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Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey.

Kolumne von Dr. Gerd Dunkhase

Arzttermine - ein ewiges Theater

Es ist Sommer. Das merkt man nicht immer am Wetter. Ein sicheres Zeichen ist jedoch das Erscheinen unqualifizierter Beiträge zum Gesundheitswesen. Am 31. Juli 2014 widmete eine im Ruhrgebiet erscheinende Tageszeitung dem Thema den Leitartikel auf der ersten und zweiten Seite - einschließlich eines entrüsteten Kommentars eines Redakteurs. Es ging um die Terminvergabe in Facharztpraxen. „15 Millionen warten Wochen mit all ihren Ängsten und Unsicherheiten“, behauptete er. Gleichzeitig räumt er aber ein, dass Hausärzte offensichtlich keine Schwierigkeiten haben, in dringlichen Fällen einen Termin beim Facharzt zu organisieren. Im Umkehrschluss bedeutet das: 15 Mio Patienten suchen ohne (haus-)ärztlich festgestellte Indikation den Facharzt auf.

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Vielleicht entscheiden dann das Damenkränzchen oder der Stammtisch darüber, für welche Beschwerden welcher Spezialist zuständig ist. Nun kann man von einem Zeitungsredakteur keinen medizinischen Sachverstand erwarten. Auch sind Strukturen im Gesundheitswesen so komplex und chaotisch, dass sie das Begriffsvermögen vieler Menschen im Regelfall überfordern. Auch mancher ärztliche Kollege verzweifelt an der Irrationalität dieses Systems. Ich erlaube mir daher, eine kleine Nachhilfestunde über die Ursache langer Terminfristen anzubieten.

1) In 70 Jahren Nachkriegsgeschichte ist es den Gestaltern des Systems gelungen, eine völlig entfesselte Konsumkultur bezüglich der Inanspruchnahme medizinischer Dienstleistungen zu entwickeln. Der Kunde / Konsument / Patient ist dabei jeder wirtschaftlicher Eigenverantwortung enthoben. Er will zudem alles jetzt und sofort.

2) Das hat zu einer unglaublichen Explosion der Leistungsmenge geführt. Bekannt ist, das etwa 70 % der Leistungen von nur etwa 30 % der Kundschaft abgerufen werden, ohne dass dafür ein medizinischer Grund erkennbar wäre. In dieser 30%-Bevölkerungsgruppe sind alle Altersklassen und Krankheiten in gleicher prozentualer Häufigkeit vertreten wie in der Mehrheit der Bevölkerung. Der Besuch der Arztpraxis gehört für diesen relevanten Teil unserer Gesellschaft zur Alltagsunterhaltung. Auch wenn die Mehrheit der Bevölkerung das nicht versteht, ist es für eine relevante Minderheit ganz wundervoll, sich einfach als Patient einzuordnen und sich so des Bedauerns und der Fürsorge seitens der Politik und der Medienlandschaft zu versichern.

3) Mit dem Prinzip der so genannten „freien Arztwahl“ wird ein völlig unkontrollierter Zugang zum Facharzt und - unter anderem über Notfallambulanzen – auch die Aufnahme ins Krankenhaus ermöglicht. Dabei bliebe es doch jedem unbenommen, den Facharzt seines Vertrauens aufzusuchen. Er müsste zuvor nur die Indikation durch einen Hausarzt feststellen lassen.

4) Um der Explosion der Leistungsmenge zu begegnen, haben die so genannten Selbstverwaltungsorgane - darin sind die Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen vertreten - allerlei Schikanen erdacht, um den Ärzten das Bedienen der Nachfrage von Leistungen zu verleiden. Das bedeutet konkret, dass nur für eine begrenzte Zahl an (Kassen-)Patienten eine begrenzte Zahl an Leistungen zu Verfügung steht. Darüber hinaus gehende Leistungen werden definitiv nicht bezahlt. Privatpatienten sind selbst für die Bezahlung ihrer Rechnung verantwortlich und daher nicht budgetiert. Es ist ihr Problem, wie sie den Rechnungsbetrag von ihrer Krankenversicherung erstattet bekommen.

5) Arztpraxen sind Wirtschaftsbetriebe. Sie müssen somit Gewinne erwirtschaften und die Praxiszeiten wertschöpfend nutzen. Sonst gehen sie pleite. Trotzdem werden vom Hausarzt festgestellte dringliche Indikationen praktisch ausnahmslos auch über das Budget hinaus erbracht. Ich erinnere aus 27-jähriger kassenärztlicher Tätigkeit keinen einzigen Fall, in dem ich ernsthafte Schwierigkeiten gehabt hätte, dringliche Patienten mit einer auch terminlich angemessenen Versorgung in anderen Praxen zu versorgen. Patienten können dem gegenüber Termine fast nach Lust und Laune verbaseln. Ihr Risiko, dafür in Regress genommen zu werden, liegt bei nahe Null. Die diesbezügliche Rechtsprechung ist geradezu zynisch und für die Ärzte entwürdigend.

Es gäbe also etliche eigentlich einfache Maßnahmen, um die Terminproblematik in Facharztpraxen zu entschärfen. Das Problem hätte sich schnell erledigt, wenn

- jede nachgefragte Leistung so bezahlt würde, dass es für die Praxis noch lohnend ist. Es ist unwahrscheinlich, dass dann noch zwischen „Privat“ und „Kasse“ unterschieden würde. Als gewinnorientiertes Unternehmen würde jede Arztpraxis über die physiologischen Leistungsgrenzen hinaus gehen. Allerdings bedürften dann wahrscheinlich die Manager der Krankenkassen, die sich mit der Kostenentwicklung zu befassen haben, einer ärztlichen Behandlung.

- man ein Kostenerstattungs-System wie bei den Privatversicherungen einführen würde. Dann dürften die Krankenkassen unsinnige und überflüssige Leistungen nicht mehr erstatten. Die Folge wäre aber wohl eine Revolution unserer verwöhnten und unersättlichen Konsumgesellschaft.

- eine klare Abgrenzung der Zuständigkeiten von Hausärzten, Fachärzten und Kliniken politisch durchgesetzt würde. Das würde aber an der Konsumgesellschaft ebenso scheitern wie an dem Gewinninteresse von zahlreichen Ärzten und Krankenhäusern.

Eine grundsätzliche Neuordnung des Systems, die alle Beteiligten in die Pflicht nähme, also Politiker ebenso wie Krankenkassen, Patienten wie Ärzte und Krankenhäuser, nicht zu vergessen der ganze Bereich der rehabilitativen Medizin, könnte einen riesigen Schub an Qualität und Effizienz bedeuten. Die Aufgabe würde die Größenordnung einer Agenda 2010 wohl um ein Vielfaches übersteigen.

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Ich kann mir keine politische Kraft vorstellen, die bereit und in der Lage wäre, das anzupacken. Statt dessen soll dieses alberne Instrument der zentralen Terminvermittlung eingeführt werden. Mit diesem billigen Aktionismus wird das Problem niemals zu lösen sein.

| Autor: Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey
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