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Frauen sind sozial stärker von der Corona-Pandemie betroffen.

Ulrike Leimanzik über die Entwicklung des Opferschutzes

'Schuld hat nie das Opfer, sondern der Täter'

Am Montag, 8. März 2021, ist Weltfrauentag. Die Corona-Pandemie zeigt deutlich, dass Frauen sozial meist stärker von der Krise betroffen sind. Nicht nur, weil es vielfach so erscheint, als würden scheinbar längst überwundene Rollenbilder erneut zum Tragen kommen, sondern auch, weil für viele Frauen, die häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, der anhaltende Lockdown und die damit verbundenen Kontaktbeschränkungen eine gefährliche Zeit sind.

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Umso wichtiger hierbei ist es, dass Frauenhäuser und Beratungsstellen ihre Arbeit aufrechterhalten können. Ulrike Leimanzik, Vorstandsvorsitzende von Schattenlicht Beratungs- und Kontaktstelle für Frauen und Mädchen e.V. sprach mit halloherne-Redakteurin Julia Blesgen über die aktuelle Situation der Beratungsstelle, über die Wichtigkeit solcher Anlaufstellen für Frauen und Mädchen, die sexualisierte Gewalt ausgesetzt sind und über die Entwicklungen des Opferschutzes.

Ansprechpartner für Frauen fehlte früher

Ulrike Leimanzik war 42 Jahre lang Kriminalbeamtin.

Die ehemalige Leiterin des Kriminalkommissariats (KK) für Sexualstrafdelikte hat eine Menge gesehen und die Entwicklungen in Bezug auf mehr Schutz von Opfern hautnah miterlebt. Als sie 1974 ihren Dienst als Kriminalkommissarin in Herne, einer Außendienststelle des Polizeipräsidiums Bochum, antrat, gab es noch keine Beratungsstellen für Frauen oder etwa ein Frauenhaus in Herne.

„Als ich angefangen habe, gab es außerhalb der Polizei keinen Ansprechpartner für Frauen, die Opfer von Gewalt oder sexualisierter Gewalt waren. Ebenso stand damals die Vergewaltigung in der Ehe nicht unter Strafe. Frauen mussten durch Abwehrverletzungen zeigen, dass es zu einem Übergriff gekommen war", berichtet Leimanzik.

Weiter führt sie aus, dass es damals so etwas wie ein Opferschutzgesetz nicht gegeben habe und Opfern bei Gerichtsverhandlungen vom Anwalt des Täters oftmals hart zugesetzt wurden, um das Opfer zu verwirren und unglaubwürdig erscheinen zu lassen. „Mich hat es immer sehr geärgert und ich habe gedacht, wir müssen mehr tun, so habe ich dann auch inoffiziell Kontakt zu Sozialarbeiterinnen aufgenommen, damit die Frauen Hilfe bekommen", erzählt die 72-Jährige.

Sie selbst musste sich auch gegen ihre männlichen Kollegen behaupten. „Wenn wir zu einem Banküberfall gerufen wurden, hieß es immer: „Bleib du mal da, für Mädchen ist das nicht. Ich musste lange dafür kämpfen, dass ich dieselbe Arbeit übernehmen durfte wie meine männlichen Kollegen", so Ulrike Leimanzik. Heute sei das kein Thema mehr und es gebe auch bei der Polizei zahlreiche Frauen in Führungspositionen. Vielleicht auch, weil Frauen wie Ulrike Leimanzik ihnen mit ihrer Beharrlichkeit den Weg geebnet haben.

Wichtigkeit von Beratungsstellen

Als Anfang der 90er Jahre das Frauenhaus und die erste Beratungsstelle in Herne eröffneten, war Ulrike Leimanzik sehr erleichtert und glücklich, denn nun konnten Frauen Unterstützung in ihren Situationen erfahren. Auch nach ihrer Pensionierung engagiert sich die ehemalige Leiterin des Kriminalkommissariats für Sexualstrafdelikte für Opferschutz und Frauenrechte. Sie hält Vorträge und bietet Weiterbildungen an. Außerdem ist sie Vorstandsvorsitzende von Schattenlicht Beratungs- und Kontaktstelle für Frauen und Mädchen.

Anfang der 90er gab es erstmals eine Beratungsstelle und ein Frauenhaus in Herne.

„Bei meiner Arbeit im Bereich sexualisierter Gewalt habe ich einfach gemerkt, wie wichtig die Arbeit solcher Beratungsstellen ist. Aber der Beratungsstelle hat die Corona-Pandemie schwer zugesetzt. Wir sind auf Spenden angewiesen und da kommt momentan sehr wenig rein", berichtet Leimanzik.

Sie befürchte, dass die Pandemie dazu führen könnte, dass wichtige Angebote und Präventivmaßnahmen von Schattenlicht in Zukunft nicht mehr stattfinden können: „Es ist schade, dass Beratungsstellen und auch Frauenhäuser immer noch den „Projektstatus“ haben und Fördermittel in regelmäßigen Abständen beantragen müssen. Diese Fördermittel decken aber keinesfalls die Gesamtkosten. Wünschenswert ist es, wenn sie zu dauerhaften Einrichtungen mit einer 100 Prozent Finanzierung würden, so dass Spenden überflüssig wären.“

Momentan werde bei Schattenlicht weiterhin telefonisch beraten. Die Mitarbeiterinnen versuchen so mit Frauen in Kontakt zu bleiben, die bereits das Beratungsangebot in Anspruch nehmen. Viele neue Anfragen kommen derzeit nicht hinzu. Ein Grund dafür könnte sein, dass die Partner selbst viel zu Hause sind und so die Frauen besser kontrollieren konnten. „Wir dürfen nicht vergessen, viele Frauen sind emotional und finanziell abhängig vom gewalttätigen Partner. Ebenso sind Gefühle im Spiel, wenn der Mann sich entschuldigt und beteuert, es nicht wieder zu tun, will die Frau ihm glauben. Aber wenn ein Mann einmal die Hand ausrutschen lässt, wird er es immer wieder tun," so die ehemalige Leiterin des KK Sexualstrafdelikte.

Heute sei es zum Glück so, dass, wenn die Polizei zu einem Einsatz aufgrund von häuslicher Gewalt ausrückt, sie aufgrund des Gewaltschutzgesetzes von Amtswegen ein Ermittlungsverfahren einleitet und den Frauen Kontaktmöglichkeiten für Beratungsstellen nennt.

'Zepter des Handelns wieder selbst in die Hand nehmen'

Jedoch findet Leimanzik, die „42 Jahre mit Leib und Seele Kriminalbeamtin war“, dass Staatsanwaltschaft und auch Richter empathischer werden müssen. „Ein Jurist sieht durch eine juristische Brille einen Sachverhalt, was juristisch natürlich einwandfrei ist. Aber es gibt trotz des Opferschutzgesetzes immer noch keine Möglichkeit, auf das Befinden des Opfers einzugehen."

Deshalb rate sie allen Betroffenen, gerade im Bereich der sexualisierten Gewalt, den Zeitpunkt des Anzeigeerstattens so zu wählen, dass man stark genug für eine Gerichtsverhandlung sei. „Gerade im Bereich sexualisierte Gewalt kennen sich Täter und Opfer häufig. Das Opfer muss erst einmal Zeit bekommen, Geschehnisse zu verarbeiten und Befragungen können retraumatisierend wirken", sagt Ulrike Leimanzik.

Dabei helfe es einer Betroffenen, wenn sie „das Zepter des Handelns wieder selbst in die Hand nehmen kann". Dabei seien auch wieder Beratungsstellen wie Schattenlicht von einer großen Wichtigkeit. „Frauen können sich nach einem Übergriff beraten lassen und erhalten die Gewissheit: „Schuld hat nie das Opfer, sondern immer der Täter. Diese Rückversicherung hilft Frauen bei der Verarbeitung", berichtet die ehemalige Kriminalkommissarin.

Weiter führt sie aus: „Ich bewundere immer wieder mit viel Engagement und Empathie sich die Mitarbeiterinnen für die Betroffenen einsetzen. Die Mitarbeiterinnen von Schattenlicht waren immer für mich ein wichtiger Gesprächspartner und Anlaufstelle, wenn mich ein Fall sehr beschäftigt hat."

Anonyme Spurensicherung hilft bei späterer Anzeige

Ebenso helfe auch die anonyme Spurensicherung. Frauen und Mädchen, die sexualisierte Gewalt erfahren haben, sind häufig mental zunächst nicht in der Lage, die Tat anzuzeigen. Ohne Strafanzeige können Tatspuren aber nicht gesichert werden und stehen damit bei einem zukünftigen Strafverfahren nicht als Beweismittel zur Verfügung. Allein eine spätere mündliche Aussage der Betroffenen reiche meist für Anklageerhebung oft nicht aus.

Die anonyme Spurensicherung helfe Betroffenen für eine spätere Anzeige dabei, gerichtsfeste Beweise zu erhalten. Betroffene können sich nach einer Vergewaltigung anonym von einem Arzt untersuchen lassen. Dabei werden DNA, Spermaspuren und Verletzungen gesichert. Sie erhalten dann einen Code, mit dem sie, wenn sie sich doch noch zu einer Anzeige entschließen, die Beweismittel erhalten können.

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„Es hat sich in den letzten 40 Jahren einiges in Bezug auf Opferschutz getan, dennoch muss noch mehr passieren", so Ulrike Leimanzik. „Es muss auch mehr für den Erhalt von Anlauf- und Beratungsstellen unternommen werden, den sie leisten die Arbeit, damit es Frauen gelingt, sich aus der Gewaltspirale zu lösen."

| Autor: Julia Blesgen