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Ein etwas anderes Vorspiel auf dem Theater: Beritan Balcı (Dichterin), Nicolas Fethi Türksever (Lustige Person) und Silvia Weiskopf (Theaterdirektorin).

Bettina Engelhardts grandiose Rückkehr

Doktormutter Faust

Selen Kara und Christina Zintl haben ihre gemeinsame Intendanz am Schauspiel Essen mit einem Auftragswerk gestartet, das am 9. September 2023 umjubelte Uraufführung im Grillo-Theater feierte: „Doktormutter Faust“ von Fatma Aydemir, eine feministische Überschreibung „des“ Klassikers des deutschsprachigen Theaters schlechthin. Die erste Theaterarbeit der erfolgreichen Romanautorin Fatma Aydemir („Ellbogen“, „Dschinns“) besticht durch bisweilen freilich arg vordergründigen Witz, die gut neunzigminütige Inszenierung der Ko-Intendantin Selen Kara durch die überragende Bühnenpräsenz der grandiosen Essen-Rückkehrerin Bettina Engelhardt.

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Der Verführer und die Professorin: Nicolas Fethi Türksever (Mephisto) und die überragende Bettina Engelhardt (Margarete Faust).

Von Johann Wolfgang von Goethes „Faust I“ ist nach Berechnungen der Dramaturgin Margrit Sengebusch zwar nur ein marginaler Restbestand „irgendwo zwischen fünf und zehn Prozent“ des Textes erhalten geblieben mit völlig neuem „Vorspiel auf dem Theater“. Aber die Stationen der eleganten, in leuchtendes Ives-Klein-Blau gehüllten Titelfigur, hier die Professorin Margarete Faust (Bettina Engelhardt), sind weitgehend erhalten geblieben in dem Stück, das in einem totalitären Staat des 21. Jahrhunderts spielt, in dem Abtreibungen verboten sind.

Weshalb das Motiv der Kindstötung auf die umstrittene, vom Staat argwöhnisch beobachtete Gender-Studies-Wissenschaftlerin übertragen worden ist. Die kurz vor ihrem Rausschmiss steht, mit ihrem bisherigen freudlosen Leben im akademischen Elfenbeinturm hadert und sich auch von ihrem Famulus Wagner, der dauererregten Doktorandin Valeria (Beritan Balcı), nicht trösten lässt. Sehr wohl aber der Verführungskunst Mephistos (Nicolas Fethi Türksever) erliegt, der nicht mehr das Böse schlechthin verkörpert, das ja längst in der Welt ist, sondern als Maître de Plaisir geheimste Wünsche erfüllt.

Welche die Professorin auf ein höchst ungeeignetes Objekt der Begierde projiziert, den schwulen ausländischen Studenten Karim (Eren Kavukoğlu), der die Doktormutter nur zur Verlängerung seines Aufenthaltstitels benötigt – und sich allein vom Anblick ihres nackten Körpers missbraucht fühlt. Was folgt, kann – zumindest noch – als bekannt vorausgesetzt werden: Eine orgiastische Walpurgisnacht mit zwei Lack-und-Leder-Hexen in unschuldigem Weiß (Silvia Weiskopf und Beritan Balcı) und die Kerkerszene, welche freilich an Grauen verloren hat: das ganze autoritär regierte Land ist ein einziges Gefängnis.

Fatma Aydemir stellt in „Doktormutter Faust“ die Frage, was wäre die vor über 200 Jahren erdachte Figur des Faust in unserer Gegenwart? Und: Was ist es noch, was die Welt im Innersten zusammenhält? Eine feministische Wissenschaftlerin, die sich gegen einen reaktionären Staat positioniert – und krachend scheitert. Deren Position zur moralisch aufgerüsteten Abtreibungs-Problematik, „die Anmaßung zu glauben, das Leben sei die bessere Option“, letztlich auch eine Anmaßung darstellt.

„Für mich ist Feminismus in allererster Linie Machtkritik“, lässt sich die Autorin im Programmheft vernehmen: „Das bedeutet: In dem Moment, wo sich Macht irgendwo konzentriert, gibt es Missbrauch. Das ändert sich auch nicht, wenn eine Feministin an der Macht ist. Das wird beispielhaft an der Figur der Margarete Faust behandelt.“

Doch genug des philosophischen Diskurses. „Doktormutter Faust“ ist nicht nur ein programmatischer Auftakt der Ära zweier Intendantinnen, sondern vor allem pralles, höchst unterhaltsames Theater. Mit artifizieller (Flaschen-) Ausstattung der ständig in Bewegung befindlichen Bühne (Lydia Merkel, Kostüme: Anna Maria Schories), spektakulären Hologrammen und Videos (Florian Schaumberger) sowie guter Musik: Frau Professorin Faust und Mephisto wirbeln zum Rosenkavalier-Walzer von Richard Strauss über die Bretter, nachdem er der Lebensmüden zu neuen Augen-Blicken auch auf sich selbst verholfen hat.

Karten sind erhältlich unter theater-essen.de, im TicketCenter in der Essener City, II. Hagen 2, an der Kasse des Grillo-Theaters, Opernplatz 10 sowie unter Tel 0201 81 22-200.

Die nächsten Vorstellungen im Grillo-Theater

  • Donnerstag, 28. September 2023, 19:30 Uhr
  • Samstag, 30. September 2023, 19:30 Uhr
  • Sonntag, 1. Oktober 2023, 16 Uhr
  • Freitag, 13. Oktober 2023, 18:30 Uhr
  • Samstag, 28. Oktober 2023, 19:30 Uhr
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  • Dienstag, 1. November 2022, um 16 Uhr
  • Donnerstag, 28. September 2023, um 19:30 Uhr
  • Samstag, 30. September 2023, um 19:30 Uhr
  • Freitag, 13. Oktober 2023, um 18:30 Uhr
  • Samstag, 28. Oktober 2023, um 19:30 Uhr
Dienstag, 12. September 2023 | Autor: Pitt Herrmann
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