
Neu im Kino
Wann kommst du meine Wunden küssen?
Einst in jungen Jahren haben die Regisseurin Maria (Bibiana Beglau), die Schauspielerin Laura (Gina Henkel) und der mit Maria befreundete DJ Jan (Alexander Fehling) das Berliner Nachtleben aufgemischt. Bis herauskam, dass Jan mit Laura fremdgegangen ist. Das Trio schien für alle Zeiten gesprengt, als Letztere von der quirligen Hauptstadt in den Schwarzwald gezogen sind als Pächter des Bauernhofes von Maria und ihrer dort auf dem elterlichen Anwesen lebenden Schwester Kathi (Katarina Schröter).
Kathi und Laura verstehen sich gut, bewirtschaften mit dem englischsprachigen Lohnarbeiter Max (Jonas Smulders) die inzwischen um eine Ziegenherde und eine Käserei erweiterte Rinderzucht, während Jan viel Zeit bleibt für sein Tonstudio, das er sich in einer Scheune eingerichtet hat. Der Großstädter scheint sich mit der abgelegenen Idylle angefreundet zu haben, ist ständig mit dem Recorder unterwegs, um Klänge der Natur wie etwa die eines Wasserfalls aufzunehmen oder an Felsformationen selbst Geräusche zu produzieren, welche er später mit elektronischer Musik sampelt.
Als die an Krebs erkrankte Kathi die niederschmetternde Diagnose erhält, sie habe nur noch eine Lebenserwartung zwischen fünf Monaten und fünf Jahren, zieht sie sich mit ihrer Lieblings-Ziege im Schlepptau immer häufiger in den Wald zurück, wo sie nachts naturmystisch-schamanische Rituale abhält. Sie hat Laura, die sich aufopferungsvoll um sie kümmert, den eigenen Anteil am Hof versprochen. Die 42-Jährige wünscht sich angesichts der immer lauter tickenden biologischen Uhr ein Kind von Jan, aber der ist vor allem an seiner Musik interessiert.

Als nach zehn Jahren der Funkstille plötzlich Maria auf dem einsamen Hof auftaucht und sich dort ganz selbstverständlich als Mitbesitzerin aufspielt, brechen sogleich alte Konflikte wieder auf. Zu denen auch der verdrängte Selbstmord ihrer alleinerziehenden Mutter gehört: die Bildhauerin hat sich mehr um ihre Kunst als um ihre beiden Töchter gekümmert. Weshalb es der erfolglosen und völlig abgebrannten Regisseurin, die noch nicht einmal mehr die Miete ihrer Berliner Wohnung aufbringen kann, auch nicht schwerfällt, ihren Anteil am Hof verkaufen zu wollen. Was naturgemäß auf den heftigen Widerstand ihrer Schwester Kathi stößt.
Und zur existentiellen Bedrohung für Laura werden könnte. Die ein Kind vom verheirateten Hotelier Michi (Godehard Giese) erwartet, was sie Jan nicht länger verschweigen kann, da sie es behalten möchte. Der sehnt sich offenbar nach alten Berliner Zeiten mit der kokainabhängigen Maria zurück, welche sich auch gar nicht abgeneigt zeigt, die alte Verbindung neu zu knüpfen. Vorerst verfolgt sie jedoch den Plan, einen Film über ihre Mutter zu drehen und dazu authentische Locations aufzunehmen. Gerade haben sich die empathische Kathi und ihre eiskalte Schwester Maria gefetzt und Erstere macht sich bereit, für eine Weile wegzubleiben, da sind sie wieder ein Herz und eine Seele und marschieren mit Laura zur Staumauer, von der sich einst die Mutter der Schwestern zu Tode stürzte.
Während Jan seine Sachen packt und im Oldtimer-Daimler nach Berlin zurückkehrt, legt sich Kathi nackt in den Schnee. Und Michi stapft durch denselben zu Laura: Sie will das Kind behalten und er ist bereit, zu zahlen. Und sonst? Es schneit im Schwarzwald…
In „Wann kommst du meine Wunden küssen?“ arbeitet Hanna Doose einmal mehr mit improvisierten Dialogen. Was binnen sehr langer 115 Minuten zu Handlungssprüngen und Leerstellen führt. Die Tragikomödie über Liebe, versteckte Sehnsüchte, Einsamkeit und Existenzängste ist ein typisches und daher auf Dauer auch nerviges Produkt deutscher Befindlichkeitsdramaturgie, erträglich durch das hochkarätige Schauspielensemble, zu dem in der Berliner Eingangsszene auch Marc Hosemann gehört, und die poetischen Bilder des Kameramannes Markus Zucker im kongenialen Zusammenspiel mit dem Techno-Sound des Berliners David Letellier aka Kangding Ray.
Uraufgeführt am 25. Juni 2022 auf dem Filmfest München und dort mit dem Bayern 2- und dem SZ-Publikumspreis ausgezeichnet startet „Wann kommst du meine Wunden küssen“ am 2. Februar 2023 in unseren Kinos, bei uns zu sehen im Capitol Bochum und in der Galerie Cinema Essen.