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Cool Cats haben die Schnauze voll von Corona.

Kolumne von Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey

Außer Kontrolle

Unlängst wandte sich unser Leser Jens mit der Bitte um ein wenig Entwirrung des derzeitigen Corona-Chaos an halloherne. Ganz offensichtlich ist Jens ein verantwortungsvoller Bürger und keineswegs ein Querulant (als „Querdenker“ mag ich jene Zeitgenossen, die sich mit diesem Titel schmücken, nicht bezeichnen, denn mit „Denken“ hat das, was die verbreiten, nichts zu tun). Jens ist verunsichert. Das ist bei dem breiten Spektrum wissenschaftlicher Einschätzungen, dem föderalen Durcheinander der Corona-Politik und den oft verwirrenden Botschaften der Medien nicht verwunderlich. Deshalb ist diese Kolumne, stellvertretend für alle Verunsicherten, an Jens adressiert.

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Hallo Jens,

vorweg, eines verbindet uns: Wir alle haben die Schnauze von diesem Corona-Desaster mit dem föderalen Chaos voll, und zwar „so was von“. Deshalb fällt es mir in den letzten Wochen auch schwer, mich aufs Neue dazu zu äußern. Danke daher für deine Anregung.

Zum Glück hast Du Dich bei einer seriösen Quelle (tropeninstitut.de) informiert. Die Firma „Tropeninstitut.de“ ist zwar, anders als der Name suggerieren mag, keine universitäre Forschungseinrichtung, seriös ist sie dennoch. Aber auch Dir, wie vielen anderen auch, scheinen derartige wissenschaftlich angelehnte Texte in ihrer gesamten Aussage etwas Schwierigkeiten zu bereiten. Man muss sie nämlich von der ersten bis zur letzten Zeile einschließlich des Kleingedruckten „durchdengeln“. Deshalb zitiere ich die Kernsätze des aktuellen Textes der o.g. Seite zu Omikron:

  • Der Anteil der Krankenhauseinweisungen liegt zwischen 53 bis 80 Prozent niedriger als bei der Delta-Variante.
  • Die Wahrscheinlichkeit für einen Aufenthalt auf der Intensivstation ist laut den Studien um 74 bis 83 Prozent geringer.
  • Der Anteil an Patienten, die an ein Beatmungsgerät angeschlossen werden müssen, ist um 84 bis 100 Prozent niedriger.
  • Das Risiko an der Omikron-Variante zu versterben, ist im Vergleich zur Delta-Variante um 70 bis 91 Prozent geringer.
  • Auch die Erkrankungen bei Kindern verlaufen bei der Omikron-Variante deutlich milder als bei der Delta-Variante.
  • Der Anteil asymptomatischer Verläufe könnte bei Omikron 7 bis 12-mal höher als bei den vorangegangenen Varianten sein.
  • Bei ungeimpften Personen ist die Wahrscheinlichkeit eines schweren Krankheitsverlaufs höher als bei geimpften Personen.

Omikron ist also deutlich weniger virulent (=krankmachend) als Delta, ganz ungefährlich ist es aber auch nicht und Ungeimpfte haben ein deutlich höheres Risiko.

Leider sind offensichtlich auch an Dir bestimmte Parolen der Corona-Leugner nicht spurlos vorübergegangen. Eine Kernbehauptung von denen lautet bekanntlich, Covid-19 würde nur zufällig bei hospitalisierten und verstorbenen Patienten nachgewiesen und sei gar nicht ursächlich dafür. Das ist, mit Verlaub, völliger Blödsinn. Der Anteil der Selbstmörder, Verkehrsunfallopfer und anderen, bei denen zufällig Covid-19 festgestellt wurde, an den Hospitalisierten und Verstorbenen, ist so verschwindend gering, dass das in Promille, geschweige denn in Prozenten nicht ausdrückbar ist. Unglücklich ist der Sprachgebrauch „an oder mit“ Covid-19. Besser sollte man sagen „infolge“. Denn letztlich ist es unerheblich, ob jemand an den durch Covid-19 direkt verursachten Läsionen zu Schaden kommt – Krankheit, Long-Covid oder Tod – oder ob eine vorbestehende Erkrankung entsprechend relevant verschlechtert wurde. Ursächlich war in jedem Falle Covid-19. Nur am Rande: Die Studien der Sektionsprotokolle aus den pathologischen Instituten nennen durchweg einen Anteil um 85 Prozent Covid-19 Schäden als direkte Todesursache. Bei mehr als 14 Prozent wird Covid-19 als relevante Teilursache genannt.

Du zitierst aus einem Chat mit einer Dänin. Ihre Wahrnehmung ist augenscheinlich erheblich von Verschwörungstheoretikern beeinflusst, die gerne mit Halbwahrheiten die Realität auf den Kopf stellen. Augenscheinlich glaubt sie, die derzeitigen Darstellungen des Infektionsgeschehens seien nur das Ergebnis statistischer „Frisuren“. Zwar gäbe es sehr viele Fälle, aber nur sehr wenige Menschen würden ins Krankenhaus eingeliefert. Da hat sie im Prinzip durchaus recht, aber eben nur im Prinzip. Seit Beginn der Pandemie ist auch nach meiner Einschätzung die Dunkelziffer der Infizierten selten benannt, aber meist grotesk unterschätzt worden. Das hat sich unter den Bedingungen der Omikron-Variante noch erheblich verstärkt.

