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Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey.

Kolumne von Dr. Gerd Dunkhase

Impfpanik und Voodoo-Zauber

Als ich an Masern erkrankte, war ich 14 Jahre alt. Ich war 4 Wochen ziemlich schwer krank und brauchte weitere 6 Wochen, bis ich mich von den Nachwirkungen einigermaßen erholt hatte. Ich hatte auch die Windpocken und Mumps, zum Glück noch deutlich vor der Pubertät, so dass ich keine Spätschäden der Erkrankungen erlitten habe. Zu meiner Kinderzeit gab es noch keine Impfung gegen Masern, Mumps, Röteln, Kinderlähmung oder Windpocken. Wissenschaftlich betrachtet ist mein Fall eine „Kasuistik“, also eine Einzelfall-Beschreibung. So können Kinderkrankheiten verlaufen, müssen aber nicht.

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Andere Fälle können gänzlich anders verlaufen, schlimmer oder weniger schlimm. Für eine wissenschaftliche Risikoabschätzung sind Einzelfälle ebenso bedeutungslos wie Erfahrungsberichte. Ohne eine genaue statistische Erfassung ist eine Risikobeurteilung von Kinderkrankheiten – ich sage es mal unwissenschaftlich drastisch – Quatsch. Wissenschaftlich ist folgende Erkenntnis: Die Rate von Hirnentzündungen beträgt bei einer Maserninfektion etwa 1:1000; nach einer Masernimpfung 1:1.000.000.

Da es zu meiner Kinderzeit noch keine Sonderschulen für Kinder mit Behinderungen gab, war ich als Schüler auch mit Kindern konfrontiert, die aufgrund komplikativer Verläufe dieser so genannten Kinderkrankheiten schwerstbehindert waren. An meiner Schule gab es mehrere Kinder mit schweren Lähmungen nach Kinderlähmung, zwei waren stark sehbehindert aufgrund einer Röteln-Infektion der Mutter während der Schwangerschaft. Ein Kind hatte einen Hydrocephalus (im Volksmund auch Wasserkopf genannt) nach einer Mumps-Infektion. Die Tatsache, dass ich nur in meiner Schulzeit mehrere derartige Schicksale erlebt habt, wirft ein Licht darauf, wie häufig diese Komplikationen auftraten, bevor Kinder regelmäßig geimpft wurden. Heute gehören Spätschäden nach Kinderkrankheiten zum Glück zu den Raritäten. Das ist der Entwicklung moderner Impfstoffe zu verdanken.

Seit einiger Zeit nun ist festzustellen, dass wieder Masernepidemien auftreten, aktuell in Berlin bereits mit dem Todesfall eines Kleinkindes und 2009 in Duisburg mit 2 Todesfällen und 95 komplikativen Verläufen. Ursächlich dafür ist die sinkende Zahl an Geimpften. Die Verantwortung dafür liegt eindeutig bei den Impfgegnern, die mit abenteuerlichen Theorien Stimmung gegen die rationale und wissenschaftliche Medizin machen und die Risiken der so genannten Kinderkrankheiten mit sträflichem Leichtsinn herunter spielen. Ich frage mich, wie man mit dem Unsinn, den diese Leute verbreiten, so viele Menschen verunsichern kann.

Ein Grund ist sicher darin zu suchen, dass eine Impfung eine aktiv veranlasste Maßnahme ist. Auch wenn das Risiko der heute auf dem Markt verfügbaren Impfstoffe verschwindend gering ist, kann man es doch nicht völlig ignorieren. Schließlich löst man mit einer Impfung auch immer eine, wenn auch sehr leichte und meist gar nicht wahrnehmbare Erkrankung aus. Sonst würde das Immunsystem schließlich keine Antikörper bilden. Das nennt man übrigens Impfreaktion und ist keinesfalls gleich zu setzen mit einer Impfkomplikation.

Demgegenüber wird man von einer Infektion scheinbar ohne eigenes Zutun befallen und spekuliert darauf, sich vielleicht ja auch gar nicht anzustecken. Da fragt man sich dann schon, ähnlich wie bei einer Flugreise, ob so eine Impfung denn auch ungefährlich ist. Flugangst scheint mir ähnlich irrational wie Impfangst.

