
Woody Allens 49. Film ist eine Liebeserklärung
A Rainy Day in New York
Mit seiner College-Freundin Ashleigh (Elle Fanning) plant Gatsby (als Ich-Erzähler auch das Alter ego des Regisseurs: Timothée Chalamet) ein romantisches Wochenende in New York. Er hat beim Pokern zwanzig Riesen abgeräumt und kann sich für die Nacht von Samstag auf Sonntag ein tolles Hotel mit Blick auf den Central Park leisten. Der jungenhafte Romantiker will seiner Südstaaten-Schönheit aus Arizona, die für die Hochschul-Zeitung den von ihr so sehr verehrten Filmregisseur Roland Pollard (Liev Schreiber) interviewen darf, in der verbleibenden die Lieblingsorte seiner Heimatstadt zeigen – das alte, europäisch geprägte New York der Künstler und Intellektuellen. Zum Abschluss ist eine romantische Kutschfahrt geplant – gerne bei Regen, denn da ist alles noch stimmungsvoller. Sein eng getakteter Zeitplan ist schon bei der Lunch-Verabredung mit Ashleigh Makulatur. Denn die zwar intelligente, aber alles andere als gewiefte Kleinstadt-Blondine, lässt sich einfangen von der glamourösen Welt des Films – und ist ein gefundenes Fressen für die weltgewandten Herren der Branche.
„Dampfende Existentialistenscheiße“: Erst nimmt sie der an sich selbst zweifelnde Regisseur Pollard mit zum Screening seines in der finalen Schnittphase befindlichen neuen Films, dann Pollards Drehbuchautor Ted Davidoff (Jude Law) in Beschlag. Schließlich landet die attraktive Blondine auf einer Party zahlloser in New York lebender Hollywood-Größen – und beinahe im Bett des umschwärmten Filmstars Francisco Vega (Diego Luna). Währenddessen durchstreift Gatsby, wie sein Namensvetter aus dem berühmten Roman von F. Scott Fitzgerald ein Flaneur, der alte Hollywood-Filme und Gershwin-Schallplatten jeder Form von moderner Unterhaltungskultur vorzieht, seine Stadt. Als er einen Schulfreund besucht, der einen Low-Budget-Film im Greenwich Village dreht, lässt er sich überreden, selbst eine kleine Statistenrolle in diesem „modernen Film Noir-Klassiker“ zu übernehmen.

Zu Gatsbys großer Überraschung ist die Partnerin einer Kussszene im schicken, aber engen BMW-Coupe niemand anderes als Chan (Selena Gomez), die jüngere Schwester seiner Ex-Freundin Amy. Weil ihn Ashleigh immer wieder vertröstet, hat er Zeit, mit dieser so attraktiven wie schlagfertigen Frau, die sich überdies outet, schon immer in den Freund ihrer großen Schwester verknallt gewesen zu sein, den Tag zu verbringen. Im Museum und im ihm wohlbekannten Haus ihrer Eltern, wo er sich ans vertraute Klavier setzt und mit „Everything Happens to Me“ einen melancholischen Evergreen aus den 1940er Jahren singt - über den glücklosesten Mann der Welt. Direkte Verbindungslinien zur eigenen Befindlichkeit verbieten sich freilich: Gatsby stammt wie Ashleigh aus einer wohlhabenden Familie, es fehlt ihm an nichts. Außer an einem vertrauensvollen Verhältnis zu seiner Mutter (Cherry Jones). Aber das regelt sich auch – auf höchst ungewöhnliche Weise am Rande eines Empfangs, auf den Gatsby eigentlich partout nicht gehen wollte.
Am Ende eines regnerischen Tages ist nicht nur für Gatsby und Ashleigh, sondern für alle Protagonisten dieser 92-minütigen Hommage an das alte New York nichts mehr so, wie sie es zuvor erwartet hatten... „A Rainy Day in New York“, erstaunlicherweise zuerst in Polen und Litauen in die Kinos gekommen, bevor Woody Allens 49. Film am 30. September 2019 beim Hamburger Filmfest seine Deutschland-Premiere erlebte, hat auf absehbare Zeit keine Chance, in New York oder überhaupt in den USA gezeigt zu werden. Dabei richtet der nach wie vor in seiner Heimat geächtete Regisseur, vor 84 Jahren in Brooklyn zur Welt gekommen, nicht nur einen altersmild-liebevollen Blick auf die kleinen und großen Katastrophen der Stadtneurotiker, sondern zeichnet zusammen mit seinem Kameramann Vittorio Storaro („Apocalypse Now“, „Der letzte Kaiser“) ein nostalgisches, märchenhaft-verklärtes Bild einer Weltmetropole, mit der er wie kein zweiter verbunden ist.
Das Protagonisten-Trio ist eine Wucht. Timothée Chalamet („Call Me By Your Name“, „Beautiful Boy“) beweist als Alter ego des Regisseurs einmal mehr sein Ausnahmetalent: selbstbewusste Lässigkeit, cool bis unter die Haarspitzen, aber auch arrogant mit leichtem Hang zum Zynismus. Elle Fanning („Die Verführten“, „Mary Shelley“) gibt ein scheinbar naives, über die Maßen begeisterungsfähiges Landei, dass so gerade noch die Kurve kriegt. Und die weltweit erfolgreiche Sängerin Selena Gomez („Spring Breakers“, „The Big Short“), vom Branchenblatt Billboard zur „Frau des Jahres 2017“ gekürt, gibt eine taffe junge Frau mit starker romantischer Ader. Die Zeit spielt in seiner auf ganz lockere Weise selbstironischen, kunstvoll ausgeleuchteten Version einer altmodischen, Hollywood-Romanze eine zentrale Rolle, so Woody Allen: „Die Stadt hat ihre eigene Agenda, sagt Gatsby. Die Zeit ist immer gegen dich. Man kann versuchen, sie in den Griff zu bekommen oder ein wenig zu manipulieren, aber letzten Endes ist das unmöglich. Von dem Moment an, an dem sich die Figuren am Ende unter der Uhr küssen, beginnt die Zeit ihre Beziehung vorwärtszubewegen. Sie mag ein Jahr halten, zwei, zehn, 20 oder sogar ein Leben lang. Aber die Zeit wird auch hier laufen, so wie das immer ist.“ „A Rainy Day in New York“ läuft im Casablanca Bochum, in der Schauburg Gelsenkirchen und im Astra Essen.