
„Ivo“ läuft im Kino
Fiktional und dennoch sehr authentisch
Update, Donnerstag (27.6.2024)
Läuft weiterhin im Casablanca Bochum, im Sweetsixteen Dortmund, in der Galerie Cinema Essen sowie im Bambi Düsseldorf.
Der ursprüngliche Text
Ivo (Minna Wündrich) ist sauer. Den ersten Termin hätte sich die ambulante Palliativpflegerin sparen können, denn das Bett ihrer Patientin ist leer. Die Nachtschicht der Klinik hat es versäumt, Ivo deren Ableben mitzuteilen. Eine 40-minütige Autofahrt in ihrem alten orangefarbenen Skoda umsonst – und das bei einem prall gefüllten Terminkalender. Der kaum einmal Zeit lässt für hastige Fast-Food-Aufnahme zwischendurch.
Es gibt sone und solche: Patienten, die in Bungalows wohnen und Kunden, die in Holzhütten hausen. Ehepaare, die im Dauerstreit miteinander liegen wie die Brohnsdorfs, wo Thorsten (Wolfgang Rüter) ständig an seiner Gattin Renate (Joanna Gläsel) herumnörgelt, diese es aber Ivo keineswegs dankt, als sie ihm diesbezüglich die Meinung geigt. Es gibt aber auch ein wundervoll harmonierendes, von Liebe und gegenseitiger Rücksichtnahme geprägtes Paar wie Benedikt (Pierre Siegenthaler) und Henner (Leopold von Verschuer).
Muss ein hartes Fell haben
Ivo kann sich in ihrem nervenzehrenden Job nicht alles bieten lassen, muss aber ein hartes Fell haben. So bei der Vernehmung durch eine Kommissarin (Heike Speer) nach dem Tod einer Infusions-Patientin. Pragmatismus vor allem ist gefragt, und eine notwendige Distanz, die freilich nicht in Gleichgültigkeit ausarten darf. Bei ihrer langjährigen Freundin Solveigh (Pia Hierzegger) fehlt jegliche Distanz, auch nachdem bei ihr die unter ALS bekannte unheilbare neurologische Krankheit ausgebrochen ist, die zu unkontrollierbaren Muskelanspannungen und fortschreitenden Lähmungen führt.
Nun ist Solveigh auch ihre Patientin und Ivo unterstützt deren aufopferungsvoll um sie bemühten Ehemann Franz (Lukas Turtur) in jeder freien Minute. Sodass sie ihre pubertierende Tochter Cosima (Lilli Lacher), die mit ihr und dem Familienhund wie in einer lockeren Wohngemeinschaft lebt, noch seltener sieht, was diese aber nicht als Mangel empfindet.
Ivo reagiert entsetzt
Solveigh, die immer stärker auf fremde Hilfe angewiesen ist, bittet Ivo um Beihilfe zum Suizid, nachdem der Berater eines Hilfsvereins nur palliative Hilfsmittel zur Sedierung offerieren konnte: der Einsatz von Pumpen für Morphium und Schlafmittel sei doch nur eine Quälerei für alle Beteiligten. Ivo reagiert zunächst entsetzt, bespricht sich auf dem wöchentlichen Todeslisten-Meeting mit ihrem Chef Johann (Johann Campean). Der schließt nicht nur jede eigene Mitwirkung aus, sondern droht Ivo mit Kündigung, wenn sie die Betreuung ihrer Freundin nicht abgibt.

Die ständig mit Leiden und Tod konfrontierte Ivo sucht sich kleine Fluchten aus dem emotionalen Stress, raucht daheim zur Beruhigung Marihuana, findet Abwechslung in Spielhallen und verabredet sich über Dating-Apps mit Männern. Bis es schließlich mit dem nicht weniger überforderten Franz funkt – und sich die beiden in der „Rhein-Suite“ eines Hotels verabreden.
Als Solveigh stirbt, während Franz außerhalb an einer Tagung teilnimmt, ist Ivos Chef nicht sicher, ob nicht doch Sterbehilfe im Spiel war, stellt aber dennoch einen unverdächtigen Totenschein aus. Ivo und Franz begleiten den Körper der Verstorbenen bis zur Verbrennung des Sarges im Krematorium. Nachdem Ivo ihre Tochter zum Düsseldorfer Flughafen gebracht hat, gibt’s Kärtner Kasnudeln bei Franz: auf Tränen der Trauer folgt ein Lächeln der Befreiung…
Thema Palliativpflege
Mit „Ivo“, ihrem zweiten Spielfilm nach „Alles ist gut“ (2018), einem Drama über das Trauma einer Vergewaltigung, gelingt Eva Trobisch ein veritables Wunder. Sie war bei der Recherche zu einem „Polizeiruf 110“-Krimi auf den „Todesengel der Charité“ gestoßen und hat sich danach dem Thema Palliativpflege gewidmet. Der mit Aus- und Rückblicken, Spiegelungen und Ausschnitten auch bildtechnisch sehr unkonventionelle Spielfilm blickt mit großer Lebendigkeit und doch voller Respekt auf eine weitgehend tabuisierte Lebenswelt.
Und das mit großer Authentizität: Johann Campean, Vater des Kameramannes Adrian Campean, ist Palliativarzt im westlichen Ruhrgebiet und hat zusammen mit einigen Kollegen einen Verbund von Einrichtungen der „Spezialisierten Ambulanten Palliativen Versorgung“ (SAPV) gegründet und mehrere Hospize mit aufgebaut. Er war nicht nur der medizinische, lebensweltliche und ethische Berater des Filmteams, sondern auch Laiendarsteller – als Ivos Chef.
Manche Szenen sind spontan ohne Drehbuch entstanden
Überhaupt kombiniert Eva Trobisch professionelle Schauspieler mit echtem Fachpersonal. Manche Szenen, etwa mit den „Überführern“ Gero Zons und Klaus Leitner, die Verstorbene dem Bestatter zuführen, sind spontan ohne Drehbuch gefilmt worden. Und das mit hoher Tiefenschärfe: der digitale Sensor der Kamera Adran Campeans wurde mit alten 16mm-Objektiven limitiert. In ihrer ersten großen Kinorolle ist das frühere Bochumer Schauspielhaus-Ensemblemitglied Minna Wündrich das mitreißende Kraftzentrum des 105-minütigen Films, der vom 1. September bis 6. Oktober 2022 in Köln und im Großraum Düsseldorf gedreht wurde.
Nach der Uraufführung am 20. Februar 2024 in der Encounters-Sektion der 74. Berlinale mit dem Heiner-Carow-Preis ausgezeichnet startet „Ivo“ am Donnerstag, 20. Juni 2024 in den Kinos, bei uns zu sehen im Metropolis Bochum, im Sweetsixteen Dortmund, im Filmstudio Glückauf Essen und im Bambi Düsseldorf. Auf ihrer Kinotour sind Adrian Campean (Kamera) und Johann Campean (Medizinier und Gründer Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung SAPV) am Donnerstag, 20. Juni 2024 um 20 Uhr im Filmstudio Glückauf Essen und am Freitag, 21. Juni 2024 um 19 Uhr im Bambi Düsseldorf.
Vergangene Termine (1) anzeigen...
- Donnerstag, 20. Juni 2024, um 20 Uhr
Vergangene Termine (1) anzeigen...
- Freitag, 21. Juni 2024, um 19 Uhr