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Die Folkwang-Studenten vor dem Panzer (v.l.): Peter Thiessen, Lennart Anton Hahn, Maddy Forst, Maleika Dörschmann, Mia Kaufhold, Tomte Heer, Karl Leven Schroeder, Anna Lepskaya und Johanna Schönwald.

'Das Tierreich' in Bochum

Tanz den Leopard

„Was soll das sein, das ewige Leben?“: Das Schuljahr ist für die Gymnasiasten der Hindenburg-Schule der fiktiven Kleinstadt Bad Mersdorf endlich Vergangenheit, nun liegen sechs Wochen Ferien, Sommer und Sonne vor ihnen. Lebensfreude pur am Badesee: Schwimmen, Radfahren, Federball spielen, Eis essen, Musik hören. Oder wie Heiner der Klassenkameradin Babet auf dem Badetuch näherkommen. Allerdings müssen einige auch jobben, so Niko und Marko im Getränkemarkt.

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Franziska und ihre Zwillingsschwester Elisabeth sind begeisterte Synchron-Turmspringerinnen. Jetzt engagieren sie sich dafür, die Schule in Andreas Baader-Gymnasium umzubenennen. Ihre Wokeness hat freilich Grenzen: Das Chinchilla von Regine, die zusammen mit Britta und Vanessa in der Schülerband spielt, ist nach der Ferienparty plötzlich verschwunden. Kleiner Racheakt des Gutmenschen-Duos aus reiner Eifersucht. Denn die Nietzsche-Leserin Regine schreibt nicht nur die Songtexte, sondern ist auch selbstbewusste Frontfrau der Band.

Karl Leven Schroeder und Anna Lepskaya (v. li.) samt Chinchilla.

Auch die nächste Ausgabe der Schülerzeitung zum Beginn des nächsten Schuljahres will vorbereitet sein und die Theater-AG möchte im Jugendzentrum für eine Freilichtaufführung im Schlosspark proben. Nur zur Stückauswahl besteht noch Gesprächsbedarf: Heinrich von Kleists „Prinz Friedrich von Homburg“ wird von einigen als martialisches Kriegsstück missverstanden, wobei sich der Regisseur Paul besonders hervortut mit seiner Kritik am angeblich hinterhältigen und gewaltbereiten preußischen Militarismus. Weshalb sein Freund und designierter Hauptdarsteller Steffen doch eher in Kleists Lustspiel „Der zerbrochene Krug“ den Dorfrichter Adam geben soll.

Lennart und Nele haben ganz andere Probleme. Sie sind seit vier Wochen zusammen, aber während er am liebsten Federball spielt, möchte die Chefredakteurin der Schülerzeitung Arthouse-Filme gucken – völlig egal, ob Originalfassung, mit Untertiteln oder auf Deutsch synchronisiert. Die Gespräche der Heranwachsenden, unter denen längst der Influencer- und der Selfie-Wahn grassiert, kreisen naturgemäß um die eigene Zukunft, um Ehe, Kinder, sogar schon um die noch ferne Rente. Uralte Themen also. Aber eins ist klar: Nicht nur Britta, Regine und Vanessa wollen in keinem Fall so werden wie ihre Eltern. Und haben doch selbst so manche Gemeinheiten auf Lager…

Plötzlich fällt, buchstäblich aus heiterem Himmel, ein Kampfpanzer auf die Schule. Genauer: ein Leopard II rutscht durch die schadhafte Klappe eines Transportflugzeuges und zerstört mit der Wucht des Aufpralls ehebliche Teile des Hindenburg-Gymnasiums. Was tun? Jetzt erst recht die Schule umbenennen, Spenden für den Wiederaufbau sammeln? Ach was, zu stressig, weil zu strittig. Lieber Schwimmen gehen. Und Party machen: Tanz den Leopard! Schließlich ist auch das Chinchilla wieder aufgetaucht: Pinar, die einmal Dokumentaristin werden will, hat es gesehen und gefilmt…

Nach „Helmut Kohl läuft durch Bonn“, 2013 am Schauspiel der „Bundesstadt“ uraufgeführt, ist „Das Tierreich“ das zweite, 2014 am Schauspiel Leipzig uraufgeführte Stück des Autorenduos Nolte Decar, das gemeinsam Szenisches Schreiben an der Berliner Universität der Künste studiert hat. Jakob Nolte, 1988 im niedersächsischen Barsinghausen geboren, und Michel Decar, Augsburger des Jahrgangs 1987, konnten damals natürlich nicht ahnen, welche traurige Aktualität „ihr“ Leopard II einmal bekommen sollte durch Russlands imperialistischen Krieg mitten in Europa. Diesen hat die Berliner Ernst Busch-Professorin Friederike Heller bei ihrem in den Kammerspielen heftig umjubelten Bochumer Regiedebüt bewusst ausgeblendet: Ihre über gut einhundert Minuten geradezu atemlos-furiose Inszenierung mit zehn Folkwang-Studenten in zwanzig Rollen mischt die Erzählebene des Rahmens mit der dialogischen Spielebene zumeist sehr kurzer Szenen.

Dabei wechseln Maurizia Bachnick, Maleika Dörschmann, Maddy Forst, Lennart Hahn, Tomte Heer, Mia Kaufhold, Anna Lepskaya, Henri Mertens, Johanna Schönwald und Karl Leven Schroeder die Kostüme ebenso in fliegenden Wechsel wie die Geschlechter. Um ungerechterweise nur zwei der großartigen Studenten des dritten Jahrgangs herauszuheben: Henri Martens ist sowohl eine hinreißende Nicole Schneider als auch eine expressive Vanessa. Und Maleika Dörschmann sowohl eine sich cool gebende Miri als auch ein prolliger Waffennarr Niko.

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Im Schlepptau Friederike Hellers steht der Hamburger Musiker und „Kante“-Bandgründer Peter Thiessen erstmals auf den Bochumer Brettern: der Sänger, Songwriter, Gitarrist und höchst erfolgreiche Theatermusiker im ganzen deutschsprachigen Raum steuert Live-Musik mit elektronischer Gitarre und Synthesizer bei. „Das Tierreich“ steht Ende März und Anfang April 2023 noch viermal auf dem Spielplan, unbedingt Karten sichern im Netz unter schauspielhausbochum.de oder Tel 0234 – 3333 5555.

Die Termine im Einzelnen

  • Donnerstag, 30. März 2023, 19:30 Uhr (+ Einführung 19 Uhr)
  • Freitag, 31. März 2023, 19:30 Uhr
  • Mittwoch, 5. April 2023, 19:30 Uhr
  • Donnerstag, 6. April 2023, 19:30 Uhr (+ Einführung 18:30 Uhr)
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  • Donnerstag, 30. März 2023, um 19 Uhr
  • Freitag, 31. März 2023, um 19:30 Uhr
  • Mittwoch, 5. April 2023, um 19:30 Uhr
  • Donnerstag, 6. April 2023, um 18:30 Uhr
| Autor: Pitt Herrmann