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„Alkestis“ im Schauspielhaus Bochum: Alkestis (Anne Rietmeijer) und Admetos (Steven Scharf) am Eingang zur Unterwelt.

Saisonauftakt im 'Theater des Jahres'

'Alkestis' in Bochum

Apollon (Victor Ijdens) ist von seinem Vater Zeus zu Frondiensten im Hause des Admetos (Steven Scharf), dem König von Pherä in Tessalien, verdammt worden, weil er die Kyklopen tötete, die wiederum seinen Sohn Asklepius im Auftrag des Donnerers mit einem Todesblitz durchbohrten. Apollon will aus Dankbarkeit für die Freundlichkeit Admetos‘ dessen Leben retten, was nur möglich ist, wenn sich jemand findet, der für ihn in den Hades geht. Nachdem wie all‘ die Freunde auch sein Vater Pheres (Stefan Hunstein) dankend ablehnt, ist allein seine Gattin Alkestis (Anne Rietmeijer) bereit, Thanatos (Lukas von der Lühe) in die Unterwelt zu folgen. Unter der Bedingung, dass ihr Admetos ewige Treue schwört und den Kindern (Ann Göbel und Dominik Dos-Reis) keine Stiefmutter zumutet.

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Herakles (Pierre Bokma), Sohn des Zeus und der Alkmene, kommt an den Hof von Pherä, um des Thraken Diomedes Viergespann zu holen. Er wird von Admetos in seinem Trauerhaus beherbergt, aber über den Grund der Trauer im Unklaren gelassen. Als Herakles erfährt, dass Alkestis für ihren Gatten freiwillig in den Tod gegangen ist, macht er sich zum Felsengrab auf, um sie Thanatos wieder zu entreißen. Mit einer tiefverschleierten Person kehrt Herakles zurück und übergibt sie Admetos, bis er seinen Auftrag erfüllt hat. Als der sich an sein Wort gebunden fühlend weigert, eine Fremde aufzunehmen, entschleiert sich Alkestis. Die allseitige Freude ist groß, nur sprechen kann die glücklich Wiedererweckte erst, wenn sie den Totengöttern Sühnegaben geweiht hat.

Tragödie, die wie eine Komödie endet?

Eine Tragödie, die, mit einem Deus ex Machina-Schluss aufwartend, wie eine Komödie endet? Als „Alkestis“ im Jahre 438 vor Christus in der kreisrunden Orchestra am Südabhang der Athener Akropolis uraufgeführt und mit dem zweiten Preis ausgezeichnet wurde, folgte das Stück wie beim dreitägigen Wettkampf zu Ehren des Gottes Dionysos üblich einer Tragödien-Tetralogie (hier: Die Kreterinnen / Alkmaion in Psophis / Telephos) als Satyrspiel. „Sein und Nichtsein“: In der umgangssprachlichen Fassung von Mieke Koenen und Susanne Winnacker, die 2021 schon die Sophokles-Überschreibung „Ödipus, Herrscher“ für das Schauspielhaus Bochum verfassten, inszeniert Intendant Johan Simons in der heutigen Ausstattung von Johannes Schütz (Campingplatz-Bühne) und Greta Goiris (Kostüme) eine sehr ironische, binnen rund einhundert Minuten höchst unterhaltsame Komödie.

Die Amme (Elsie de Brauw) kümmert sich um Eumelos (Dominik Dos-Reis).

Die, uraufgeführt am 1. Juli 2022 beim Epidaurus Festival in Athen, sich textlich erstaunlich nah am Original etwa in der Übersetzung Hans von Arnims bewegt, dafür an Ausschlägen in Richtung schenkelklopfend-plattem Boulevard schon in der Besetzung nicht spart: Admetos, eine das Publikum umwerbende Rampensau, als langmähniger Guildo Horn-Wiedergänger, sein Vater ein ewig junger Alt-Hippie, der seinen Sohn als Jammerlappen beschimpft, Herakles kein strahlender Held, der es mit unbezwingbaren Rössern aufnimmt, sondern ein rucksacktragender Alm-Öhi in Wanderschuhen, Thanatos ein einäugiger Hinkefuß mit Dieter Hacker-Maske aus der Steckel-Ära, der Alkestis nicht mit der Barke über den Styx rudert, sondern in einem alten Mercedes-Kombi verstaut, welcher partout nicht anspringen will.

Vier Sängerinnen sorgen für einen Chor

Das aber ist alles nichts gegen eine lebenslustige Titelfigur, die zum Vicky Leandros-Schlager „Ich liebe das Leben“ in den Tod tanzt. Überhaupt der Soundtrack: „God only knows“ der Beach Boys erklingt beim Empfang Herakles‘ durch Admetos und Marc Almonts „For One Moment“, als Herakles pathetisch die Amme (hohe Frau auch als Diener: Elsie de Brauw) küsst. Weil Johan Simons 2016 bei der Ruhrtriennale Christoph Willibald Glucks Oper „Alceste“ inszeniert hat, sorgen vier junge Sängerinnen zu Orgelklängen der alternierenden Aalto-Gäste Christopher Bruckmann und Boris Gurevich für ungewöhnliche chorische Interventionen: die beiden Sopranistinnen Antonia Busse und Radosavlevic, Master-Studentinnen an der Essener Folkwang-Universität sowie die beiden Mezzosopranistinnen Sarah-Lena Winterberg und Luzia Ostermann.

Johan Simons hat ganz zeitgemäß die Frauen-Rollen aufgewertet: Während in der Antike nur Männer auf der Bühne standen und im Publikum saßen, darf die bei Euripides nicht zum Figurenarsenal gehörende Alkestis-Tochter den jungen Gott Apollon anhimmeln, Alkestis ihren Gatten zu einer weitreichenden Selbstverpflichtung veranlassen und sich die Amme als eigentliche Hofdame profilieren. Am Ende sucht der Sohn mit Sack und Pack das Weite und Alkestis verschwindet mit ihrer Tochter im Arm im Wohnwagen – einen rat- wie hilflosen Admetos zurücklassend.

Nach dem heftig umjubelten Bochumer Saisonauftakt konnte Franz Wille von Theater heute“ dem Intendanten Johan Simons eine Urkunde überreichen, die an der Bochumer Königsallee zuletzt Claus Peymann vor vierzig Jahren entgegennehmen konnte: „Theater des Jahres“ nach der traditionellen Kritikerumfrage. Als Schauspielerin des Jahres wurde übrigens die Hernerin Lina Beckmann gewählt für die Titelrolle in Karin Henkels Hamburger Shakespeare-Überarbeitung „Richard the Kid & the King“.

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„Alkestis“ steht wieder am Mittwoch, 28. September 2022 (mit Einführung) sowie jeweils am Sonntag, 9. und 16. Oktober sowie Dienstag, 25. Oktober 2022 auf dem Spielplan, Karten unter schauspielhausbochum.de oder Tel 0234 – 33 33 55 55.

Vergangene Termine (4) anzeigen...
  • Mittwoch, 28. September 2022, um 19:30 Uhr
  • Sonntag, 9. Oktober 2022, um 17 Uhr
  • Sonntag, 16. Oktober 2022, um 19 Uhr
  • Dienstag, 25. Oktober 2022, um 19:30 Uhr
| Quelle: Pitt Herrmann