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'Orlando Gastspiel' im Bochumer Schauspielhaus

'Das Leben ist ein Schweinestall'

Die Premiere von Orlando am Samstag (20.12.2025) bringt einen bahnbrechenden Text auf die Bühne der Kammerspiele, der einmal mehr zugleich alt und irritierend jung ist. Regisseur Martin Laberenz und sein Ensemble – eine Koproduktion mit der Folkwang Universität der Künste – nehmen Virginia Woolfs berühmte „Biografie“ über die ewige Jugend und Schönheit aus dem Jahre 1928 nicht als Stoff, den man illustriert, sondern betritt und rasant miterlebt. Die Kammerspiele werden zu einem kurzweiligen Bühnen-Labor einer vor allem kollektiven queeren Verwandlung.

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Schon der kurze Solo-Anfang macht klar, dass diese Inszenierung mit dem Schauspieler-Dekett keinen sicheren Boden bietet. Woolfs ikonischer erster Satz: „Er – denn an seinem Geschlecht konnte kein Zweifel bestehen“ hängt wie ein Versprechen im Raum. Es wird auch in Bochum schnell brüchig. Denn Zweifel ist die eigentliche Hauptfigur.

Regisseur Laberenz, der als Assistent früher bei gemeinsamen Produktionen am Schauspielhaus Bochum auch mit Helge Schneider zusammen gearbeitet war, vertraut nicht nur auf gut gemachte dramatische Effekte, sondern auf ein präzises, nicht immer nur nüchternes Spiel mit schillernden Körpern und Kostümen, Stimmen, Musik und vielen Blicken.

Minimalistische Bühne

Die Bühne von Oliver Helf mit recht minimalistischer Hauswand, Straße und einem Raum bleibt dabei bewusst offen und ist oft in szenigen, mystischen Nebel getaucht, der mit sehr gut inszenierten Bildern eine hervorragende Ästhetik zeigt. Es gibt keinen historisierenden Ballast, keine opulente Epoche.

Drei Jahrhunderte rauschen vorbei, ohne dass man sie ausbuchstabieren müsste. Ausgefallene, witzige, skurrile Kostüme markieren Geschlecht nicht als Kostümierung, sondern als queeres Angebot: etwas, das man anlegen, ablegen, verschieben kann, scheinbar beliebig. Gerade darin liegt eine Stärke des Abends. Orlando wird nicht aktualisiert, sondern tatsächlich freigelegt. Was bei Woolf Roman literarisch verspielt daherkommt, wird hier im Theater körperlich erfahrbar und funktioniert, manchmal etwas wild.

Angenehme Spannung zwischen Text und Spiel

Über gut zwei Stunden (130 Minuten) gibt es eine angenehme Spannung zwischen Text und Spiel. Das Nachwuchs-Ensemble zeigt sich präsent, wach, präzise und trägt den Abend als buntes Kollektiv. Nur in der neuen Reihe könnte manchmal etwas mehr Phonetikstärke einzelner Akteure ankommen. Niemand drängt sich in den Vordergrund, und doch entstehen immer wieder starke Einzelmomente.

Szene aus

Besonders stark und unerwartet humorig ist die „Todesszene“ von Königin Elisabeth I, die kaum enden will. Auch als Gruppe kommen alle Schauspieler immer wieder zusammen, viel Spaß macht die nebelige Disco-Szene mit genialer Musik von Kouddlam im Love Song. Tanzende Körper, die ihre Haltung verändern und damit ganze gesellschaftliche Ordnungen infrage stellen.

Dramaturgisch wird Woolfs Biografie-Parodie wohl ernst genommen: Das Erzählen selbst gerät unter Beobachtung. Wer spricht - und mit welchem Recht? Es wird viel gesprochen, das macht den Abend anspruchsvoll, aber auch reizvoll. Wer eine lineare Geschichte erwartet, wird enttäuscht. Wer bereit ist, sich auf ein Denken in teils rasant schnellen Übergängen einzulassen, erlebt ein konzentriertes, kluges Theatererlebnis.

Gesellschaftliche Erwartungen

Orlando will auch zeigen, wie sehr Geschlecht, Rolle und Identität von Blicken abhängen – von gesellschaftlichen Erwartungen, die sich historisch verändern und doch hartnäckig bleiben. Dass Woolf diesen Text vor fast hundert Jahren geschrieben hat, wirkt an diesem Abend weniger erstaunlich als brandaktuell.

Nach gut zwei Stunden endet die Premiere ohne Pause – und ohne Auflösung. Orlando bleibt unterwegs, es ist wohl eine offene Bewegung und endet musikalisch mit dem Titel „Life is a pigsty“ von Morrissey, wie treffend.

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Karten sind auf der Homepage unter schauspielhausbochum.de und Tel 0234 – 33335555 zu bekommen. Weitere Aufführungen in den Kammerspielen des Schauspielhauses Bochum:

  • Sonntag, 21. Dezember 2025, 19 Uhr
  • Dienstag, 6. Januar 2026, 19.30 Uhr (10-Euro-Tag)
  • Samstag, 17. Januar 2026, 19.30 Uhr
  • Donnerstag, 5. Februar 2026, 19.30 Uhr (mit Einführung um 19 Uhr)
  • Dienstag, 24. Februar 2026, 19.30 Uhr
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Dienstag, 6. Januar 2026, um 19:30 Uhr Schauspielhaus Bochum, Königsallee 15, 44789 Bochum Karten sind auf der Homepage unter schauspielhausbochum.de und Tel 0234 – 33335555 zu bekommen
Weitere Termine (3) anzeigen...
  • Samstag, 17. Januar 2026, um 19:30 Uhr
  • Donnerstag, 5. Februar 2026, um 19:30 Uhr
  • Dienstag, 24. Februar 2026, um 19:30 Uhr
Vergangene Termine (1) anzeigen...
  • Sonntag, 21. Dezember 2025, um 19 Uhr
Sonntag, 21. Dezember 2025 | Autor: Thorsten Hup