
Preview in Bochum
Zwei Oscars für 'The Whale'
Montag. Charlie (ein Schwergewicht in jeder Hinsicht: Brendan Fraser) schaut sich einen Homo-Pornofilm an und onaniert auf dem Sofa. Der Mittvierziger, Englisch-Professor an der Berkeley University of California, unterrichtet seine Studenten nur noch per Live-Chat aus dem Homeoffice. Dabei ist seine Webcam stets ausgeschaltet, weil Charlie sich seines massigen Aussehens schämt: Nach dem Tod seines Geliebten Alan hat Charlie begonnen, alles in sich hineinzustopfen, was ihm der Pizzabote Dan (Sathya Sridharan) täglich vor die Tür stellt.
Denn auch ihm gegenüber will sich der inzwischen 272 Kilogramm schwere Koloss nicht zeigen, legt ihm das Geld für das ungesunde Fast Food in den Briefkasten. Charlie hatte seinerzeit Gattin Mary und die achtjährige Tochter Ellie (Jacey Sink) verlassen, um mit seinem schwulen Liebhaber zusammenzuleben.
Verantwortungsgefühl und Mitleid
Nun kümmert sich allein Liz (Hong Chau), eine Krankenschwester, um ihn: aus Verantwortungsgefühl und aus Mitleid. Denn der Liebhaber des Professors, der angibt, nicht krankenversichert zu sein, war Liz‘ Bruder. Atemnot, Schmerzen in der Brust, absolute körperliche Unbeweglichkeit: Charlie werde sterben, wenn er sich nicht in einer Klinik behandeln lässt. Doch die Warnung der empathischen Mittdreißigerin stößt auf taube Ohren.

Dienstag. Immer wieder nimmt sich Charlie einen Aufsatz über Herman Melvilles Roman „Moby Dick“ vor, den seine Tochter Ellie einst für die Schule verfasst hat. An diesem Morgen aber googelt er zum Thema Herzversagen bei Fettleibigkeit. Und rasiert sich erstmals seit geraumer Zeit: Ellie, mittlerweile 17 („Stranger Things“-Serienstar Sadie Sink überzeugt in ihrer ersten großen Kinorolle), schaut vorbei.
Hilfe bei Aufsätzen für die Highschool
Sie hat große Probleme in der Schule und ihr Vater erklärt sich bereit, ihr künftig beim Verfassen von Aufsätzen für den Highschool-Abschluss zu helfen. Doch Ellie, die wie ihre inzwischen gut 40-jährige Mutter Mary (Samantha Morton) kaum noch Kontakt zum Vater hat, zögert: Sie kann ihm seine Homosexualität nicht verzeihen.
Mittwoch. Charlie unterrichtet seine Berkeley-Literaturstudenten wie gewohnt online. Überraschenderweise schaut Ellie vorbei. Sie soll über ein Gedicht des amerikanischen Dichters Walter „Walt“ Whitman schreiben, hat aber inspirationslos nur Wikipedia-Fakten zusammengetragen. Ist aber auch an Informationen über Alan, den gestorbenen Liebhaber ihres Vaters, interessiert. Und dann steht mit Thomas (Ty Simpkins) ein 19-jähriger Missionar der Mormonen plötzlich vor der Tür – und wird von Ellie hereingelassen.
Dialog über christliche Erlösung
Donnerstag. Thomas darf wiederkommen. Der Tür-zu-Tür-Evangelist verwickelt Charlie in einen Dialog über christliche Erlösung. Obwohl Charlie nicht religiös ist, ja der Kirche vorwirft, am Tod seines Geliebten Alan schuld zu sein, lässt er sich darauf ein. Und Ellie erfährt, dass sie mit einer Erbschaft von 120.000 Dollar rechnen kann, wenn ihr Vater, was offenbar seine Absicht gewesen ist, sich zu Tode gefressen hat…
„The Whale“, Darren Aronofskys Verfilmung des gleichnamigen, 2012 im Denver Center for the Performing Arts uraufgeführten Theaterstücks von Samuel D. Hunter, geht unter die Haut und wurde völlig zu Recht mit zwei Oscars belohnt. Brendan Fraser bekam ihn für seine bisweilen grenzwertig-realistische Darstellung eines verzweifelten Vaters, der nach langer Zeit einen letzten Versuch unternimmt, sich mit seiner Tochter zu versöhnen. Und das Trio Annemarie Bradley, Judy Chin und Adrien Morot wurde mit der höchsten Film-Trophäe ausgezeichnet für die auf den ersten Leinwand-Blick nicht nur erschreckende, sondern geradezu abstoßende Maske des extrem fettleibigen Charlie.
Bewegender Film über die Suche nach Liebe und Vergebung
„The Whale“ ist ein nicht pathosfreier, aber nach knapp zwei Stunden zutiefst bewegender Film über die menschliche Suche nach Liebe und die Kraft der Vergebung. Gedreht im heute ungewöhnlichen 1.33:1-Seitenformat, das dem alten 4:3-Fernsehformat entspricht. Nach der Uraufführung am 4. September 2022 bei den Int. Filmfestspielen Venedig ist „The Whale“ am Samstag, 22. April 2023, um 20 Uhr als Preview im Bochumer Hauptbahnhofs-Kino Metropolis zu sehen. Zum Kinostart am Donnerstag, 27. April 2023, wird Brendan Frasers in mehrfacher Hinsicht überwältigendes Comeback u.a. im Casablanca Bochum und im Roxy Dortmund gezeigt.
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- Samstag, 22. April 2023, um 20 Uhr