Nach wie vor ist die Zahl der Corona-Toten die einzig halbwegs verlässliche Zahl. Zu Beginn der Pandemie lag die Sterblichkeit bei 0,37 Prozent. Mittlerweile liegt sie aber weit niedriger. Bis zur Delta-Variante waren dafür die verbesserten Behandlungskonzepte und die Impfung verantwortlich, unter Omikron ist die verminderte Virulenz (die Fähigkeit des Erregers krank zu machen) hinzugekommen. Musste man anfangs die Zahl der Toten noch mit 270 multiplizieren, um die Gesamtzahl der Infizierten zu ermitteln, liegt der Multiplikationsfaktor derzeit vermutlich weit über 1.000. Durch die schiere Masse der Infektionen ist die Lage so unübersichtlich geworden, dass genaue Einschätzungen derzeit unmöglich sind. Wenn Deine Chatpartnerin allerdings glaubt, dass die Zahlen grund- und vorsätzlich manipuliert seien, ist sie von einer nüchternen Einschätzung der Realität doch soweit entfernt, dass man in meiner Heimat Ostfriesland sagen würde, sie sei „vom Weltlichen ab“.

Eines jedoch ist sicher: Omikron hat eine derart exorbitante Infektiosität entwickelt, dass die realitätsnahe Verfolgung des Infektionsgeschehens außer Kontrolle geraten ist. Das ist auch in Dänemark der Fall, obwohl dort etwa 10 mal häufiger getestet wird, als in Deutschland. Du zitierst eine Studie, die Zahlen vom 22.11. - 16.12. aus Dänemark, die unter Omikron eine Hospitalisierung von 0,6 Prozent feststellt. Laut Johns-Hopkins-Dashboard wurden in Dänemark nur in den letzten 28 Tagen mit 763.808 Infektionen mehr als 50 Prozent aller in Dänemark nachgewiesenen Infektionen seit Beginn der Pandemie (1.510.577) mit Covid-19 identifiziert. Wenn in einem Land, das weniger als 6 Millionen Einwohner hat, innerhalb von 4 Wochen 4.600 Menschen nur aus einer Ursache, nämlich Covid-19, stationär behandelt werden müssen, ist das alles andere als unerheblich. Nur zum Vergleich: Die deutschen Kliniken hätten 65.000 Patienten - zusätzlich zum Normalaufkommen - zu verkraften gehabt, die nordrheinwestfälischen 14.000. Das, was in Dänemark passiert ist, steht uns in den nächsten Wochen ebenfalls bevor. Selbst wenn Dir 0,6 Prozent verschwindend wenig erscheint, die absolute Zahl an Patienten innerhalb eines sehr kurzen Zeitraumes dürfte schwer zu verkraften sein.

Außerdem entwickeln auch Omikron-Infizierte in großer Zahl beträchtliche Krankheitssymptome. Selbst wenn sie damit nicht ins Krankenhaus müssen, sind sie doch über etliche Tage oder gar Wochen schlichtweg arbeitsunfähig. Wenn das innerhalb kurzer Zeit geschieht, bedroht das die vielfach beschworene „kritische Infrastruktur“. Die Entwicklung von Long-Covid kann man zudem noch gar nicht abschätzen.

Bezüglich der Impfung stelle ich bei Dir ein grundsätzliches Missverständnis fest. Du erwartest offenbar, dass nach einer Impfung jede Infektion ausgeschlossen ist. Das allerdings ist nur bei ganz wenigen Impfungen (z. B. Masern, Pocken) der Fall. Man muss eine sterile Immunität von einer klinischen Immunität unterscheiden. Bis zur Delta-Variante konnte man nach einer Impfung oder auch nach einer überstandenen Infektion in gut 50 Prozent der Fälle von einer sterilen Immunität ausgehen. Das bedeutet, das Corona-Virus konnte bei diesen Personen überhaupt nicht mehr andocken. Bei etwa 45 Prozent war eine Infektion zwar möglich, sie wurden aber nicht ernsthaft krank. Sie hatten eine klinische Immunität. Die Immunität insgesamt klingt aber mit der Zeit ab, der Anteil der steril Immunen geht zurück zugunsten der klinisch Immunen. Nach einer gewissen Zeit wird dann auch dieser Schutz schlechter, dann muss geboostert werden. Das sind aber, verglichen mit anderen Impfungen (FSME, Gelbfieber, Dengue), immer noch exzellente Werte. Eine Herdenimmunität ist also in der Regel ein relativer Zustand. Nur bei wenigen Krankheiten gelingt es, sie durch Impfungen auszurotten. Bei Pocken ist das gelungen, bei Kinderlähmung fast und bei Masern wäre es auch möglich, wenn es keine Impfidioten gäbe. Bei Covid-19 wird dieser Idealzustand nicht zu erreichen sein, weil das Virus zu häufig mutiert. Durch Impfung einerseits, durch die hohe Infektiosität wenig virulenter Mutanten wie Omikron andrerseits werden wir uns aber wahrscheinlich noch in diesem Jahr einer endemischen Lage, in der schwere Verläufe oder gar Tod selten werden, nähern. Allerdings herrscht bei dem Virus im Moment noch sehr viel Spiel an evolutionsbiologischem Zufall. Es gibt Möglichkeiten in beide Richtungen, mal könnte es wieder schwerere Verläufe machen oder sogar eine noch mildere Virulenz entwickeln. Es könnte auch noch infektiöser werden.

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Aber: Omikron ist nicht ungefährlich. Das scheint nur so, weil schon viele geimpft sind. Die Krankenhausbelegungen in den USA und unter Minderjährigen in Großbritannien zeigen, wie gefährlich Omikron ist. Mit den explodierenden Fallzahlen werden wir auch wieder mehr Krankheits- und Todesfälle sehen. Vor allem aber trifft das Virus diejenigen, deren Immunschutz nicht gut entwickelt wurde. Und genau die sind das Problem.

| Autor: Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey
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