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Der Rosenkrieg zwischen Eduard (Piotr Prochera, l.) und Laura (Eleonore Marguerre) spielt Hermann (Martin Homrich, r.) in die Karten.

Kurzweilige „lustige Oper“ am MiR

'Neues vom Tage'

Schon kurz nach ihrer Eheschließung beginnt der Rosenkrieg zwischen Laura (sängerisch und spielerisch herausragend: Eleonore Marguerre) und Eduard (Piotr Prochera) – in Sonja Trebes‘ fulminanter, in einer fiktiven Gegenwart zwischen den 1920er Jahren und heute angesiedelter knapp zweistündiger Inszenierung am Gelsenkirchener Musiktheater wörtlich genommen. Was das mit ihnen befreundete Paar Herr (Adam Temple-Smith) und Frau M. (Almuth Herbst), das gerade von ihrer Hochzeitsreise zurückgekehrt ist, zunächst entsetzt, binnen kürzester Frist aber selbst entzweit.

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Handymanie im Museum: Laura (Eleonore Marguerre, vorn) ist weniger an der Venus-Statue als an der Putzfrau interessiert.

Sie erfahren vom Standesbeamten (Philipp Kranjc), dass es für eine amtliche Scheidung einen triftigen Grund braucht. Ein Fall für den schönen Herrn Hermann (Martin Homrich), den einfallsreichen Chef des auf Trennungen spezialisierten „Büros für Familienangelegenheiten“. Der arrangiert im Museum an der 3.000 Jahre alten Venus-Statue (die hier wie ein Werk von Joan Miró aussieht) ein Rendezvous. Blöd nur, dass er sich selbst ernsthaft in Laura verliebt – und die Sache völlig aus dem Ruder läuft.

Was auch damit zusammenhängt, dass gleich ein halbes Dutzend Manager ein dickes Geschäft wittern und den angeblichen Skandal höchst gewinnträchtig durch Zeitungs- und Fernsehreportagen, Theater, Varieté und Film vermarkten. Dabei verdienen freilich auch Laura und Eduard eine Menge Geld – und kommen sich bald wieder näher. Doch nun sind sie öffentliche Personen und müssen auf der Klaviatur der Medien weiterspielen…

„Neues vom Tage“, Paul Hindemiths „lustige Oper in drei Teilen“, komponiert auf einen Text des Kabarettisten und Chansondichters Marcellus Schiffer, ist am 8. Juni 1929 in der Berliner Krolloper unter der Leitung Otto Klemperers uraufgeführt worden. Sie ist in ihrer bissigen Mediensatire zeitlos aktuell – gerade in diesen unseren digitalen Zeiten, wo Social Media die analoge Yellow Press längst abgelöst hat unter dem Motto „Anything Goes“. Von widerwärtigen TV-Reality-Formaten wie „Dschungelcamp“ ganz zu schweigen.

Die fränkische Regisseurin Sonja Trebes („Belsazar“ und „Der Florentiner Hut“ am MiR) lässt zusammen mit dem ihr vertrauten Bühnenbildner Dirk Becker und der Kostümbildnerin Julia Reindell („Nahod Simon“ am MiR) ein farbenprächtiges Feuerwerk abbrennen: die Kuben der Wohnung des Protagonistenpaares und die verschrägten Hochhäuser im Hintergrund bringen analog zu Paul Hindemiths gewöhnungsbedürftiger Musik die Stilrichtungen der Neuen Sachlichkeit und des Expressionismus zusammen. Während aus dem Graben unter der Leitung von Giulano Betta die wilde Mischung aus Jazz, Operette und Schlager der Zwischenkriegszeit dröhnt, setzt die Inszenierung auf ironische Zwischentöne (Dixi-Klo im Museum) und szenische Petitessen (Senior mit Wischmob-Vierbeiner), verstärkt um so sparsam wie effektiv (Schlüsselloch-Perspektive) eingesetzte Videos (Moritz Hils).

Musikalisch gibt’s bei der Umsetzung der schwierigen Partitur nichts zu meckern, dabei leisten die Gesangssolisten auch darstellerisch Enormes. Vor allem in der durch Goebbels‘ Sportpalast-Rede weltbekannten Badewannen-Szene im Hotel Savoy und der „Schlammschlacht“ vor laufenden Kameras der TV-Show „Buntes vom Tage“ nach der Pause, wie überhaupt der äußerst kurzweilige Abend im zweiten und dritten Teil der Oper mächtig an Fahrt gewinnt. Und das auch durch optische Anklänge an die Architektur Wladimir Tatlins, die russischen Suprematisten und die Montagen John Heartfields, die dem heutigen Selfie-Wahn und seiner Ausprägung in den Social-Media-Kanälen gegenübergestellt werden.

Mit „Neues vom Tage“ setzt das Gelsenkirchener Musiktheater im Revier die verdienstvolle Beschäftigung mit Paul Hindemith fort nach „Mathis der Maler“ (2017) mit Urban Malmberg in der Titelpartie, Tobias Glagau und dem damals neuen Ensemblemitglied Martin Homrich sowie „Hin und Zurück“ (2021) mit Adam Temple-Smith. Für ein mittelgroßes Haus setzt MiR-Intendant Michael Schulz mutig Akzente, eine Fortsetzung mit Kurzopern von Hans Werner Henze („Das Wundertheater“) und Karl Amadeus Hartmann („Wachsfigurenkabinett“) folgt bereits am 26. Mai 2022.

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Die weiteren Aufführungen: Am Samstag, 14. Mai 2022, um 19:30 Uhr, am Samstag, 21. Mai 2022, um 19:30 Uhr, am Sonntag, 29. Mai 2022, um 18 Uhr, am Freitag, 10. Juni 2022, um 19:30 Uhr sowie am Samstag, 25. Juni 2022, 19:30 Uhr. Karten unter musiktheater-im-revier oder Tel 0209 – 40 97 200.

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  • Samstag, 14. Mai 2022, um 19:30 Uhr
  • Samstag, 21. Mai 2022, um 19:30 Uhr
  • Sonntag, 29. Mai 2022, um 18 Uhr
  • Freitag, 10. Juni 2022, um 19:30 Uhr
  • Samstag, 25. Juni 2022, um 19:30 Uhr
| Quelle: Pitt Herrmann