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Pedro Ostapenko als Fährmann, Urban Malmberg als Reisender und Adam Temple-Smith als Verrückte in Benjamin Brittens „Curlew River“.

MiR-Saisonstart in der Basilika St. Georg

Curlew River

Mit Gregorianischen Gesängen durchmessen die Mitglieder des Herrenchors in Mönchskutten an beiden Seiten das Langschiff und postieren sich vor dem großen Holzkreuz des Altars, dem Mittelpunkt der mächtigen Vierung. In deren linkem Teil die Neue Philharmonie Westfalen unter ihrem Solorepetitor Peter Kattermann Platz gefunden hat: Gleich zu Beginn des höchst ungewöhnlichen Spielzeitauftaktes am Musiktheater im Revier, Premiere war am Freitag (27.8.2021) ist das Publikum vom Raumklang der neuromanischen Basilika St. Georg eingenommen, der sich noch verstärkt, als durch den Mittelgang der Abt (Michael Heine) und die weiteren Gesangssolisten hinzukommen.

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Schon einmal hatte sich die 1906 nach Plänen des Gelsenkirchener Architekten Peter Labonté erbaute katholische Kirche als Aufführungsort u.a. für eine konzertante „Manon Lescaut“-Aufführung und den zweiteiligen Abend „Unsprechbares Zuhause“ mit einem Tanztheater von Annett Göhre und einer Oper von Morton Feldmann bewährt: gleich zu Beginn der Intendanz von Michael Schulz, als im Herbst 2009 das Haus am Kennedyplatz umgebaut werden musste. Nun setzt das Gelsenkirchener Musiktheater seine lange, verdienstvolle Pflege des Werkes Benjamin Brittens mit der Church Parable „Curlew River“ fort, mein inzwischen zehnter MiR-Abend mit Werken des britischen Komponisten seit „Albert Herring“ in 1990.

Der britische Tenor Adam Temple-Smith, ab dieser Spielzeit 2021/22 festes Ensemblemitglied am MiR, begeistert als Madwoman in „Curlew River“.

Basierend auf „Sumidagawa“, einem traditionellen japanischen Werk des Nō-Theaters von Jurō Motomasa aus dem 15. Jahrhundert über eine einsame, von der Gesellschaft ausgestoßene Frau, das Britten Mitte der 1950er Jahre kennenlernte, hat der Komponist zusammen mit seinem bewährten Librettisten William Plomer („Gloriana“) eine kleine Rahmengeschichte erfunden für eine parabelhafte Oper in Form eines mittelalterlichen Mysterienspiels, die von der English Opera Group am 12. Juni 1964 in St. Bartholomäus in Orford, Brittens Heimatgemeinde in der Grafschaft Suffolk, uraufgeführt worden ist.

Mit verändertem Schluss als christliches Gleichnis der Versöhnung zwischen Gott und den Menschen: Drei der Mönche aus der Prozession zu Beginn schlüpfen in die Rollen des Fährmanns (Petro Ostapenko), des Reisenden (Urban Malmberg) und der Verrückten (wie im Nō-Theater von einem Mann verkörpert: der überragende Adam Temple-Smith). Letztere erreicht den Curlew River in dem Moment, als der Fährmann übersetzen will. Sie sagt, dass sie von den Schwarzen Bergen kommt, aber nicht, warum ihr Gesicht geschwärzt ist, als sei sie einer Kohlegrube entstiegen (Bühne: Carsten Kirchmeier, Kostüme: Karin Gottschalk).

Erst nach längerem Zögern ist der Fährmann bereit, auch die offenbar Verwirrte über den Brachvogel-Fluss (in der Übertitelung nicht ganz richtig „Möwenfluss“ genannt) zu bringen. Im Gespräch stellt sich heraus, dass die im englischen Original „Madwoman“ Genannte die Mutter eines Kindes ist, dass vor gut einem Jahr von einem Sklavenhändler entführt und, an Erschöpfung gestorben, nach der Überfahrt hier am Fluss bestattet worden ist. Zum Jahrestag haben sich viele Menschen am Grab versammelt, die völlig verzweifelte Mutter gesellt sich hinzu. Als sie zu Gott betet, hört sie die Stimme ihres Kindes (Dongmin Lee von der Orgelempore): Im erschütternden Finale der Binnenhandlung segnet der Geist des toten Kindes alle Anwesenden und tröstet seine Mutter mit dem Versprechen eines Wiedersehens im Himmel.

Carsten Kirchmeiers rund achtzigminütige Inszenierung rückt die innere Befindlichkeit der Protagonisten in den Mittelpunkt mit besonderem Augenmerk auf die psychische Situation der verzweifelt nach ihrem Kind suchenden Mutter: der junge britische Tenor Adam Temple-Smith, bis 2019 als Schüler Ben Johnsons Mitglied des Young Artist Studios der National Opera London und ab dieser Spielzeit 2021/22 festes Ensemblemitglied am MiR, begeistert unter der musikalischen Leitung von Peter Kattermann sowohl gesanglich als auch darstellerisch. Die in der historischen Vorlage ausschließlich tragische Figur einer Einsamen, da von der Gesellschaft Ausgestoßenen wird in der Gelsenkirchener Kirchenparabel durch die mitmenschliche Empathie aller Beteiligten unter Einschluss des Mönchschores in christlichem Sinne erlöst.

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Die nächsten Vorstellungen: Am Freitag, 3. September 2021, am Samstag, 18. September 2021 sowie am Mittwoch, 22. September 2021 jeweils um 20 Uhr in der Kirche St. Georg an der Franz-Bielefeld-Straße 38 in Gelsenkirchen, keine fünf Gehminuten vom Kennedyplatz entfernt. Karten auf der Homepage oder an der Kasse unter Tel 0209 – 40 97 200.

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  • Freitag, 3. September 2021, um 20 Uhr
  • Samstag, 18. September 2021, um 20 Uhr
  • Mittwoch, 22. September 2021, um 20 Uhr
| Autor: Pitt Herrmann