Land eigentlich nicht mehr kommen.

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Immerhin, der Schauspieler und Kabarettist Marcus Mittermaier schreibt bei Twitter. „Niemand hat mich gefragt, ob ich bei #allesdichtmachen mitmachen will“, „Gott sei Dank!“

| Autor: Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey