
WLT-Inszenierung ab Mai 2023 auch in Herne
Die erstaunlichen Abenteuer der Maulina Schmitt
„Nur noch siebeneinhalb Jahre bis zum Erwachsenwerden“: Die knapp dreizehnjährige Ich-Erzählerin Maulina (Anne Noack alternierend mit der enorm präsenten Regieassistentin Dalila Niksic) heißt eigentlich Paulina Klara Lilith Schmitt. Gleich drei Vornamen! Als könnten sie den gewöhnlichsten Nachnamen der Welt verschönern.
Paulina aber hat das Maulen zur Kunst erhoben: „Maulen heißt nicht einfach rumstänkern, maulen, das ist eine Lebenseinstellung.“ Wenn „Paule“ oder „Keule“, Paulinas Spezialnamen für Spezialsituationen, ab und an die Wut packt, also der Maul, dann kribbelt es in ihren Zehen und juckt es in der Kniekehle und sie muss leise flüstern „Kakao, Kakao, Kakao“, um keine Maulplosion zu kriegen.
Hungrige Fliegen im Obst
„Hungrige Fliegen im Obst“ gibt der „General“ (musikalisch gecoacht vom Ensemblekollegen Patrick Sühl: Mark Plewe), sich selbst an der Gitarre begleitend, zum Besten. „Alles meins“ hat die „einzigartige, ungewöhnliche, spektakuläre, grenzenlos mirakulöse“ Paulina Schmitt gerade noch behauptet. Jetzt platzt sie fast vor Wut, und das hat einen triftigen Grund: bisher war sie als Prinzessin von Mauldawien Herrscherin über ein Königreich mit vier Zimmern und 84 Topfpflanzen. Als Kleinste der Familie bewohnte sie natürlich das größte Zimmer, ihre Maulhöhle.
Doch damit ist es nun vorbei: ihre Eltern haben sich getrennt. Und weil der Va-, nein, also: der Mann (Christian Zell) in der Wohnung bleibt mit seiner neuen, jungen und auch noch schwangeren Frau Lucie (Kirsten Engelmann), muss Paulina ihr geliebtes Mauldawien für ein fürchterlich steriles Plastikhausen am anderen grauen, gesichtslosen Ende der Stadt aufgeben. Mit einer Rampe am Hauseingang statt einer Treppe.
Nun sind auch ihre Freunde Mona und Bart weit weg. Und deshalb ist „einlassen, annehmen, anfreunden“, wie der „General“ empfiehlt, für Paulina keine Option. Auch wenn das Leben halt wie ein Pfannkuchen ist - 'mal süß und mal 'salzig. Zwischen gestapelten Umzugskartons richtet Maulina eine Pinnwand ein, verteilt Post-it-Zettelchen in der ganzen Küche. Und gibt sich genau zwölfeinhalb Tage für die erfolgreiche Umsetzung ihres Schlachtplans: Papa Juri soll auf allen Vieren angekrochen kommen.
Ohne Eltern im Heim
Doch erstmal ist die neue Schule angesagt. In der Klasse des Lehrers Mückeburg (Christian Zell) nur „popelfressende Einzeller“ – mit einer Ausnahme: Paul (Vincent Bermel). Ohne Eltern muss er in einem Heim der Jugendfürsorge leben und kann Maulinas Zorn erst gar nicht nachvollziehen: Sie hat schließlich eine tolle, fürsorgliche Mutter! Doch dann lässt auch er sich für den Plan der Rückeroberung Mauldawiens gewinnen, bei dem auch Mona und Bart mittun wollen.

„Ein Tag wie ein Leberhaken“: Es brauchte Zeit, bis ihre Mutter Klara (macht Sinn: ebenfalls Kirsten Engelmann) so weit war, um Paulina den wahren Grund für den Umzug in eine barrierefreie Wohnung zu erklären. Sie ist unheilbar krank und wird sich bald nur noch im Rollstuhl fortbewegen können. „Leben heißt lernen, sich zurechtzufinden“ weiß der General. Paulina soll später ins ausgebaute Dachgeschoss der alten Wohnung ziehen: Maultropolis. Wo auch Platz für ein Klaraseum wäre – und sogar für Paul…
„Erst bist du frisch verliebt, dann brauchst du einen, der dich schiebt“: tolle flotte Songs des musikalischen Leiters am WLT, Tankred Schleinschock, für ein groß aufspielendes fünfköpfiges Ensemble, live vorgetragen zumeist von Mark Plewe als (Opa-) „General“, hellen die bei diesem ernsten Thema naturgemäß aufkommende melancholische Stimmung im Parkett zum rechten Zeitpunkt immer wieder auf. Dazu eine phantasievolle, händisch zu bedienende Drehbühnen-Ausstattung von Marc Mahn, welche das kunterbunte, an die (Film-) Welt Pippi Langstrumpfs erinnernde Mauldawien dem schlichten und funktionalen Plastikhausen gegenüberstellt.
Traurig, wütend und fröhlich sein
Regisseur Felix Sommer kann auf die Spielfreude eines furios agierenden Ensembles bauen bei seinem mutigen Versuch, ein gesellschaftliches Tabuthema gerade für ein junges Publikum ab zehn Jahren aufzubereiten: „Alle Figuren dürfen traurig, wütend, aber zwischendurch auch mal fröhlich sein, weil Lachen genauso zur Trauer dazugehören kann.“
Finn-Ole Heinrich, gebürtiger Hamburger des Jahrgangs 1982, der abwechselnd an der Alster und in Südfrankreich lebt, hat im Herbst 2013 mit „Mein kaputtes Königreich“ den ersten Teil seiner mit „Warten auf Wunder“ und „Ende des Universums“ komplettierten „Maulina“-Trilogie herausgebracht, die gleich mehrere renommierte Preise erhielt, darunter 2015 den „Jahres-Luchs“ von Radio Bremen und der Wochenzeitung „Die Zeit“.
„Leben heißt aushalten und weitermachen“: Die gut einstündige Inszenierung Felix Sommers am Westfälischen Landestheater Castrop-Rauxel für alle ab zehn Jahren (5. Klasse) ist am Mittwoch, 24. Mai 2023 um 16 Uhr im Kulturzentrum Herne zu erleben. Karten für sechs Euro unter www.proticket.de.
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- Mittwoch, 24. Mai 2023, um 16 Uhr