halloherne.de lokal, aktuell, online.
Törleß (Lilli Grix) schaut verwundert auf seine Schulkameraden Basini (Johanna Basten), Beineberg (Rebecca Bednarzyk) und Reiting (Carmelina Kißel).

'Törleß' nach dem Roman von Robert Musil

Ausrufezeichen im Rottstr5-Saisonauftakt

Als der Schüler Törleß (Lilli Grix) von seiner Mutter (im Pelzmantel mit verhülltem Gesicht: Johanna Basten) ins Internat gebracht und so zum Zögling wird, der sich in einer Gemeinschaft unterzuordnen hat ohne die Rückzugsmöglichkeit des großbürgerlichen Zuhauses, fremdelt er mit seinen künftigen Kameraden. Nur zum als „weibisch“ verschrienen Fürst H. (Carmelina Kißel mit nobilitierendem Diadem über schwarz verhülltem Gesicht) fühlt er eine gewisse Seelenverwandtschaft.

Anzeige: Herner Sparkasse Solit 2025

Als der Schüler Basini (Johanna Basten) seine Spielschulden bei Reiting (Carmelina Kißel) nicht bezahlen kann, wird er von diesem und Beineberg (ganz heutig mit E-Zigarette: Rebecca Bednarzyk), dessen Schrank er gewaltsam aufgebrochen und Geld daraus entwendet hatte, grausam gequält. In einer versteckt gelegenen Dachkammer mit Boxsack, Matratze und geladenem Revolver denken sich die beiden immer neue Foltermethoden aus. Ja, Basini erklärt sich sogar zu erniedrigenden Sklavendiensten gegenüber den Mitschülern bereit, wenn sie ihn nicht an die Schuldirektion verraten, was seine Relegation zur Folge hätte.

Sadistische Gelüste

Während Reiting seine sadistischen Gelüste voll auslebt und Beineberg die Torturen als „wissenschaftliche Studie“ nimmt, hält sich ihr Mitschüler Törleß eher beobachtend im Hintergrund, um sich nicht unmittelbar beteiligen zu müssen. Als die verbalen Erniedrigungen zu handfesten Folterungen eskalieren, zeigt sich der bisher eher angewiderte Törleß interessiert an den inneren Vorgängen des wie ein Tier gehaltenen Basini.

Bis er, erschrocken nicht nur über seine Tatenlosigkeit, sondern auch um das Ausprobieren eigener Machtspielereien, dem Opfer rät, den Diebstahl und die Folgen selbst anzuzeigen, bevor es zu spät ist. Törleß fühlt sich nicht in der Lage, dem zunehmend blutigen Geschehen Einhalt zu gebieten – und macht sich einfach aus dem Staub…

Prophetischer Roman

Robert Musils Roman „Die Verwirrungen des Zöglings Törleß“ aus dem Jahr 1906 offenbart, wie normale Menschen plötzlich und ganz selbstverständlich grausame Dinge tun, ohne dass die (eigene) Welt zusammenbricht. Zu dem Zeitpunkt konnte er nicht ahnen, wie prophetisch sein Roman ist, der sechzig Jahre später von Volker Schlöndorff mit Mathieu Carrière in der Titelrolle kongenial verfilmt worden ist. Und naturgemäß auch nicht ahnen, was wir heute von den Zeitläuften des 20. Jahrhunderts wissen.

Aus sicherer Entfernung verfolgt Törleß (Lilli Grix, l.), was Reitling (Carmelina Kißel) mit Basini (Johanna Basten) anstellt.

In einer Zeit, in der Musils Roman wieder erschreckende Aktualität gewonnen hat, nur dass der Fokus nun auf die Mächtigen in Politik und Tech-Industrie gerichtet ist, hat Akbar Paktin am Bochumer Rottstr5-Theater mit „Törleß“ eine eigene Adaption inszeniert, die sich ganz auf das Verhalten junger Leute konzentriert, weshalb große Bereiche der 140-seitigen Vorlage nur kurz angedeutet (Johanna Basten als „Dorfhure“ Božena) werden oder ganz gestrichen sind wie die Schulkommissions-Szenen.

Junge Leute gespielt von sehr engagierten, empathischen jungen Frauen, bis auf Lilli Grix sämtlich Debütantinnen im „Young'n'rotten“ genannten Nachwuchsensemble der angesagten Off-Bühne an der Bochumer Rottstraße.

Mutiges Regiedebüt

Akbar Paktin, der beim Jungen Schauspielhaus Bochum und Jugendproduktionen des Rottstr5 Theaters („Trainspotting“, „Fight Club“) auf der Bühne stand, führt zum ersten Mal Regie. Er hat sich bewusst entschieden, seine in unserer heutigen Zeit spielende Adaption mit einem reinen Frauenensemble auf die Bühne zu bringen. Eine starke Setzung, spielt der Roman doch in einem Jungeninternat der Habsburger Zeit vor dem Ersten Weltkrieg.

Der Regisseur über sein Konzept: „Der Kernpunkt dieses Stücks ist, wie Törleß mit diesem Missbrauch umgeht, wie er dazu steht und was er dabei fühlt – diese innere Unruhe. Diese Entwicklung hin zur Rebellion gegen die Gewalt, die interessiert mich am meisten. Und genau das macht den Roman so zeitlos, oder gerade in dieser Zeit so aktuell – die Aussage niemals wegzuschauen, immer Mut zu fassen und seine Stimme zu erheben.“

Ein Ausrufezeichen

Mit dieser nicht zuletzt durch die Raumatmosphäre in den Eisenbahnbögen spannenden 75-minütigen Produktion hat das Rottstr5-Theater ein Ausrufezeichen im Reigen des Bochumer Saisonauftaktes gesetzt – und das Schauspielhaus einmal mehr thematisch ganz alt aussehen lassen. Wie zuvor bereits bei der Adaption des Romans „Das große Heft“ von Ágota Kristóf durch Martina van Boxen, Premiere war am 12. April 2025, wieder auf dem Spielplan am 17. Oktober 2025. An der Königsallee kommt Jette Steckels Version dagegen erst am Samstag, 1. November 2025 heraus.

Anzeige: Stiebling - Reifenwechsel 2025

Die nächsten „Törleß“-Vorstellungen: Freitag, 10. Oktober 2025, 19.30 Uhr, sowie Sonntag, 26. Oktober 2025, 19.30 Uhr. Karten unter rottstr.de oder Tel. 0163 – 7615071.

Kurzer Moment des reflektierenden Innehaltens zwischen Törleß (Lilli Grix, r.) und Beineberg (Rebecca Bednarzyk).
Oktober
26
Sonntag
Sonntag, 26. Oktober 2025, um 19:30 Uhr Rottstraße 5 Theater, Rottstraße 5, 44793 Bochum Karten unter rottstr.de oder Tel. 0163 – 7615071.
Vergangene Termine (1) anzeigen...
  • Freitag, 10. Oktober 2025, um 19:30 Uhr
Dienstag, 30. September 2025 | Autor: Pitt Herrmann