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Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey.

Kolumne von Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey

Superspreader, Superspreading Events, Cluster

Wie reden zur Zeit üblicherweise nicht über Masern, Keuchhusten, das Noro-Virus oder Ebola, sondern über das Coronavirus und wie wir seine Ausbreitung mit möglichst moderaten Eingriffen in unseren Alltag im liberalen Rechtsstaat beherrschen können. Hatte sich das Infektionsgeschehen während der Sommermonate deutlich beruhigt, manch einer war schon geneigt, zu glauben, es wäre vorbei, ziehen jetzt die Zahlen doch spürbar und mancherorts auch drastisch an.

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Wir wissen inzwischen, weil es sich um ein respiratorisches Virus – also eines, das in den Atemwegen zuhause ist - handelt, wird es in der Hauptsache über Tröpfchen und Aerosole verbreitet. Die entstehen bei jeglicher Tätigkeit, die unter Zuhilfenahme der Atmung abläuft, also Sprechen, Singen oder Keuchen auf dem Fahrradergometer in der Muckibude. Und wir wissen, es sind die Superspreader (zu deutsch Superverteiler), die große Ausbrüche des Infektionsgeschehens verursachen. Nur 20 Prozent der Infizierten sind für etwa 80 Prozent der Infektionen verantwortlich.

Was macht einen Menschen zum Superspreader?

Superspreader entstehen nicht, weil sie groß, klein, männlich oder weiblich, blond oder schwarzhaarig sind. Sie müssen nur in einem Infektionsstadium sein, in dem sie viele Viren ausstoßen können, sei es als Tröpfchen oder Aerosole. Sie müssen dafür noch nicht einmal Symptome einer Erkrankung zeigen. Zum Superspreader werden sie aber erst, wenn sie an einem Ereignis teilnehmen, das die Masseninfektionen möglich macht. Somit kann jeder zum „Superspreader“ werden. Die Bedingungen also sind es, die aus einem „Normalspreader“, der nur wenige oder gar keinen ansteckt, einen Superspreader macht, der wieder in einer Region oder Population eine akut erhöhte Inzidenz, also Fallhäufigkeit produziert. Dann spricht man von einem Fallcluster.

Superspreading Events

Die klassischen „Superspreading Events“ (frei übersetzt: um Superverteilungsereignisse) waren eine einzige Après-Ski Bar in Ischgl, eine Karnevalsfeier in Gangelt. Dort wurden sehr viele Menschen mit dem Coronavirus angesteckt und höchstwahrscheinlich war jeweils nur eine einzige Person der Ausgangspunkt. Später erlangten unter anderem eine Chorprobe in Berlin, eine Neueröffnungsparty in einem Lokal im Kreis Leer oder ein Gottesdienst einer freikirchlichen Gemeinde, bei dem viel gesungen wurde, eine zweifelhafte Berühmtheit. Man weiß inzwischen, dass in der Regel gesellschaftliche Anlässe in geschlossenen Räumen das größte Risiko für massenhafte Infektionen bergen. Je mehr Allotria, je lauter der Gesang und die Gespräche, je wilder der Tanz, je geringer der Abstand, je kleiner der Raum, je schlechter die Lüftung, desto größer ist das Infektionsrisiko. Rückblickend hat im letzten März der Verzicht auf „Halli Galli“ fast allein dazu geführt, dass die Reproduktionszahl auf Werte um 1 sank.

Genehmigung von Veranstaltungen - ja oder nein?

In diesem Zusammenhang ist mir ziemlich unverständlich, dass bislang bundesweit so viel Nachlässigkeit und Uneinheitlichkeit bei der Genehmigung von Veranstaltungen in geschlossenen Räumen herrscht. Treffen sich 50 Personen in einem 100 m² großen Raum, kann innerhalb von 10 Minuten eine Aerosol-Dichte entstehen, die die Veranstaltung zum Superspreading-Event macht. Auch die Beschränkung der Veranstaltungsgröße auf Events in öffentlichen Räumen ist unter dem Gesichtspunkt der Verlangsamung des Infektionsgeschehens eher rechtlichem und politischem Opportunismus als Streben nach Effizienz zuzuschreiben. Dem Virus ist es egal, ob es sich im Partykeller oder in der Tanzdiele verlustieren kann. Je mehr Leute es erwischen kann, desto besser. Bei privaten, meist unkontrollierten Partys werden im Durchschnitt 30 Personen infiziert. Bei öffentlichen Veranstaltungen, bei denen die Hygienestandards in der Regel ausgefeilter sind, nur 6. So können viele kleine „Medium-Spreading-Events“ am Ende deutlich größere Probleme verursachen als ein einzelnes Großereignis. Ob der Appell an die Verantwortung der Bürger da ausreicht, bezweifle ich stark. Der bisherige Verlauf der Pandemie zeigt zwar, dass in Deutschland mehr Verstand und kaum weniger Verantwortungsbewusstsein herrscht, als in Schweden. Aber es sind eben nicht die gewissenhaften Maskenträger, die die Superspreading-Events betreiben, sondern die Verantwortungslosen, sei es bei der Großhochzeit in Hamm oder im Schlachthof in Rheda-Wiedenbrück. Egoisten und renitente Ignoranten kann man leider nicht mit Appellen an eine Vernunft, über die sie nicht verfügen, disziplinieren. Da helfen nur spürbare Folgen.

Kein Halli-Galli!

Überhaupt, ist es denn so schrecklich, für eine überschaubare Zeit auf „HalliGalli“ zu verzichten? Gut, ein Jahr kann lang werden, wenn die Lebensperspektive auf Party und Techno-Beat beschränkt ist. Vielleicht kann diese Reduktion des Hormonspiels aber auch dazu führen, andere und neue Horizonte der Erbauung zu erschließen. Es erscheint mir schon höchst unwahrscheinlich, dass der – vorübergehende - Verzicht auf Paarungs-Veranstaltungen mit „Wein, Weib, Gesang“ und Tanz plötzlich zu massenhaften Depressionen oder anderweitigen Folgeschäden führen sollte.

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In den kommenden 6 - 8 Monaten wird es darauf ankommen, ob Deutschland seine weltweite Führungsposition in der Pandemiebekämpfung halten kann. Nächstes Jahr um diese Zeit können wir dann wieder die „Sau raus lassen“. So lange müssen wir noch durchhalten. Das sollte doch zu schaffen sein.

| Autor: Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey