
Melange aus Bulgakow und Bach
Passion I und II
Michail Bulgakow (1891-1940) hat, in seinem letzten Lebensjahr, mit „Der Meister und Margarita“ Rache genommen – am sowjetischen Diktator Stalin wie an den Rezensenten, die ihm zeitlebens übel zugesetzt haben. Erst 1966 und damit gut ein Vierteljahrhundert nach seinem Tod, durfte Bulgakows 500-Seiten-Roman gedruckt werden, und das auch nur in einer zensierten Fassung. Inzwischen liegt der „russische Faust“ ungekürzt und gleich in mehreren Übersetzungen vor.
Darin ist es der Teufel selbst in Gestalt des Professors für schwarze Magie, Voland (Pierre Bokma als rotgewandeter Geheimdienstchef), der stellvertretend Rache übt für die erlittene Schmach des nur „Meister“ genannten Dichters (Steven Scharf), indem er mit seinen Kumpanen, der Hexe Gella (Jele Brückner) und dem Kater Behemoth (Jing Xiang), in Moskau (hier: ins Hospiz zu Charenton frei nach „Marat/Sade“ von Peter Weiss) einzieht und das profan-bürokratische Leben dort auf phantastische Weise in einen mörderischen Alptraum verwandelt. In Robert Borgmanns Version, die jetzt am Schauspielhaus Bochum Premiere feierte, ist dieser eine lustvoll-klamaukige Abendmahlsgesellschaft nach Art der britischen Monty Python-Truppe.
Debüt in Bochum
Bei der Levi Matthäus (Risto Kübar) das große Wort führt. Weil der 41-jährigen Regisseur, dessen Inszenierungen in Wien und Stuttgart schon mehrfach zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurden, bei seinem Bochum-Debüt den Bulgakow-Roman noch mit Schnipseln aus Johann Sebastian Bachs „Matthäus-Passion“ verschränkt, uraufgeführt am 11. April 1727 in der Thomaskirche Leipzig zur Erinnerung an den Kreuzestod Christi. Naturgemäß einem Karfreitag, dem wichtigsten Gedenktag im Erlösungskonzept Martin Luthers.
So geht’s in Bochum mit dem bewusst dilettantisch vorgetragenen Choral „Erkenne mich, mein Hüter“ los unter (Mini-) Orgelbegleitung von Boris Gurevich (alternierend mit Rud Zielhorst). Was an einer solchen Verhunzung einer Musik voller Erregung und Entrüstung über die eigene Ohnmacht und des ariosen Mit-Leidens mit Jesus lustig sein soll, erschließt sich zumindest dem Autor nicht: Bach hat seine „große Passion“ als sein wichtigstes Werk überhaupt betrachtet zu Texten aus dem ersten (Passionsbericht im Evangelium des Matthäus), dem 16. (Martin Luthers Übersetzung), dem 17. (Choraltexte von Paul Gerhardt) und dem 18. Jahrhundert (Text von Picander sowie Passionspredigten von Heinrich Müller).

Doch zurück zu Bulgakow. Dem jungen lyrischen Dichter Iwan Besdomny (Alexander Wertmann), im Roman das Alter Ego des Autors, wird vorgeworfen, in seinem Werk nicht deutlich genug die Nichtexistenz Gottes und seines Sohnes Jesus (kluger Schachzug: Alexander Wertmann gibt auch den Jeschua Ha-Nozri) herausgestellt zu haben. Niemand will ihm glauben, dass der Teufel an der Seite zwielichtiger Gestalten durch Moskau streift und den so gierigen wie feigen Menschen den Spiegel vorhält. So wird er in die Irrenanstalt der Praskowja Fjodorowna (die Souffleuse Isabell Weiland im strengen Kittel-Outfit und rasselndem Schlüsselbund) eingewiesen. Welche wiederum dem Meister als einziger Ort erscheint, an dem ein Autor wie er in einem atheistischen Staat überleben kann. Weshalb er sich freiwillig dort aufhält.
Begegnung mit dem Teufel
Dort begegnet ihm die Titelfigur seines Pilatus-Romans, der die Passionsgeschichte aus Sicht des römischen Prokurators von Judäa erzählt, leibhaftig: Steven Scharf als Pontius Pilatus, Gina Haller als sein Hund Banga. Und es begegnet ihm der Teufel, womit sich des Meisters Romanversion bestätigt: In der Realität des Romans ist die Existenz des Teufels und damit auch die Existenz Gottes bewiesen. Der Dichter dreht das Verhältnis von Werk und Welt um: Ersteres ist Realität, letztere Fiktion – man muss es nur glauben. Des Meisters junge Geliebte Margarita (Gina Haller), beim Satansball die Königin, ist die Einzige, welche an den Künstler glaubt – und an die Kraft der Liebe. Sie ist sogar bereit, sich dem Teufel zu verschreiben, um den in der Psychiatrie verschwundenen Geliebten und dessen poetische Wahrheit wiederzufinden.
Am Ende fallen die Ebenen des Bulgakow-Romans und des (Pilatus-) Romans im Roman zusammen: Jesus befiehlt dem Teufel, dem Meister und seiner Margarita Frieden zu geben. Erlösung aber finden beide nur im Tod. Am Schauspielhaus Bochum ist, nach gut drei Stunden, Schluss, wenn die Souffleuse geht…
Historische und aktuelle politische Bezüge
„Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade“ von Peter Weiss, uraufgeführt am 29. April 1964 im Berliner Schillertheater Berlin, stand Pate für die zwar ziemlich bildmächtig-spektakuläre, aber wenig sinnstiftende Melange aus Bulgakow und Bach. Die im zweiten Teil aufgeladen wird durch sehr beliebige historische und aktuelle politische Bezüge in Wort (Philippika Gina Hallers über rassistische, sexistische oder sonstwas Sprache) und Szene (von Nicolae Ceausescu über Charles Manson bis hin zu Beate Zschäpe).
Die nächsten Vorstellungen: Am Freitag und Sonntag, 12. und 14. November 2021, Karten unter schauspielhausbochum.de oder Tel. 0234 / 3333 5555.
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- Freitag, 12. November 2021, von 19:30 bis 22:30 Uhr
- Sonntag, 14. November 2021, von 19:30 bis 22:30 Uhr