Ein weiterer Grund liegt sicher in der seit Jahrzehnten geschürten Hatz auf die wissenschaftliche Medizin. Wissenschaft ist aber das einzige Mittel zum Erkenntnisgewinn. Medizin, die sich nicht auf wissenschaftliche Erkenntnisse stützt, ist unseriös und daher abzulehnen. Alles andere ist Glauben und Spekulation. Damit lassen sich vortrefflich Ängste erzeugen. Ängste bedürfen keiner wissenschaftlich rationalen Basis und werden durch Misstrauen nur geschürt.

Auch unsere Krankenkassen nutzen die Technik, Misstrauen zu säen, gerne als Mittel zur Mengensteuerung. Sie werden dabei von Politik und Medien bereitwillig unterstützt. Wenn die Menschen Ärzten und Pharmaindustrie misstrauen, weil diese mit ihren Produkte Geld verdienen, werden sie deren Angebote seltener in Anspruch nehmen. Caritas und Diakonisches Werk sind selbstlose und ohne Zweifel wichtige Organisationen. Deren karitatives Prinzip ist jedoch völlig ungeeignet, den Gesundheitsmarkt einer modernen Industriegesellschaft zu bedienen. Sicher sollte man die Auswüchse der Profitgier in der Gesundheitsindustrie bekämpfen. Aber unsere durchschnittliche Lebenserwartung läge noch heute bei 40 Jahren, wenn man nicht bereit gewesen wäre, für Produkte wie Penizillin, Insulin oder auch moderne Impfstoffe zu bezahlen.

In Deutschland haben wir mit dem Robert-Koch-Institut (RKI) eine international hoch angesehene und effektive Forschungs- und Überwachungs-Einrichtung der Bundesrepublik Deutschland. Das RKI beobachtet das Auftreten von Krankheiten und relevanter Gesundheitsgefahren in der Bevölkerung und entwickelt auf wissenschaftlicher Basis die erforderlichen Maßnahmen zum wirkungsvollen Schutz der Gesundheit. Beim RKI ist die ständige Impfkommission (STIKO) angesiedelt. Sie überprüft regelmäßig Nutzen und Gefahren von Impfungen. Die von der STIKO empfohlenen Impfungen sind von den Krankenkassen zu bezahlen.

Kritisch angemerkt wird gelegentlich, dass Mitglieder der STIKO auch Beziehungen zur Pharmaindustrie haben. Dazu kann ich nur sagen: Die Empfehlungen der STIKO stehen derart im Fokus einer kritischen Öffentlichkeit, dass eine Abweichung von wissenschaftlichen Standards nahezu ausgeschlossen ist. Ich verlasse mich lieber auf die Empfehlungen hoch angesehener Wissenschaftler als auf das Geschwafel von wichtigtuerischen Panikmachern, die von wissenschaftlichem Erkenntnisgewinn nicht den Hauch einer Ahnung haben.

Eine Anmerkung zu den von Impfgegnern veranstalteten Masernpartys möchte ich noch anfügen:

Nach deutschem Recht erfüllt das vorsätzliche Beibringen von Krankheitserregern – also auch von Masernviren – den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung „durch Beibringung von gesundheitsschädlichen Stoffen“(§ 224 Absatz 1 Nr. 1 Variante 2 StGB) oder der versuchten gefährlichen Körperverletzung; treten durch Komplikationen bleibende Schäden ein, handelt es sich um schwere Körperverletzung. Die Frage, ob sich die Eltern eines Kindes strafbar machen, wenn sie ihr Kind absichtlich mit Masern infizieren, um es zu immunisieren, wurde in der juristischen Ausbildungsliteratur als Misshandlung von Schutzbefohlenen bejaht (§ 225 StGB).

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Ärzte machen sich strafbar, wenn ihre Behandlung nicht dem aktuellen Stand der Wissenschaft entspricht. Heilpraktiker genießen diesbezüglich Narrenfreiheit.