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Umstrittene Ausstattung: Daniel Luis de Vicente (Simon Boccanegra), Heiko Trinsinger (Paolo Albiani) und Andrei Nicoara (Pietro).

Augen zu und durch

'Simon Boccanegra' in Essen

In Giuseppe Verdis „Simon Boccanegra“ nach der gleichnamigen historischen Figur aus dem 14. Jahrhundert geht es in der im Aalto Theater aufgeführten zweiten Fassung ohne Ouvertüre gleich zur Sache. Das ist beim Ausstatter der Essener Neuinszenierung, Klaus Grünberg, nicht anders: das Publikum staunt über mit Graffiti („assassino“/Mörder) beschmierte Rückwände der Theater-Kulissen, die sich später leporelloartig über die ganze Bühne ziehen. Über Alltagsklamotten, der Titelheld etwa im Parka, und Handys, über die sich das im wahren Wortsinn buntschillernde Bürgertum Genuas über das Ergebnis der Dogenwahl informiert.

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Jubel bricht aus, als mit Simon Boccanegra (mit Ovationen gefeiert: der amerikanische Bariton Daniel Luis de Vicente) einer der ihren die Wahl gegen den sieggewohnten Adel gewonnen hat. Dabei musste er regelrecht überredet werden, sich überhaupt aufstellen zu lassen. Ein Argument gab den Ausschlag: als gewähltes Oberhaupt der durch den Seehandel bedeutenden Stadtrepublik Genua würde ihm sein blaublütiger Widersacher Jacopo Fiesco (kaum minder großartig: der litauische Bass-Bariton Almas Svilpa) wohl die Hand seiner Tochter Maria nicht verweigern können. Doch nun, da Simon Boccanegra zum Dogen gewählt worden ist, stellt sich die Frage nicht mehr: Maria ist tot!

Ein Vierteljahrhundert später: Boccanegra ist noch immer an der Macht. Fiesco, unter dem Namen Andrea im Haus der Adelsfamilie Grimaldi untergetaucht, plant mit dem Patrizier Gabriele Adorno (Carlos Cardoso) eine Verschwörung gegen den Dogen. Der hat sein Erscheinen angekündigt, um für den ihm verbundenen Höfling Paolo Albiani (Heiko Trinsinger) um die Hand Amelia Grimaldis (eine in jeder Hinsicht starke Frau inmitten der männerdominierten Politikerkaste: Jessica Muirhead) anzuhalten. Als Boccanegra auf die mit Adorno liierte Amelia trifft, erkennt er in ihr seine verloren geglaubte Tochter Maria – und verweigert Paolo ihre Hand. Letzterer sinnt auf Rache…

Im Aalto geht es gleich zur Sache, hier Carlos Cardoso (Gabriele Adorno) und Jessica Muirhead (Amelia Grimaldi)

„Simon Boccanegra“ basiert auf einem romantischen Drama des Spaniers Antonio García Gutiérrez, das Francesco Maria Piave und Giuseppe Montanelli nach einer Prosaskizze Verdis in ein Libretto verwandelten. In der ohne großen Erfolg am 17. März 1857 im Teatro La Fenice in Venedig uraufgeführten Urfassung geht es in erster Linie um die Geschichte zweier verfeindeter Familien. Vor allem aus Enttäuschung über das Ergebnis des Risorgimento, des Kampfes um die italienische Einheit und Freiheit in den Jahren zwischen 1796 und 1870, schuf Verdi zwanzig Jahre später zusammen mit dem Librettisten Arrigo Boito eine überarbeitete Fassung, die am 24. März 1881 am Teatro alla Scala in Mailand zur Uraufführung kam und jetzt in Essen auf dem Spielplan steht: der flammende Appell zur Einigung seines Landes gilt heute als italienische Nationaloper.

In ihrer nach „Lohengrin“ (2016) und „Freischütz“ (2018) dritten Essener Inszenierung hat die Berliner Regisseurin Tatjana Gürbaca die Boito-Fassung zum dreistündigen Politkrimi zugespitzt und mit heutigen Bezügen wie dem Sturm der Donald Trump-Anhänger auf das Washingtoner Capitol überfrachtet. Sie zeigt, auch mit dem Verfremdungseffekt der Backtage-Kulisse, wie sich die Titelfigur im Labyrinth der politischen Intrigen verirrt – bis zum bitteren Ende, das aus Verdis Melodramma in einem Prolog und drei Akten eine Tragödie macht. Inmitten dieser Düsternis, die der Komponist bereits der literarischen Vorlage attestierte, aber setzt die Musik Glanzlichter – im Graben durch den bereits zur Pause minutenlang gefeierten musikalischen Leiter Giuseppe Finzi (zuletzt „La Traviata“ und „Madama Butterfly“ am Aalto), der die Gesangssolisten vorbildlich unterstützt. Und nicht weniger durch die Protagnisten auf den Aalto-Brettern, allen voran der spanisch-amerikanische Bariton Daniel de Vicente, der in den vergangenen Jahren unter anderem als Rigoletto bei den Bregenzer Festspielen, in Frankfurt und Hannover, als Gianni Schicchi und Michele („Il tabarro“) am Staatstheater Wiesbaden sowie zuletzt als Scarpia („Tosca“) an der Oper Frankfurt und der Deutschen Oper am Rhein in Erscheinung getreten – und nun erstmals als Simon Boccanegra zu erleben ist.

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In weiteren Partien feierten am Premierenabend des 28. Januar 2023 auch Mitglieder des Essener Ensembles bemerkenswerte Rollendebüts: neben der einmal mehr gefeierten Jessica Muirhead als Boccanegras Tochter Amelia Grimaldi auch Carlos Cardoso als Gabriele Adorno, Almas Svilpa als Jacopo Fiesco, Heiko Trinsinger als Paolo Albiani sowie Andrei Nicoara als Pietro. Karten für die weiteren sieben Vorstellungen dieser Spielzeit unter theater-essen.de oder Tel 0201 – 81 22 200.

Weitere Vorstellungen

  • Freitag, 17. Februar 2023, 19:30 Uhr
  • Samstag, 4. März 2023, 19 Uhr
  • Sonntag, 19. März 2023, 18 Uhr
  • Mittwoch, 5. April 2023, 19:30 Uhr
  • Donnerstag, 20. April 2023, 19:30 Uhr
  • Samstag, 6. Mai 2023, 19 Uhr
  • Mittwoch, 14. Juni 2023, 19:30 Uhr
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  • Freitag, 17. Februar 2023, um 19:30 Uhr
  • Samstag, 4. März 2023, um 19 Uhr
  • Sonntag, 19. März 2023, um 18 Uhr
  • Mittwoch, 5. April 2023, um 19:30 Uhr
  • Donnerstag, 20. April 2023, um 19:30 Uhr
  • Samstag, 6. Mai 2023, um 19 Uhr
  • Mittwoch, 14. Juni 2023, um 19:30 Uhr
| Autor: Pitt Herrmann